Orte der Flucht und Gefühle und Gedanken der Flüchtenden

Ausstellung: STRANCI - Vom Fremdsein, <rotor>

Text: Robert Goessl - 28.09.2025

Rubrik: Kunst
Ausstellung: STRANCI - Vom Fremdsein im <rotor>

Mirza Čizmić: Auschnitt aus "Exodus" (Fotocredit: Mirza Čizmić)

„Stranci“, das Wort für Ausländer: in oder Fremde: r in der serbokroatischen Sprache, ist nicht nur der Titel, sondern auch das Thema der Ausstellung. In dieser werden künstlerische Arbeiten und dokumentarisches Material mit Bezug auf Bosnien und Herzegowina gezeigt, die sich mit Verlust, Herkunft, Fluchthilfe und der Wahrnehmung des Fremd- und unerwünscht seins beschäftigen.

Im Eingangsraum wird man gleich von einem großflächigen Schriftzug auf Acrylspiegeln begrüßt: „without here / without there / within everywhere" („ohne hier / ohne dort / innerhalb von jedem Ort“. In dieser Arbeit beschäftigt sich die in Banja Luka geborene und in Berlin lebende Künstlerin Saša Tatić mit dem Zustand des „Dazwischenseins“ („In-Betweeness“), sich körperlich an einem anderen Ort zu befinden, aber emotional nicht angekommen zu sein. In einem sehr schönen Text, der vor Ort ausliegt, beschreibt sie diesen Zustand aus ihrer persönlichen Erfahrungswelt vor allem aus sprachlicher Sicht zwischen ihrer Muttersprache, Deutsch und Englisch. Sie erzählt vom Unbehagen, in Deutschland die lokale Muttersprache zu vermeiden, aber auch vom Gefühl, in ihrer ursprünglichen Heimat durch die Nutzung ihrer Muttersprache sich eingeschränkt zu fühlen, weil sie damit die in Deutschland erworbenen Teile ihrer Identität „zur Passivität“ gezwungen werden. Dazu kommt das Bedürfnis, durch die englische Sprache in einem größeren Rahmen verstanden zu werden. Die Nutzung aller drei Sprachen ermöglicht ihr den Raum zu haben, ihre „hybriden Identität“ als Ganzes zu empfinden. Und sie hat Graz, den Ort für sich gefunden, bei dem dieses Dazwischensein als dieses Ganze, für sie am besten funktioniert: „Im Gegensatz zu den Orten meiner Zugehörigkeit fühlte sich Graz wie ein gefundener Ort an, der das Dazwischen einfing, weil er die Aspekte meiner Identität überlappen ließ, die in zwei kulturellen Kontexten entstanden waren. Zum ersten Mal gab es einen Ort, der ihnen die Freiheit gab, simultan zu koexistieren, indem sie Anerkennung und Ausdruck fanden.“
Ausstellung: STRANCI - Vom Fremdsein im <rotor>

Saša Tatić: „Dazwischensein" (Fotocredit: kuma)

Die schrecklichen Bilder, an die wir uns angeblich gewöhnen müssen, aus anderer Sicht

Der ebenfalls in Banja Luka geborenen und in Helsinki lebende Künstler Mirza Čizmić beschäftigt sich in seiner Bildserie „Exodus“ mit Flucht- und Einwanderungserfahrungen, bei denen er die mediale Sicht verbunden mit der Sensationslust seine persönliche Geschichte gegenüberstellt. Die Undeutlichkeit und das verschwommene der Menschen auf Straßen in den Bildern, die eine Gegensatz zum Bemühen der Medien, möglichst detaillierte Bilder zu liefern, um Emotionen zu schüren, ermöglicht eine allgemeinere Sichtweise auf Migrationsbewegungen, die schon immer Teil der Geschichte der Menschheit waren. Er hinterfragt damit auch die Vereinnahmung der Bilder und Verwendung von Begriffen wie „Flüchtlingskrise“ und „Balkanroute“ durch die Politik, vornehmlich aus dem rechten Parteienspektrum. Für den Künstler ist diese Art der Verarbeitung der Ereignisse auch Teil seiner Überlebensstrategie als „Migranten-Künstler“ in Europa.
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Mirza Čizmić: "Exodus" (Fotocredit: kuma)

Go West – von verklärten Hoffnungen in die Realität

Im zweiten Raum verbindet der in Sarajevo geborene und in Ann Arbor (Michigan, USA) lebende Künstler Endi Pošković seinen Vornamen mit dem Namen des US-Bundesstaates Indiana, der so zu „Endiana“ wird. Der Holzschnitt „Sternennacht“ („Starry Night“) mit diesem Schriftzug zeigt ein Haus auf Rädern als sichtbare Verkörperung von Migrationsbewegungen. Man kann dabei auch an einen modernen Planwagen denken, das Symbol der Fluchtbewegung des 19. Jahrhunderts nach Westen aus seiner neuen Heimat, das nicht nur positiv besetzt ist, sondern sogar verklärter Teil der Identität des Vereinigten Staaten ist. Er setzt damit die aktuellen Fluchtbewegungen in einen historischen Kontext und thematisiert mit der Benennung dieser versöhnlichen Arbeit die Gegensätze und zwischen der alten und der neuen Heimat, die aber letztendlich in ein harmonisches Ganzes münden.
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Endi Pošković: "Sternennacht" (Fotocredit: kuma)

Die Vergangenheit als Zwischenpunkt der Herkunft

Der großflächige Papierschnitt von der in Banja Luka geborenen und in Berlin lebenden Künstlerin Irma Markulin „Grüße aus Banja Luka um 1900“ erinnert an vergangene Migrationserfahrungen in ihrer Familie, insbesondere an das Schicksal ihres Großvaters und findet dabei Parallelen zu ihrem eigenen Leben. Mit der Verwendung alter Postkarten und fast unleserlichen „Grüßen“ zeigt sie eine Vergangenheit, die vordergründig romantisierend wirkt, die sie aber auf einen symbolischen Stadtplan aufspannt, und damit irgendwie gefangen nimmt. Sie zeichnet damit Momentaufnahmen aus der Vergangenheit nach, um Herkunft und Identität als fließenden Prozess zu verstehen, ohne Verklärung der Wurzeln, die ohnehin in tieferer Vergangenheit ganz woanders liegen könnten.
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Irma Markulin: "Grüße aus Banja Luka um 1900" (Fotocredit: <rotor>)

Liebe in Zeiten der Migration

Mladen Bundalo, in Prijedor geboren und in Brüssel lebend, erstellte das Video „Aber warum wollen Sie heiraten?“ gemeinsam mit seiner Frau Lucie und nimmt dabei Bezug auf Fragen, die die französische Einwanderungsbehörde zur Vermeidung von Scheinehen stellt. Es werden dabei reale Szenen von Paaren in trauter Zweisamkeit, die eine ideale Beziehung oder Familie vermitteln wollen und meist auf Homevideos für die Nachwelt übertrieben gestellt wirken, mit unspektakulären Szenen aus einem Beziehungsalltag und symbolischen Szenen vermischt. So entsteht ein absurdes Kaleidoskop des Versuches der Darstellung von „großen Emotionen“ und der „perfekten Liebe“, die genau als das entlarvt werden, was sie sind: Eine Selbstdarstellung für die Außenwelt.
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Mladen Bundalo: „Aber warum wollen Sie heiraten?“ (Fotocredit: kuma)

Die persönliche Geschichte als Teil des Ganzen in einem zerfallenen Land

Im dritten Raum begibt sich Suada Demirović mit „Mama und die verschwindenden Grenzen Jugoslawiens, 1952-2007“ („Mom and the Disappearing Borders of Yugoslavia, 1952-2007“ auf die Suche nach den verlorenen Erinnerungen ihrer Familie und setzt diese in den Zusammenhang mit der Geschichte Jugoslawiens. Sie benutzt dazu den Bademantel ihrer Mutter und bestickt ihn mit zwei getrennten Zeitleisten. Auf der einen Seite sind private Schlüsselerlebnisse aus dem Leben ihrer Mutter festgehalten, auf der anderen Seite die historischen Ereignisse von der Gründung bis zur Auflösung Jugoslawiens. Sie setzt so ihre eigene Familiengeschichte mit kurzen Erwähnungen von Hochzeit, Geburt und Scheidung mit den komplexen Vorgängen rund um die Gründung, des Werden und die Auflösung eines Staates in Beziehung.
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Suada Demirović: „Mama und die verschwindenden Grenzen Jugoslawiens, 1952-2007“ (Fotocredit: kuma)

Die Heimat als Wunsch und Vorstellung in Zeiten des Krieges

Mitten im dritten Raum bilden Sandsäcke eine Barriere. Sie sind Teil der Installation „Heimkehr“ („Returning Home“) von der Künstlerin Aida Šehović, die in Sarajewo lebt und ein Symbol für die im Bosnienkrieg von Scharfschützen terrorisierten Stadt. Nur dienen diese in der Ausstellung dazu, auf ihnen zu sitzen, um ihre Zweikanal-Videoinstallation „Appartment“ ansehen zu können. In deren Mittelpunkt stehen Erinnerungen an die Wohnung, die ihre Familie gezwungen war, in den 1990-Jahren zu verlassen. In den Videos wird über die alte Wohnung gesprochen, und es wird gemeinsam versucht, sie mit Zeichnungen zu rekonstruieren. So wird die Installation auch mit einer Auswahl von Arbeiten aus einer Serie von Zeichnungen unter dem Titel „Drawing Towards Home“ begleitet, bei der andere Geflüchtete und Migrant: innen sich das Zuhause ihrer Träume vorstellen. Es entsteht dabei ein Gesamtbild zwischen Vertreibung und der Suche nach Heimat und dem Wunsch, sich mit unterschiedlichen kulturellen Backgrounds in der globalisierten Welt von heute zurechtzufinden.
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Aida Šehović: „Heimkehr“ (Fotocredit kuma)

Das Selbst als Abbild der Räume einer Wohnung

Zwei Bilder von Amer Kobašlija, der in Banja Luka geboren wurde und in Jacksonville (Florida/USA) lebt, vermitteln einen Eindruck über seine Selbstwahrnehmung. Der Künstler bezeichnet „Chelsea Restroom #3“ und „Door View II” als Selbstportraits, weil sie seinen psychischen Zustand zum Zeitpunkt des Malens in der jeweiligen Wohnung, die er auf der Leinwand wiedergibt, widerspiegeln: die Einsamkeit, die Verzweiflung und die Hoffnungslosigkeit als Ergebnis der physischen Vertreibung und einer nomadischen Lebensweise. Damit wird für ihn der Akt des Malens zu einer Art Tagebuch, einer Chronologie seiner Lebenswelten.
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Amer Kobašlija: „Chelsea Restroom #3“ und „Door View II” (Fotocredit kuma)

Anleitung zur Flucht und Überwindung von Hindernissen

Das großflächige Werk „Die Didaktische Wand“ („The Didactic Wall“) von Mladen Miljanović versteht sich als ein Tutorial, das Geflüchteten, Migrant: innen und Staatenlosen helfen soll, natürliche Grenzen und künstliche Hindernisse auf dem Weg zu ihrem Wunschziel leichter zu überwinden. Recherchiert aus militärischem Lehrwissen – die Bücher dazu sind auch in der Ausstellung in kleinen Regalen zu finden – befinden sich auf Marmortafeln zweckmäßige Illustrationen, die als Reaktion auf staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Migration durch die Errichtung von Zäunen, Barrieren und die Einführung moderner Technologien zur Bewegungskontrolle entstanden, und die helfen sollen, diese zu umgehen und zu überwinden. Praktischerweise sind diese Hinweise auch in einem Handbuch in Taschenbuchform abgedruckt, das auch in der Ausstellung aufliegt.
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Mladen Miljanović: „The Didactic Wall“ (Fotocredit <rotor>)

KI als Menschenbeurteilungs- und Menschenverurteilungsmaschine

Im Gang präsentiert Sanela Jahić mit „Nein zu KI, Ja zu einem nicht-faschistischen Apparat“ („No to AI, Yes to a Non-Fascist Apparatus“) KI-generierte Hochglanz-Fotos, die wie Werbematerialien wirken und perfekt gestylte Menschen zweigen, und deren aufgedruckte Sätze im Widerspruch zum Sujet stehen. Es ist da u.a. zu lesen „If you are a migrant in Germany, your identity is verified by the German Federal Office for Migration and Refugees that uses technology such as automatic face or dialect recognition, name transliteration and analysis of your mobile data device.“ Das Hauptthema der Künstlerin ist die Verwendung von neuen KI-Technologien zur Ausgrenzung von Menschen, indem diese auf einfache Weise zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen von Fremden benutzt werden können, wobei mögliche Fehler und Halluzinationen in Kauf genommen werden. So entwickelt sich ein verzerrtes Bild der Gesellschaft, das in den bestehenden sozialen Hierarchien begründet ist, nämlich in Ungerechtigkeit gegenüber und Vulnerabilität von Entrechteten.
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Sanela Jahić: „Nein zu KI, Ja zu einem nicht-faschistischen Apparat“ (Fotocredit: <rotor>)

Wo man überall nicht geboren sein kann

Auf der Fassade des s in der Volksgartenstraße prangt eine Tafel des in Zenica geborenen und in Graz lebenden Künstlers Mirko Marić, auf der er die vordergründig profane Tatsache mitteilt, hier nicht geboren worden zu sein. Heimat muss eben nicht sein, wo man geboren ist, und so wie es Tafeln auf Häuser gibt, die Orientierungspunkte darstellen, so bietet auch jede Station im Leben einen Orientierungspunkt. In diesem Sinn wird dieses absurde Denkmal zu etwas Bedeutungsvollem im Sinn seiner künstlerischen Identität.
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Mirko Marić: „Nicht geboren“ (Fotocredit: <rotor>)

Alltägliche Bilder des verborgenen Leids auf dem Weg in eine hoffnungsvollere Zukunft

Im Café befinden sich Aufnahmen von anonymen Migrant: innen entstand während deren epischer Reise und ihrem Bemühen, ans Ziel ihrer Träume zu gelangen. Bei den Fotos handelt es sich um Beiträge aus privaten Beständen, die eine Feld zwischen filmischer Spannung und literarischer Vorstellungswelt öffnen. Die Bilder der Migrant: innen sind stille Zeugnisse der Mühsal der Reise und dienen als eine Form der Visualisierung der persönlichen Erinnerung. Diese Fotografien, die in einem weiten geografischen Bereich aufgenommen wurden — von den entlegensten Teilen des Nahen Ostens bis zur Grenze zur Europäischen Union in der Nähe von Bihać im Nordwesten Bosniens — sind Artefakte, anhand derer sich die euroasiatischen Migrationsströme der letzten Jahre nachzeichnen lassen.
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Fotocredit: kuma

Das Sichtbarmachen der Gefühle und Gedanken der Entrechteten und Machtlosen

Die von Irfan Hošić kuratierte Ausstellung ist eine intensive Auseinandersetzung mit den Gedanken und Gefühlen derer, die ihre Heimat verlassen müssen und anderswo nach Schutz suchen. Im derzeitigen politischen Kontext, in dem Sicherheit die Errichtung von Festungen gegen Migrant: innen bedeutet, und der Erhalt des Wohlstandes auf deren Remigration zurückgeführt wird mitsamt der Betonung, dass das nichts mit Rassismus zu tun hat, sondern einfach aus den Gegebenheiten notwendig ist, und die öffentliche Debatte außer Angstmache und Zynismus nichts zu bieten hat, werden hier die Stimmen derer sichtbar gemacht, um die es letztendlich gehen sollte. Dabei wird ein weites Spektrum geboten: von einfachen Symbolen des nomadischen Daseins bis hin zu Technologien der Ausgrenzung.
Ausstellung: STRANCI - Vom Fremdsein im <rotor>

Aida Šehović: „Heimkehr“ (Fotocredit <rotor>)

Ausstellung „STRANCI - Vom Fremdsein“ im <rotor>, Volksgartenstraße 6a, Graz

Kuratiert von Irfan Hošić Teilnehmende Künstler:innen: Mladen Bundalo, Mirza Čizmić, Suada Demirović, Sanela Jahić, Amer Kobašlija, Mirko Marić, Irma Markulin, Mladen Miljanović, Aida Šehović, Endi Pošković, Saša Tatić, Fotografien anonymer Migrant:innen Ausstellungsdauer: 19.09. - 20.12.2025 Öffnungszeiten Mo, Di, Do, Fr 10:00 – 18:00 Mi 10:00 – 22:00 Sa 12:00 – 16:00 Dialogführungen durch die Ausstellung für Schulklassen und andere Gruppen nach Voranmeldung: rotor@mur.at oder 0316/ 688306
Ausstellung: STRANCI - Vom Fremdsein im <rotor>

Mladen Bundalo: „Aber warum wollen Sie heiraten?“ (Fotocredit: <rotor>)