Die Genese der Macht

Ausstellung: Poetics of Power, Kunsthaus Graz

Text: Lydia Bißmann - 14.11.2024

Rubrik: Kunst
Ausstellung: Poetics of Power, Kunsthaus Graz

Kunsthaus-Leiterin Andreja Hribernik und Nini Palavandishvili haben die Ausstellung "Poetics of Power" kuratiert. (Credit: Kunsthaus Graz/J.J. Kucek)

Von Mitte November 2024 bis Ende Mai 2025 präsentiert das Kunsthaus Graz die Gruppenausstellung Poetics of Power. Die Ausstellung bietet den Besucher*innen eine fesselnde Reise durch Zeit und Geschichte und lädt dazu ein, die komplexen Dynamiken von Macht, Gewalt und Widerstand zu hinterfragen.

Macht ist ein großer Begriff, dem sich das Kunsthaus Graz mit seiner aktuellen Gruppenausstellung Poetics of Power versucht, anhand einer sinnlich-sinnhaften Schau anzunähern. Behutsam wurden dafür 17 unterschiedliche Arbeiten assembliert, die sich perfekt in den Space 01 anschmiegen und jede für sich, aber auch als gesamtes funktionieren. Für einen Besuch sollte man sich ausgiebig Zeit nehmen: Viele der Arbeiten sind Videos, die als ganzes gesehen werden sollten. Die Andreja Hribernik und Nini Palavandishvili haben sich dafür einen gelungenen Mix aus komplexen oder sehr selbsterklärenden Arbeiten ausgesucht. Der The Nature of the Beast, 2009, zeigt  Kriegstreiberei vor dem Anti-Kriegsbild schlechthin, der Guernica von Pablo Picasso. Die Künstlerin Goshka Macuga hat dafür sehr viele Repliken von Dokumenten angefertigt, die an einem runden Tisch arrangiert sind. 

Ausstellung: Poetics of Power, Kunsthaus Graz

The Nature of the Beast, 2009, Installation (Credit: Lydia Bißmann)

Atombombe und Rassismus-Alphabet

Gabriela Golders Conversation Piece (2012) zeigt eine Lesesituation: Zwei junge Mädchen lesen zusammen mit der Oma das Kommunistische Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels (1848). Die Mädchen versuchen, den Text zu verstehen. Sie stellen Fragen zu Kontexten, Phrasen und Wörtern, die ihnen zu komplex oder unbekannt sind. Durch ihr insistierendes Nachfragen wird das Manifest beiläufig dekonstruiert: Was ist ein Unterdrücker? Was ist ein Unterdrückter? Was ist eine Revolution? Yael Bartanas Two Minutes to Midnight, 2021, stellt eine fiktive Krisensitzung mit lauter Frauen dar, die über eine nukleare Bedrohung einer fremden Nation tagen. Fiktive Charaktere und reale Fachexpertinnen aus Verteidigung, Recht, Politik, Theorie und Psychologie verhandeln in einem demokratischen „Friedensraum“, ob der Einsatz von Atomwaffen zum eigenen Schutz autorisiert werden könne oder nicht. Es gibt jede Menge Referenzen an bekannte Machtszenarien der Populärkultur – es reicht aber schon, Frauen in einer ungewohnten Machtposition in gewohnten Machtgesten zu sehen, um die Arbeit zu verstehen. Grauslich und genial zugleich ist das ABC of Racist Europe, 2017 von Daniela Ortiz, die ein rassistisches Alphabet mit sehr “direkten Texten” verfasst hat. Bunte Bildcollagen wie aus einem Kinderbuch illustrieren die provokant formulierten Texte, die leider allzu viel Wahrheit in sich bergen und die Hybris und Arroganz der europäisch-weißen Gesellschaft vermitteln. 

Ausstellung: Poetics of Power, Kunsthaus Graz

Gabriela Golder, Conversation Piece, 2012 (Credit: Lydia Bißmann)

Direkte Botschaften

Ästhetisch ansprechend und voller fast schon sakraler Traurigkeit ist die Arbeit von Daria Koltsova Tessellated Self, 2023. Diese Glasarbeit bezieht sich auf das berühmte konstruktivistische Derzhprom-Gebäude (Palast der Industrie), das 1925–1928 in Charkiw als Ministeriumsgebäude errichtet und zum Wahrzeichen der Stadt, aber auch Symbol der bolschewistischen Macht in der Ukraine wurde. Tessellated Self 2023, reflektiert die Frage nach dem kulturellen Erbe der Ukraine und den Möglichkeiten seiner Bewahrung in Zeiten des Krieges. Erkan Özgen lässt in Wonderland, 2016, den syrischen Jungen Mohammed in Gebärdensprache von seiner Flucht erzählen. How to March ist eine Collage von Hannes Priesch aus militärischen und staatlichen Darstellungen der Massenästhetik, die durch Organisation, Synchronisation und Kontrolle einzelner Körper vermittelt wird.
Daniela Ortiz ABC of Racist Europe, 2017

Daniela Ortiz ABC of Racist Europe, 2017

Direkte Botschaften

Ästhetisch ansprechend und voller fast schon sakraler Traurigkeit ist die Arbeit von Daria Koltsova Tessellated Self, 2023. Diese Glasarbeit bezieht sich auf das berühmte konstruktivistische Derzhprom-Gebäude (Palast der Industrie), das 1925–1928 in Charkiw als Ministeriumsgebäude errichtet und zum Wahrzeichen der Stadt, aber auch Symbol der bolschewistischen Macht in der Ukraine wurde. Tessellated Self 2023, reflektiert die Frage nach dem kulturellen Erbe der Ukraine und den Möglichkeiten seiner Bewahrung in Zeiten des Krieges. Erkan Özgen lässt in Wonderland, 2016, den syrischen Jungen Mohammed in Gebärdensprache von seiner Flucht erzählen. How to March ist eine Collage von Hannes Priesch aus militärischen und staatlichen Darstellungen der Massenästhetik, die durch Organisation, Synchronisation und Kontrolle einzelner Körper vermittelt wird. 

Poetics of Power ist eine sehr Ausstellung, die auf mehreren Ebenen arbeitet und deren Zauber man sich schwer entziehen kann. Wie die Poesie oder Lyrik nimmt sie keine Umwege mit ihrer Botschaft und wirkt direkt auf die Sinne. Poesia steht auch für Genese oder Veränderung. Und Veränderungen bewirkt sie nach dem Betrachten der 17 Beiträge zweifellos im eigenen Kopf. 

Poetics of Power

Kunsthaus Graz, Space01
Laufzeit: 15.11.2024 - 25.05.2025, Mo. bis So. 10h bis 18h

Mit Werken von Yael Bartana, Vajiko Chachkhiani, Jošt Franko, Gabriela Golder, Cristian Inostroza, Grada Kilomba, Daria Koltsova, Goshka Macuga, Daniela Ortiz, Ahmet Öğüt, Erkan Özgen, Hannes Priesch, Monira al Qadiri, Zanny Begg und Oliver Ressler, Anna Zvyagnitseva, Lukas Marxt, Ala Savashevich.

Ausstellung: Poetics of Power, Kunsthaus Graz

Ausstellungsansicht "Poetics of Power", Daria Koltsova "Tessellated Self" 2023 (Credit: Kunsthaus Graz/J.J. Kucek)

Ausstellung: Poetics of Power, Kunsthaus Graz

Ausstellungsansicht "Poetics of Power", Ala Savashevich "Sew on your own" 2022 (Credit: Kunsthaus Graz/J.J. Kucek)