'On Love Afterwards' als offenes Archiv mit Ausblick

Ausstellung: Milica Tomić, Kunsthaus Graz

Text: Sigrun Karre - 11.07.2025

Rubrik: Kunst
Ausstellung: Milica Tomić, Kunsthaus Graz

Die erste große Einzelausstellung der Künstlerin ist bis Mitte Oktober im Kunsthaus Graz eröffnet, Foto: Kunsthaus Graz/J.J. Kucek

On Love Afterwards zeigt drei Jahrzehnte künstlerische Forschung über Erinnerung, Gewalt und Utopie. Kuratiert von Irena Borić und Andreja Hribernik, lädt Milica Tomić ein, Geschichte nicht als hoffnungsloses Gewirr, sondern als vielschichtiges Geflecht zu begreifen – offen genug, um auch Hoffnungen und Entwürfe für eine andere Zukunft zu enthalten. Zu sehen bis 12. Oktober 2025 im Kunsthaus Graz.

Es gibt Kunst, die sich dem Bedürfnis nach Klarheit verschreibt – sie proklamiert ihre Botschaften offen, bietet Antworten, Orientierung, manchmal auch Trost. Milica Tomić hingegen interessiert sich für andere Räume – jene Zonen, in denen keine Eindeutigkeit zu haben ist. On Love Afterwards entfaltet sich in Space01 und der Needle als eine Topografie der Unabschließbarkeit. Den Titel verdankt die Ausstellung einer gleichnamigen Video-Installation, in der Partisanen ihre Beweggründe schildern, sich im Zweiten Weltkrieg dem antifaschistischen Widerstand anzuschließen. Aus ihren Erinnerungen wächst mehr als nur ein Zeugnis von Mut – es entsteht ein Raum, in dem der Glaube an eine bessere Zukunft, an eine universelle Liebes-Utopie, Gestalt gewinnt.

Man betritt die Ausstellung wie ein Gelände, das auf den ersten Blick unübersichtlich wirkt. Dokumente liegen auf langen Tischen, Notizen kleben an Wänden, Skulpturen ragen in den Raum. Dazwischen Videos, Fotografien, Fragmente. Es scheint, als wäre die Ordnung nur Momentaufnahme. Tomić versteht Ausstellen nicht als Behauptung, sondern als Praxis: ein Prozess, der Widersprüche sichtbar macht und den Betrachter:innen Mitdenken abverlangt. „Die Idee einer Ausstellung ist nicht, etwas herzuzeigen, sondern sich zu verbinden“, sagt sie.

Ausstellung: Milica Tomić, Kunsthaus Graz

Foto: Kunsthaus Graz/J.J. Kucek

Verflechtung statt Narration

Zentral steht der Borromäische Knoten, mehrere Meter lang, aus Lehm modelliert und 3D-gedruckt. Er ist kein dekoratives Zentrum, sondern ein Widerstandskörper, der die Vorstellung verweigert, Erinnerung ließe sich fein säuberlich entwirren. Hier wird sie zur Verflechtung – aus Biografien, politischer Gewalt, kollektiven Geschichten, die sich nicht voneinander trennen lassen.

„Wie spricht man über Genozid?“ Diese Frage stellt Tomić nicht rhetorisch, sondern als offene Zumutung. Dass der Knoten ungelöst bleibt, ist Teil dieser Haltung. Er wird nicht erklärt, er behauptet nichts. Stattdessen stellt er eine Einladung in den Raum: Geduld mit dem Unaufgelösten, Respekt vor dem, was sich nicht glätten lässt.

Ausstellung: Milica Tomić, Kunsthaus Graz

Foto: Kunsthaus Graz/J.J. Kucek

Das Private als politische Landschaft

Immer wieder zieht Tomić Linien zwischen persönlicher Erfahrung und gesellschaftlichen Konflikten, ohne je vorzugeben, dass diese Trennung überhaupt existiert. „Es gibt keinen Unterschied zwischen dem privaten und dem politischen Subjekt“, sagte sie während einer Führung durch die Ausstellung. The Portrait of My Mother (1999) erzählt vom Krieg im ehemaligen Jugoslawien – nicht aus sicherer Distanz, sondern aus dem Blickwinkel ihrer Mutter. Diese Nähe verleiht der Arbeit eine Schwere, die nicht sentimental wird. Sie zeigt, dass Gewalt nicht nur Institutionen erschüttert, sondern in Körpern, Familien und alltäglichen Gesten weiterwirkt.

Auch I am Milica Tomić (1998) tastet diese Zone ab. Die Künstlerin hat sich in verschiedenen Städten fotografiert, jeweils mit einer neuen Verletzung am Körper. Eine stille Behauptung, dass Identität nicht geschützt ist, sondern durchlässig, verletzlich – und jederzeit politisch lesbar.

Es gibt kein Leitsystem, das einen durch diese Ausstellung führt. Keine Dramaturgie, die Orientierung verspricht. Stattdessen reiht Tomić Fragmente aneinander, verknüpft Recherche mit künstlerischer Verdichtung. Das Publikum bleibt in der Verantwortung, Verbindungen selbst herzustellen, Lücken zuzulassen. Diese Zumutung ist kein Mangel, sondern ein präzises Angebot: Geschichte wird hier nicht konsumierbar gemacht. Sie bleibt sperrig.

In Container, Reconstruction of a Crime (2004–2011) geht es um das Verschwinden von Menschen, um Staatsgewalt, um das, was nicht dokumentiert werden will. Reading Capital (2004) zeigt Marx’ Texte als kollektive Lektüre – weniger als Theoriegebäude, denn als Anlass, gemeinsam zu denken. Keine Arbeit liefert eine abschließende Lesart. Alles bleibt tastend.

Ausstellung: Milica Tomić, Kunsthaus Graz

Die Künstlerin Milica Tomić (Mitte) mit den beiden Kuratorinnen der Ausstellung Irena Borić und Andreja Hribernik (v.l.), Foto: Kunsthaus Graz/J.J. Kucek

Arbeitsraum statt Format

Milica Tomić, geboren in Belgrad, leitet seit 2014 das Institut für zeitgenössische Kunst an der Technischen Universität Graz. Ihre Praxis lässt sich kaum in Begriffe fassen: künstlerische Forschung, Fotografie, Performance, politisches Engagement. Vielleicht ist es diese Weigerung, sich festzulegen, die ihre Arbeit so präzise macht. Nichts in dieser Ausstellung steht isoliert. Jeder Beitrag gehört zu einem größeren Zusammenhang, der sich dem Blick nie vollständig öffnet. Erinnern ist für Tomić ein politischer Akt – kein Besitz, sondern ein Prozess, der immer wieder neu ausgehandelt werden muss. In diesem ungeschönten Zugang liegt eine große Konsequenz – ohne jede Beschönigung, aber auch ohne Resignation. Die Ausstellung legt kein ästhetisches Pflaster über die Risse, die sich zwischen privater Erfahrung und öffentlicher Erzählung auftun. Stattdessen macht sie sichtbar, wie unabschließbar Geschichte bleibt – und wie viel Geduld es braucht, sie überhaupt wahrzunehmen. Der Borromäische Knoten bleibt unaufgelöst – ein Symbol dafür, dass Erinnerung nicht darauf wartet, geordnet zu werden, sondern fortbesteht. Als Geflecht, das sich nur befragen lässt. Immer wieder. Der Borromäische Knoten bleibt unaufgelöst. Ein Symbol dafür, dass sich manches nicht entwirren lässt. Dass Erinnerung nicht darauf wartet, geordnet zu werden, sondern dass sie bleibt – als Geflecht, das sich nur befragen lässt. Immer wieder.