Die Poetik des Raums auf Papier
Ausstellung: Iris Kohlweiss, Über die Architekturen der Wahrnehmung, Room Of Fine Arts
Text: Lydia Bißmann - 28.11.2024
Feinsinnige Zeichnungen auf Papier, die auch recht groß ausfallen und mit viel pudriger Farbfläche überzeugen, zeigt die Ausstellung Über die Architekturen der Wahrnehmung und die Poetik des Raums noch bis zum 10. Jänner im Room of Fine Arts im Palais Trautmannsdorf.
Zu sehen sind Arbeiten aus den Serien Realm Translations, Secret Garden sowie Shapeshifters und Gefährten – Alphabet. Alle Werke arbeiten mit einer Spiegelung entlang der vertikalen Achse, die den Anschein erweckt, dass beide Seiten identisch wären – was sie bei genauerem Hinschauen jedoch nicht sind. Die Einzelausstellung, die sich perfekt in die vorhandene Sammlung der Galeristin Martina Schafschetzy einfügt, dokumentiert die Veränderung, die das Werk der Künstlerin seit einigen Jahren prägt. Seit 2021 hat sie sich zunehmend der Zeichnung gewidmet – nicht unbedingt mit Absicht: Zeichnungen lassen sich einfacher abseits des Ateliers anfertigen.
Iris Kohlweiss, Shapeshifter Couple (RT 49, RT 50), 2024, Buntstift auf Papier, 42 x 30 cm.
Raumübertragungen
Die Essenz des Raums, die hier eine ganz eigene Definition erhält, obwohl es keine erkennbaren Formen, Gebilde oder gar Gebäude auf den Bildern gibt, wird im Titel Realm Translations deutlich. „Die Realm Translations, wie sie ihre damals begonnene Serie der ‚Raumübertragungen‘ nannte, sind nicht nur ein vorläufiger Höhepunkt ihres künstlerischen Schaffens, sondern zollen auch ihrer lebenslangen Faszination für Räume und deren spezifische Atmosphären Rechnung“, formuliert es Roman Grabner, der für den Katalog einen Text mit zahlreichen Referenzen an Philosophie und Kunstgeschichte verfasst hat. „Der englische Begriff realm bezeichnet eben nicht nur einen Raum, sondern auch einen bestimmten Bereich, ein Gebiet, ein Reich oder eine Sphäre der Aktivität.“ Viele der Zeichnungen sind an ganz besonderen Orten entstanden, die deren Atmosphäre vermitteln, selbst wenn man nie in der 900 Jahre alten Klosterbibliothek St. Paul im Lavanttal, im Piemont oder in den Zimmern des Altstadthotels in Wien gewesen ist. Iris Kohlweiss selbst dazu: „Geometrie war von Anfang an Teil meiner Malerei. Die geometrischen Elemente haben mir das Gefühl gegeben, dass ich mich von ihnen aus orientieren kann. Sie helfen mir, mich in einem grenzenlos empfundenen Raum zu verorten. In meiner Serie REALM TRANSLATIONS konzentriere ich mich auf die reine, geometrische Form – ohne narrative Fußnote. Meine Erzählung beginnt noch vor der eigentlichen Geschichte, in dem Moment, in dem sich Informationen akkumulieren.“
REALM TRANSLATION Nr.2 / library of the Benedictine monastery of St.Paul
Traumwelten und Traumräume
Die Leinwandarbeiten von Iris Kohlweiß sind großflächig, verträumt, erzählerisch und haben einen kollagenartigen Charakter. Hier tummeln sich Tiere, Menschen, Symbole, geometrische Formen und auch Text. Die Figuren wirken teilweise, als wären sie aus einem viktorianischen Kinderbuch oder einem historischen Stich ausgeschnitten und aufgeklebt. In ihren Buntstiftzeichnungen auf Papier verschwindet bei Kohlweiß die bekannte Form fast völlig. Die sanften Bilder stellen nichts dar, was man kennt, kommen einem aber trotzdem sehr vertraut vor. Spontan erinnert das Bild Zwischen Schultern und Horizont RT 70 an die berühmten Rorschach-Tests – jene Tintenklecks-Faltbilder, die in der Psychoanalyse Aufschluss über die Persönlichkeit der Patient:innen geben sollen. Während die Malerei von Kohlweiß noch Szenarien darstellte, die wie aus einem Traum stammen könnten, wie etwa das Acrylbild Das Neue im Alten (2019), ist die Fantasie der Betrachter:innen bei den Zeichnungen nun völlig frei. Es gibt nichts, an dem man sich optisch oder erzählerisch festhalten könnte, nichts, das abstrahiert wird. Dennoch lässt die Künstlerin niemanden im Regen stehen. Ihre sanften Schraffuren, die freundlichen Farben, Formen und Flächen sowie die fröhlichen Arrangements geben zwar nichts Bekanntes vor, unterliegen aber einer tiefergehenden Konzeption, die sich niemals aufdrängt. Frei von jedem unnötigen Beiwerk, das ablenkt, lässt Kohlweiß Raum für Gedanken und Assoziationen, die sich dorthin bewegen dürfen, wo sie sich wohlfühlen.
REALM TRANLSATION 14 - Rustico, Piemont, Italy color pencil on paper, 65x50cm, 2022
Chakren-Stimulation statt Programm
In der Einzelausstellung lässt sich auch die Entwicklung der Zeichnungen feststellen. Eines der ersten gezeichneten Bilder überhaupt, Seasons of Transitions (2022), entstanden mit einer großen Portion Abgeschiedenheit in einem der Räume im Lavanttaler Stiftskloster, weist noch Kringel, fast jugendstilhafte Schnörkel und einen Anflug von Perspektive auf. Die Arbeiten der Serie Realm Translations zeigen hingegen stärkere Kontraste, farbige Hintergründe und scheinen sich beim Ansehen fast zu bewegen. In Gefährte – Alphabet ist die Farbpalette reduzierter, die Bewegung zielgerichteter – kleine Ungereimtheiten in der Symmetrie erzeugen Spannung. Das Shapeshifter Couple lebt von Bewegung und Gegenbewegung; es scheint, als ob die Formen miteinander kommunizieren würden. In Secret Garden (2024) wird auf den Hintergrund verzichtet. Die Formen, die an Zellquerschnitte unter dem Mikroskop oder auch an Insektenköpfe erinnern könnten, sind in Form und Kontrast noch stärker reduziert. Die Farben erzeugen, wo sie aufeinandertreffen, Schatten, die jedoch nicht unbedingt modellieren. Genau das verstärkt den Eindruck der Mikroskopie, die ja ebenfalls gleichzeitig das Vordere und das Hintere zeigen kann. Vergleicht man die Arbeiten von Iris Kohlweiß mit anderen Kunstgenres, liegt der Vergleich mit Lyrik nahe: Lyrik, die mit wenig auskommt, aber bis ins letzte Detail präzise durchkomponiert ist und harmonischen Spielregeln folgt. Oder auch mit barocker Musik, die auf ein festgelegtes Programm verzichtet, dafür aber alle Chakren des Körpers gleichzeitig anspricht.
Iris Kohlweiss
Iris Kohlweiss wurde in Kärnten geboren und diplomierte 2000 im Fach Art and Design an der University of Derby, UK. Anschließend studierte sie Malerei und Animationsfilm an der Universität für angewandte Kunst in Wien, wo sie 2007 in der Meisterklasse von Christian Ludwig Attersee ihr Diplom mit Auszeichnung abschloss.
Iris Kohlweiss, Über die Architekturen der Wahrnehmung
ROOM OF FINE ARTS, Palais Trauttmansdorff Passage, Bürgergasse 5, A-8010 Graz
Dauer der Ausstellung: 16.11.2024 - 10.1.2025
Öffnungszeiten: Mittwoch - Freitag, 11:00 - 18.00 Uhr, Samstag, 11:00 - 15:00 Uhr und nach telefonischer Vereinbarung