Berge zwischen Kapitalismus und Mythos
Ausstellung: „Besessene Berge“, Forum Stadtpark
Text: Robert Goessl - 03.10.2025

Fotocredit: Philipp Sattler
Passend zum Jahresthema, bei dem sich das Forum Stadtpark als „Internationale Agentur für Enteignung“ bezeichnet, widmet sich die Ausstellung „Besessene Berge“ ausgehend von der Alpenrepublik bis in die weiten des Sonnensystems den menschlichen Beziehungen zu Bergen, wobei der Begriff „besessen“ sowohl auf den tatsächlichen Besitz von Land oder von Schürfrechten als auch als auf die emotionale Bedeutung von Bergen für Menschen bezieht.
Der Ausstellungsraum wird von der Skulptur „Verfluchtes Vlies“ von Paulina Semkowicz beherrscht, die sich von einem bis zum anderen Ende des Raumes zieht und einen Gebirgszug nachahmt. Sie besteht aus Gletschervlies, das im Sommer verwendet wird, um das Schmelzen der Gletscher zu verlangsamen. Normalerweise werden dafür paradoxerweise Materialien aus der Petrochemie verwendet, dieses besteht aus naturnahen und recyclebarem Material. Im Gegensatz zum weißen Original ist das Vlies tarnfarbenartig bemalt als textiles Abbild einer schmelzenden Gletscherlandschaft und bildet so eine Gebirgsstruktur, in die sich andere Teile der Ausstellung einbetten oder darum drapiert sind. Im Gebirge selbst befinden die Videoarbeiten von Marwa Arsanios, Fiston Mwanza Mujila und von Rose-Anne Gush und Philipp Sattler.

„Verfluchtes Vlies“ von Paulina Semkowicz (Fotocredit: kuma)
Die Rückgewinnung privatisierter Gebiete für alle
Marwa Arsanios Video „Who is Afraid of Ideology? Part 4“ beschäftigt sich mit dem Besitz und dem Versuch, Land wieder öffentlich zugänglich zu machen. Konkret geht es dabei um einen ungenutzten Steinbruch im Nordlibanon, mit rechtlichen Tricks wie Mashaa und Wakf wieder zu Gemeineigentum zu machen. Der Film ist Teil einer viel längeren Arbeit, die darauf abzielt, den Grundstein für eine andere Zukunft zu legen. Arsanios’ Hauptziele bei diesem Vorhaben sind die Vergemeinschaftung des privaten Steinbruchs in den Bergen mithilfe einer landwirtschaftlichen Genossenschaft, die Erarbeitung von Lösungen zur Verbesserung der Bodenqualität und die Einbeziehung der örtlichen Gemeinschaft in den Prozess.
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Video „Who is Afraid of Ideology? Part 4“ von Marwa Arsanios (Fotocredit: Philipp Sattler)
Das Land ist nicht weg, es gehört nur jemand anderem, aber die Wunden bleiben
Rose-Anne Gush und Philipp Sattler zeigen in ihrer Video-Arbeit „How Does One Get to Own a Mountain?!“ die globalen Veränderungen und Vernetzungen, die durch den Bergbau entstehen mitsamt der Ausbeutung von Bodenschätzen und Menschen. Und die Wunden, die diese in der Natur und der Gesellschaft hinterlässt. Sie zeigen aber auch den Widerstand, den Verkauf von öffentlichem Eigentum auf Kosten der lokalen Bevölkerung mit sich bringt, auch wenn er meist vergeblich ist, weil dabei globalen kapitalistische Interessen wichtiger sind. Ausgehend vom aktuellen österreichischen Beispiel des geplanten Lithium-Abbaus in der Koralpe durch einen australischen Konzern, der das Material zur Weiterverarbeitung nach Saudi-Arabien verschifft wird, wird der Besitz von Bergen und die Globalisierung der Auslagerung von umweltschädlichen Praktiken hinterfragt. Auch wenn in Österreich sauberer Abbau unter Tage versprochen wurde, so findet die Umweltverschmutzung in weiterer Folge nur weit weg und damit für Österreich nicht mehr sichtbar statt. Irgendwie scheint es dabei auch logisch, dass das Abbaugebiet seinerzeit um einen symbolischen Schilling privatisiert wurde.
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Video-Arbeit „How Does One Get to Own a Mountain?!“, Rose-Anne Gush und Philipp Sattler (Fotocredit: Philipp Sattler)
Die Gegenwart des Kongos als Zukunft der Alpen
Als Prolog zur Ausstellung gab es eine szenische Lesung von Fiston Mwanza Mujila Text „Après les Alpes“, der sich die Alpenwelt in der Post-Wintersport-Apokalypse vorstellt und die postkolonialistischen Verhältnisse umkehrt: „Wir verkaufen die Alpen, […], wir schürfen für den globalen Süden“. Auszüge des Textes hängen vor Ort und können mitgenommen werden. Ins Gebirge eingebettet ist von ihm das Video „Minengesänge“ einer aktionistischen Lesung, in der er sich mit den Folgen des globalen Bergbaus in seiner ursprünglichen Heimat Kongo kritisch auseinandersetzt, in dem er traditionelle Lieder von Minenarbeiter :innen in einen aggressiven, zwanghaften und bedrohlichen Sprachrhythmus vorträgt.

"Wir verkaufen die Alpen" von Fiston Mwanza Mujila (Fotocredit: kuma)
Zwischen Romantik und Zubrot
Etwas Off-topic wirkt das „Eisenblütenkästchen“ eines unbekannten Bergmanns aus dem 20. Jahrhunderts aus Eisenerz. Diese Eisenblüten entstehen in eisenhaltigem Gestein, haben aber außer ihrem besonderen Aussehen keinen industriellen Nutzen. Sie wurden von Bergleuten gesammelt und kunstvoll in sogenannten Eisenblütenkästen drapiert, die sowohl als Familienaltäre als auch als Einkommensquelle durch den Weiterverkauf dienten.
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Eiseneblütenkästchen (Fotocredit: Philipp Sattler)
Die Spitze eines Berges als Spitze gegen vergangenes kolonialistisches Unrecht
Vor Ort ist auch ein Tresor, in dem sich der gekaperte abgeschnittene Spitz der Zugspitze befindet. Das Künstler: innenkollektiv PARA schritt in „Berge versetzen“ zur Tat aus einem konkreten Anlass: In Jahr 1889 schnitt der deutsche Geograf Hans Meyer die Spitze des Kilimandscharo ab und machte sie seinem Kaiser zum Geschenk, behielt jedoch einen Teil davon. Der Teil des Kaisers ging verloren, und der Teil des Geografen landete über Umwege in einem Antiquariat in Baden in Österreich. Das Ziel ist nun, diese zu restituieren. Um Druck auszuüben, schritten die Künstler zur Tat, und nahmen der Zugspitze die Spitze ab. Auf dem Tresor sind zwei Videos sehen, auf einem die Dokumentation der Tat, das andere zeigt den Inhalt des Tresors, die abgeschnittene Spitze. Dazu werden im Hörstück „Einen Stein zum Sprechen bringen“ die Hintergründe des Projektes erläutert.

„Berge versetzen“ von PARA (Fotocredit: kuma)
Nachdem die Gesetzeslage die Restitution in Zuständigkeitswirren quasi unmöglich macht, wählen die Künstler einen anderen Weg, den sie als „partizipative Restitution“ bezeichnen. Der Tresor samt Inhalt ist eine Leihgabe aus dem Gassi Museum für Völkerkunde in Leipzig, in dem sich auch andere Objekte mit zweifelhafter Herkunft befinden. So entnehmen die Künstler: innen Bausubstanz aus dem Museum, und fertigen aus diesem mittels 3D-Druck Repliken der von ihnen abgeschnittenen Spitze, die sie als „Skrupel“ um 25 € verkaufen, um dann die Kilimandscharo-Spitze dem Antiquariat abzukaufen und nach Tansania zurückzubringen. Wobei sich schon noch eine Frage stellt: Es ist nur ein kleiner Stein ohne geologische Besonderheit - wie kann dieser 40.000 € Wert sein? Es ist wohl die Geschichte rund um ihn, die ihn so einmalig und wertvoll macht. Es müssen also so einige Skrupel verkauft werden …
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Ein Skrupel von PARA (Fotocredit: Philipp Sattler)
Ein großes Buch für kleine und große Berge
Das überdimensionale Buch „Grimoire der Besessenen Berge“ von Rose-Anne Gush, Robin Klengel, Johanna Pichlbauer und Philipp Sattlerrundet die Ausstellung mit Geschichten über 17 Berge ab. Neben den Bergen aus der Ausstellung werden auch andere Berge vorgestellt, die aufgrund von wirtschaftlichen als auch emotionalen, aus religiösen oder auch nationalen Gründen Menschen beschäftigen. Man merkt dabei, dass es nicht nur auf die Größe ankommt, sondern oft auch um Mythen und Traditionen. Darunter sind u.a. auch der Olymp, der Berg Ararat, der Watzmann und auch der Olympus Mons auf dem Mars, der höchste Berg des Sonnensystems. Wir können die ehrgeizige Erstbesteigung von ihm durch Elon Musk kaum erwarten.
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„Grimoire der Besessenen Berge“ von Rose-Anne Gush, Robin Klengel, Johanna Pichlbauer und Philipp Sattler (Fotocredit: Philipp Sattler)
Fazit: Zwischen Faszination und der Ausbeutung von Bergen und Menschen
Worin liegt nun der Wert der Berge? Laut kapitalistischer Logik in ihrem Inhalt und deren Möglichkeit zur Vermarktung. Also in der Ausbeutung von etwas, dass allen gehören sollte oder deren Nutzen zumindest allen einen gerechten Anteil zukommen lassen sollte. Allzu oft geben Staaten ihr öffentliches Eigentum billig her, in der Hoffnung, dass sie damit etwas Zukunftsträchtiges ermöglichen. Zurück bleiben dann öde Landschaften als Besitzruinen. Aber solange sie intakt sind, scheint Bergen etwas Geheimnisvolles innezuwohnen, etwas, das Menschen seit Anbeginn der Zeit fasziniert. Es reicht von einfachem Naturgenuss bis hin zu überspannter nationaler Symbolik. Die Gruppenausstellung nimmt diese Gegensätze der sowohl überhöhten als auch ausgehöhlten Berg zum Anlass, um über Eigentum und Landschaft in Zeiten globaler und neokolonialer Ausbeutung nachzudenken.
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Die Spitze des „Verfluchtes Vlies“ von Paulina Semkowicz (Fotocredit: Philipp Sattler)
Ausstellung „Besessen Berge“ im Forum Stadtpark:
Kuratorisches Team und beteiligte Künstler: innen:
Rose-Anne Gush, Philipp Sattler, Johanna Pichlbauer, Robin Klengel
Künstler:innen: Marwa Arsanios, Rose-Anne Gush & Philipp Sattler, PARA, Fiston Mwanza Mujila, Paulina Semkowicz, uvm.
Öffnungszeiten:
17.09.25 - 11.10.25: Di-Sa 14:00 - 18:00
Spezielle Termine:
04.10. 19:00: Kurator: innenführung, Lange Nacht der Museen
05.10. 18:00: Film und Q&A mit Marwa Arsanios und dem Screening von „Who is Afraid of Ideology, Part 1“
09.10. 17:00: Kurator: innenführung
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Inhalt des „Grimoire der Besessenen Berge“ von Rose-Anne Gush, Robin Klengel, Johanna Pichlbauer und Philipp Sattler (Fotocredit: Philipp Sattler)