Plakate in ihrer natürlichen Umgebung

Poster gegen den Krieg

Text: Lydia Bißmann - 09.06.2022

Rubrik: Design

Maria Norazian ist Mitglied der 4th Block Community . (Credit: Grafprom)

Illya Pavlov und Maria Norazian sind ein Künstlerpaar aus der ukrainischen Stadt Charkiw, das in seit 2019 in Graz lebt und arbeitet.

Zusammen betreiben sie das Kollektiv Studio Grafprom und sind Teil der 4th Block Community, einer Poster Triennale in Charkiw. Die beiden sind für die wundervolle Open-Air-Posterkampagne mit Anti-Kriegs-Sujets von Künstlern aus aller Welt verantwortlich. Die Poster waren über einen Monat an Litfaßsäulen im Stadtraum zu sehen.

Illya Pavlov (Credits: Grafprom)

Von Mitte Mai bis Mitte Juni hingen an Litfaßsäulen in Graz 100 Plakate mit 50 verschiedenen Anti-Kriegs-Postern. Wie kam es zu der Aktion, die unter dem Titel „Stand up with Ukraine“ läuft?

Die Poster sind das Ergebnis eines Calls in der 4th -Block Community. Gleich nach Ausbruch des Krieges am 24. Februar startete das 4th Block Komitee den Aufruf an alle Designer, die jemals etwas mit der Triennale zu tun hatten, Anti-Kriegs-Sujets einzureichen. Manche davon können für Demonstrationen gegen den Krieg verwendet werden, andere sind eher für Ausstellungen in Galerien gedacht. Wir haben um die 1.000 Einreichungen bekommen. Designer aus Polen, Japan, der Ukraine und Brasilien haben Beiträge beigesteuert. Finanziert wurde die Kampagne von der Stadt Graz unter der Bürgermeisterin Elke Kahr. Geholfen haben dabei die Firma Ankünder, die uns einen Kultur-Rabatt gegeben hat und die Caritas, als Partnerin für die dazugehörende Spendenaktion.

Credit: Grafprom

Was ist die 4th Block-Bewegung, worum geht es dabei?

Seit 1991 sammelt und präsentiert das Festival The 4th Block alle drei Jahre Arbeiten von Designern aus mehr als 50 Ländern der Welt, die verschiedene soziale, ökologische und kulturelle Themen aus unterschiedlichen Blickwinkeln behandeln. Mittels Plakaten in prägnanter, bunter und verständlicher Form werden die Betrachter an die Themen herangeführt und zum Nachdenken gebracht. Die Plakate sind die Grundlage für Ausstellungen und Kampagnen, die laufend in der Ukraine und im Ausland stattfinden. Das Organisationskomitee von The 4th Block umfasst um die sieben Personen und wir beide sind ein Teil davon. Unsere Aufgabe ist die der Kuratoren. Es gibt immer einen Call für unterschiedliche Kategorien und verschiedene Themen mit Preisen und Gewinnern. Wir bekommen pro Triennale um die 2.000-3.000 Reaktionen auf die Calls und suchen dann bis zu rund 1.000 davon aus.

Credit: Grafprom

Wie ist der Name The 4th Block zu verstehen? Woher kommt er?

Es ist eine Anlehnung an den vierten Block im Atomkraftwerk Tschernobyl. Jener eben, der damals explodiert ist. Oleg Vglenko, der Gründer des Festivals, wurde damals im Zuge seines Militärdienstes 1986 nach Tschernobyl geschickt. Er musste dort keine radioaktive Erde wegschaufeln – seine Aufgabe war es, dort ein Kultur-Programm für die stationierten Soldaten zu gestalten. In der Sowjetarmee waren derartige Propaganda-Aktivitäten sehr wichtig. Er hat Fotos und Zeichnungen angefertigt und auch Geschichten geschrieben. Er gründete 1991 die 4th Block Triennale. Das allererste Thema war „Nukleare Bedrohungen" in Bezug auf seine Erfahrungen im Katastrophengebiet. Weil das auch in Japan ein großes Thema ist, nahmen viele japanische Künstler und Designer daran teil. Aus Japan kommt immer sehr gutes und schönes Design. Es hatte damals mit einer Ausstellung angefangen, nach zwei Jahren kam die zweite und einige Jahre später wurde daraus das Festival, wie wir es heute kennen.

Credit: Grafprom

Wie habt ihr die Sujets für die Kampagne Stand up with Ukraine ausgesucht?

Wir sind das Kuratieren und Aussuchen gewöhnt, wir machen das schon lange. Wir sind schon als Studierende 2004 zur 4th Block Community gestoßen. An der Staatlichen Akademie für Design und Kunst haben wir zu dritt unsere Abschlussarbeit über das 4th Block Festival verfasst. Es ging damals um den Auftritt des Festivals nach außen. Irgendwie sind wir dann einfach geblieben und wollten weiter mitarbeiten. Uns war es wichtig, dass die Sujets die Botschaft gut und innovativ transportieren. Wir sehen ein Poster immer als ein Art „performing message“. Als Designer arbeitet man ja immer mit der Form und der Funktion.

Credit: Grafprom

Warum ist es so wichtig, dass die Poster im Freien, im öffentlichen Raum hängen?

Der öffentliche Raum ist der natürliche Lebensraum für ein Poster. Sie sind ja dafür gemacht. Sie werden in Galerien zu einer Art domestiziertem Haustier gezähmt. Designer designen dann nur noch für andere Designer. Da ist prinzipiell nichts falsch daran, aber Poster in freier Wildbahn sind vom Aussterben bedroht. Eigentlich sollen sie ja draußen sein und dort ein wildes und abenteuerliches Leben führen.

Credit: Grafprom

Wie seid ihr beide ausgerechnet in Graz gelandet?

Wir haben bis 2019 – mit einigen Unterbrechungen für Stipendien und Jobs in USA Brooklyn, Sri Lanka, Spanien Barcelona, Italien, Polen - Krakau oder Warschau – in Charkiw gelebt. 2015, kurz nach Ausbruch des Krieges auf der Krim, haben wir eine Posterkampagne zu Gedichten von Sergej Zhadan gemacht. Die Gedichte handeln von Menschen in den Kriegsgebieten in Donezk. Zhadan hat Bücher und Lieder geschrieben, singt in einer Band und ist auch als Journalist tätig. Im Westen wurde er mit Büchern wie „Anarchy in the UKR“ bekannt. Wir gestalteten ein Buch und wollten dann Poster machen. Er war für uns wie die Erfüllung eines großen Traums, als wir unsere Sujets schließlich auf der Straße hatten. Keine 200 Kilometer entfernt tobte der Krieg. In Charkiw war aber alles ruhig, alle haben sich so benommen, als ob nichts geschehen würde. Wir wollten die Menschen mit unseren Plakaten aufrütteln und ihnen klarmachen, dass der Krieg auch bald zu uns kommen könnte. Mit diesem Sujets wurden wir dann an die Literaturhaus in Salzburg eingeladen und haben auf Einladung von Seppo Gründler und Thomas Wolkinger einen Workshop an der FH Joanneum abgehalten und eine Ausstellung in der Esc Galerie gemacht. Der Vorschlag kam von Mariija Donska, einer Jugendfreundin von uns. Daraus ist dann Ilijas Gastprofessur am Lehrgang für Design & Kommunikation geworden.

Poster mit Gedichten von Zhadan an einer Bushaltestelle in Charkiv. (Credit: Grafprom)

Wie wichtig sind für euch beide eure Wurzeln?

Charkiw ist eine Industriestadt. In den 20er- und 30er-Jahren gab es dort unglaublich herausragende Designer und Architekten, die das Bild der Stadt inspiriert vom Konstruktivismus und modernster Architektur bis heute geprägt haben. Es sind unsere Wurzeln, wir wollten sie nie verleugnen. Das zeigt sich auch in dem Namen für unser Studio. Grafprom ist ein Kofferwort auf Grafik-(design) und Prom (Promyslovist) - dem ukrainische Wort für Industrie. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben damals viele Künstler lieber prowestliche Namen verwendet. Wir wollten aber etwas, das cool klingt und unsere Herkunft einbezieht. Der Name ist auch eine Hommage an unsere Alma mater Hudprom, der Spitzname für unsere Universität, und das Derjprom Gebäude in Charkiw, als den ersten Wolkenkratzer aus Beton und Stahl in der ganzen Sowjetunion.

Credit: Grafprom