"Kunst thematisiert in immer das Dunkle"

Nachgefragt: Martin Kreidt, Regisseur

Text: Lydia Bißmann & Sigrun Karre - 15.02.2023

Rubrik: Theater

Credits: privat

Der Hamburger Regisseur Martin Kreidt hat 2022 die Griessner Stadl-Produktion "Moosbrugger will nichts von sich wissen" inszeniert. Nun ist er am 16. und 17. Februar mit dem Jelinek-Stück zu Gast im Grazer Theater am Lend.

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Sie haben bereits öfters für bzw. mit dem Griessner Stadl Stücke entwickelt. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit? Ist das künstlerische Arbeiten am Land ein anderes als in der Stadt?

Meine Bekanntschaft zu Ferdinand Nagele, dem Leiter und Gründer des Griessner Stadl, geht auf das Jahr 1987 zurück, als wir, damals beide noch Schauspieler, uns bei einem Projekt in Wien kennenlernten. Seitdem verkehre ich als Hamburger regelmäßig und mit großem Interesse in Stadl an der Mur. Natürlich ist diese Konstellation besonders, grundsätzlich aber ist der Unterschied zwischen Stadt und Land einfach vorhanden – egal ob in Deutschland oder Österreich. Man würde sich wünschen, dass das Beste aus beiden Welten bestehen bleibt – und sich gegenseitig bereichert. Ich glaube, dass dem Griessner Stadl dieser Spagat gelingt, sein Erfolgsrezept ist. Natürlich ist das Arbeiten dort anders. Es gibt zu wenig Geld, zu wenig Zeit, zu wenig Mittel. Dafür Kühe und Berge. Also beste Voraussetzungen.

Der Text Moosbrugger ist in Anlehnung an Robert Musils Mann ohne Eigenschaften 2004 entstanden, im Jahr der Verleihung des Nobelpreises an Elfriede Jelinek.  Hat man eine gewisse Ehrfurcht, wenn man den Text einer Nobelpreis-Trägerin inszeniert? Warum haben Sie sich gerade für diesen Text entschieden?

Es war ein Vorschlag von Ferdinand Nagele. Ich kannte ihre Romane, die ich als gewissermaßen typisch österreichisch in ihrer rigorosen und teils brutalen Negativität empfand. Die Theaterstücke habe ich nie gelesen. Der Ausdruck „Textfläche“ war und ist für mich ein Alptraum. Was soll man, wenn man an die perfekte Architektur etwa der griechischen Dramen denkt, mit einer „Textfläche“? Der Moosbrugger ist eben eine solche und dementsprechend war mein Unbehagen. Ich musste den Text sehr mühsam strukturieren, um in ihn hineinzukommen, ihn zu verstehen, ihn überhaupt lesen zu können. In der Arbeit, die immer eine intensive Beziehung mit einem Text ist, wuchs meine Achtung vor ihm und seiner Autorin. Ich finde es unglaublich, wie sie schreibt, brillant und hochkomisch. Der Nobelpreis spielte keine Rolle. Ein Text ist ein Text.

Ca. 80 Prozent aller Gewalttaten werden von Männern begangen, in Österreich wird aktuell über einen Anstieg von Femiziden diskutiert. Hatten Sie das bei der Arbeit mit dem Text im Hinterkopf?

Absolut. Ältliche weiße Männer machen Stück über Mannmordetfrau. Mir war   mulmig. Gottseidank ist der Text wenigstens von einer Frau. Die aber auch weiß und auch ältlich ist. Ein männlicher Autor wäre in jedem Fall zu viel des Guten gewesen. Aber wir machen Theater! Und da ist der Ort. Wir spielen das nicht auf einem deutschen Uni-Campus, sondern in Stadl an der Mur. Da liegen die Nerven in diesen Fragen noch nicht so blank. Vor allem glaube ich aber an Literatur, die, wenn sie Qualität hat, weit über diesen Themen steht, indem sie sie souverän und abgründig thematisiert. Das gilt für Jelineks Moosbrugger, und das gilt auch für einen ernsthaften Theateransatz. Wir haben das Stück schon oft und auch in Wien gespielt und hatten noch keine einzige Diskussion zu diesem Thema, was mich selber ebenso freut, wie wundert.

„Jedes Opfer ist nicht nur Opfer, es arbeitet mit allem mit, was es zum Opfer macht.“ heißt es im Text von Elfriede Jelinek. Was kann uns dieser Satz sagen?

Wenn ich ihn richtig verstehe, halte ich diesen Satz für außerordentlich klug. Er holt das Opfer aus seiner Ohnmacht und stellt es in einen Kontext. Das ist, worum es im Moosbrugger geht. Der Darsteller braucht das Publikum. Das Publikum den Darsteller. Täter braucht Opfer und andersherum. Alles hängt zusammen. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar. Ich muss bei dem Thema an Meghan und Harry denken. Das trifft in realen Gewaltzusammenhängen zwischen Individualpersonen nicht zu. Ist aber in kollektiveren Zusammenhängen ein interessanter Gedanke. Jelinek schreibt um die Ecke. Das kann uns nur guttun.

Menschliche Abgründe auf die Bühne zu bringen, ist das ein Angebot zur (Selbst-) Erkenntnis?

Es ist ein uraltes und hoffentlich ewiges Thema der dramatischen Kunst und nicht nur der. Ich meine, wen sehen wir auf der Bühne? Nehmen wir das Übelste: Ödipus. Inzest und Vatermord. Und all die anderen. Warum konsumieren wir Welten, in denen das Blut schwimmt? In denen Menschen sich betrügen, morden, vergewaltigen? Damit es dort geschieht und vielleicht – etwas weniger – in der Wirklichkeit. Wir konsumieren das Üble, um es zu bannen. Kunst thematisiert in immer das Dunkle. Sonst ist es Deko.
MARTIN KREIDT 1961 in Berlin geboren Besuch der Schauspielschule Stuttgart Engagements in Essen, Münster und Wien Regie-Studium in Hamburg Arbeit als freier Regisseur, Dozent, Texter Seit 2014 künstlerischer Leiter der Projektfabrik GmbH in Witten Lebt in Hamburg, verheiratet, 2 (erwachsene) Töchter