"Es muss eine rosa Mösenbrille her!"
Nachgefragt: Grischka Voss, F*ing Hot
Text: Sigrun Karre - 11.03.2023
Rubrik: Theater
Sie haben ein humorvolles Solostück über das Klimakterium geschrieben, das Sie am 11. März 2023 auch im Stieglerhaus spielen. Hat sie das Thema sofort begeistert oder waren auch gemischte Gefühle oder innere Widerstände dabei?
Im weitesten Sinne ist F*ING HOT! sogar ein Auftragswerk. Nach einer Vorstellung von meinem Stück “Bulletproof” über die weibliche Lust, schenkte mir eine Zuseherin eine Graphic Novel über das Klimakterium und sagte, ich solle darüber bitte ein Stück schreiben, das sei ein noch viel größeres Tabu. Damals hatte ich noch keine Wechselbeschwerden und legte das Buch erst einmal beiseite. Etwa ein halbes Jahr später bekam ich plötzlich furchtbare Gelenkschmerzen und konnte mich kaum mehr bewegen. Bei meinen Recherchen im Internet stieß ich schließlich auf Wechselbeschwerden. Ich musste feststellen, dass ich kaum etwas über die Wechseljahre wusste und begann das Internet zu durchforsten, las ein Buch nach dem anderen. Es machte mich furchtbar wütend, wie negativ der Tenor der meisten Bücher war, als wären die Wechseljahre gleichbedeutend mit dem Ende des Lebens. Aus dieser Wut heraus beschloss ich ein Stück über das Klimakterium zu schreiben, das diese spannende Lebensphase in ein positives Licht rückt, Frauen aufklärt und zum Lachen bringt.
Eben ist das Buch „Wechselhafte Jahre“ erschienen, in dem Schriftstellerinnen wie Bettina Balàka, Marlene Streeruwitz teils sehr persönlich über ihre Erfahrungen mit den Wechseljahren schreiben. Das Thema scheint derzeit gefühlt im „Raum“ zu stehen. Haben Sie dieses Gefühl auch?
Ich finde es fantastisch, dass dieses Thema endlich aus der Tabuzone heraus und ins Rampenlicht gestellt wird. Das Bedürfnis und Interesse von Frauen nach Aufklärung über die Wechseljahre ist enorm. In Wien waren bereits bei der Premiere von F*ING HOT! im Theater Drachengasse alle Vorstellungen ausverkauft und wir hatten jeden Abend zusätzlich noch lange Wartelisten. Es ist höchste Zeit, dass Frauen lernen zu sich und ihrem sich verwandelnden Körper, dem Alter zu stehen, es als normale Entwicklung zu sehen. Sich zu befreien vom Jugend- und Schönheitskult. Ich hoffe, dass auch die Medien endlich anfangen ältere Menschen so zu zeigen, wie sie eben aussehen, nämlich schön.
Credits: Klaus Vyhnalek
Frauen beklagen oft, dass sie mit dem Verlust von Fruchtbarkeit und jugendlicher Schönheit unsichtbar werden, andererseits stellt sich auch die Frage, ob eine Sichtbarkeit ausschließlich in Hinblick auf potenzielle biologische Reproduktion überhaupt erstrebenswert ist. Diskriminieren und reduzieren wir uns auch selbst? Wie sehen Sie das?
Ich habe ein Jahr lang Gespräche mit Frauen von Ende Dreißig bis weit über Achtzig zum Thema Klimakterium geführt und jede Zweite schilderte mir, dass sie sich jetzt als unsichtbar, geradezu geschlechtlos empfindet. Das hat mich unglaublich betroffen gemacht. Genau diese Sichtweise möchte ich mit meinem Stück bekämpfen. Es ist eine männliche Betrachtungsweise von Frauen, die uns in den Medien und in der Literatur präsentiert wird. Aber in der Realität sehen Männer Frauen überhaupt nicht so, bis auf ein paar negative Ausnahmen vielleicht. Ich glaube, dass Frauen sich oft einbilden, Männer würden sie nur schön und begehrenswert finden, wenn sie wie Barbiepuppen aussehen. Männer werden selber alt und kommen in die Andropause.
Dass Frauen ihrer Fruchtbarkeit nachtrauern, selbst wenn sie nie einen Kinderwunsch hatten, und glauben, mit dem Wechsel funktionslos geworden zu sein, ist meiner Ansicht nach ein Überrest des Frauenbildes im Nationalsozialismus. Es ist ungeheuer wichtig in unserer Gesellschaft klarzustellen, dass die Mutterschaft für eine Frau eine Option und nicht ein angeborener Instinkt ist, geschweige denn ihre Daseinsberechtigung. Umso mehr, da wir wieder an einem Punkt zu sein scheinen, an dem wir darum kämpfen müssen, dass Frauen darüber entscheiden dürfen, ob sie abtreiben wollen oder nicht.
Kennen wir nach wie vor nur den männlichen Blick auf Frauen? Wo ist der weibliche Blick?
Richtig, diesen weiblichen Blick versuche ich in meinem Stück zu schärfen und zu verstärken. Es muss eine rosa Mösenbrille her!
In ihrem Solo-Stück wird laut vom Matriarchat geträumt, an einer Stelle heißt es pointiert: „Das Patriarchat ist quasi die Rache des alten Penis“. Die Schriftstellerin Fatma Aydemir meint, dass auch Männer unter dem Patriarchat leiden und auch Frauen daran beteiligt sind, es aufrechtzuerhalten. Wie könnten wir da rauskommen und wäre das Matriarchat die Lösung?
Ich denke, das Ideal wäre, wenn wir endlich damit aufhören könnten genau definieren zu wollen, was weiblich und was männlich ist und begreifen würden, dass beides jedem Menschen innewohnt. Es geht für mich nicht um Patriarchat oder Matriarchat, sondern um ein Miteinander auf Augenhöhe.
Credits: Klaus Vyhnalek
GRISCHKA VOSS kam als Tochter des Schauspielers Gert Voss und der Dramaturgin Ursula Voss zur Welt. Ihre Ausbildung erfolgte von 1993 bis 1995 in New York und Wien. Von 1988 bis 1992 arbeitete sie als freie Kulturredakteurin für das Fernsehen (ORF). Außerdem schrieb sie u. a. Artikel für die von den Gebrüdern Fellner begründeten österreichischen Periodika Rennbahnexpress und NEWS.
Gemeinsam mit Ernst Kurt Weigel gründete sie 1997 das Bernhard Ensemble in Wien. 2017 verließ sie das Bernhard Ensemble und ist seit dem ihre eigene „One-Woman“ Company.
2001 gewann sie den Nestroy-Theaterpreis für die beste Off-Theater-Produktion.