Horváth-Stück mit einer Zwangsgemeinschaft aus „Versagern“
Kritik: „Zur schönen Aussicht“ im Schauspielhaus Graz
Text: Larissa Rexeis - 21.03.2023
Rubrik: Theater
Anica Tomić inszeniert am Grazer Schauspielhaus die tiefschwarze Komödie „Zur schönen Aussicht“ von Ödön von Horváth. Das Stück wurde 1926 geschrieben, erst in den 60er-Jahren in Graz uraufgeführt und ist nun bis Mitte Mai auf der Bühne des HAUS EINS zu sehen.
In das verwahrloste Hotel „Zur schönen Aussicht“ verirrt sich schon lange kein Gast mehr hin. Mittlerweile geistern hier nur mehr der Hoteldirektor Strasser (Fredrik Jan Hofmann), Kellner Max (Raphael Muff) und Chauffeur Karl (Sebastian Pass) herum. Der einzige Gast ist die Baronin Ada von Stetten (Steffi Krautz), von den Männern in gleichem Maße begehrt und verachtet. Sie alle sind gescheiterte Existenzen, die den vermeintlich besseren Zeiten nachtrauern, und ihre Tage mit Champagner und Liebeleien in den hohen, goldenen Wänden des Hotels vergeuden. Ihre dekadente Routine wird schließlich von der Nachricht gestört, dass Christine (Maximiliane Haß) ein Kind vom Hoteldirektor hat. Dem passt das so gar nicht und das Unheil nimmt seinen Lauf.
Raphael Muff und Sebastian Pass (Credit: Lex Karelly)
Mittendrin im Hotel „Zur schönen Aussicht“
Die Bühne, entworfen von Igor Vasiljev, vermittelt den Eindruck eines Etablissements, das zwar nie besonders nobel war, aber sich dieses Image doch sehr wünscht. Braungoldene, hohe Wände dominieren die Kulisse und lösen mit ihrer bürgerlich-biederen Textur ein Gefühl des Unbehagens aus. Rote Samtsessel, ein Grammophon und ganz viele Champagnerflaschen machen die pseudo-luxuriöse Umgebung komplett. Die Musik (Nenad Kovačić) gibt der Inszenierung einen himmlisch-unheimlichen Flair. Steffi Krautz tanzt dazu hypnotisch eine sinnliche Choreografie (Lada Petrovski Ternovšek), die auch ein Totentanz auf den Untergang von Mitgefühl und Eigenverantwortlichkeit sein kann, denkt man an die Zeit, in der das Stück entstanden ist.
(Credit: Lex Karelly)
Traurige Aktualität
Horváth gewährt einen Blick in die Abgründe der Menschen. Kriegsbegeisterung, Geldgier und der Hass auf Frauen prägen die Gestalten im Hotel „Zur schönen Aussicht“. Der Sektverkäufer Müller (Rudi Widerhofer) verkündet seine antisemitischen, faschistischen Parolen anfangs noch subtil, verliert dann aber seine Hemmungen. Wenig überraschend ist die Zustimmung, auf die er trifft. Eine große Krise verlangt nun mal nach einem Sündenbock, das kann man auch dieser Tage beobachten. Nicht weniger aktuell ist die Doppelmoral, mit der die Frauen konfrontiert werden. Adas sexuelle Offenheit wird von den Männern freudig begrüßt, aber nur bis die junge Frau Christine auftaucht. Plötzlich ist ihnen die kurz davor noch heftig begehrte Baronin zu laut, zu alt, zu freizügig. Christine wird währenddessen hemmungslos belästigt, ihr „Nein“ nicht akzeptiert und ins Lächerliche gezogen.
Rudi Widerhofer (Credit: Lex Karelly)
Empathie als Lösung
Dramaturgin Jelena Kovačić und Regisseurin Anica Tomić wollen die Wichtigkeit von Solidarität unter Frauen in ihrer Fassung des Stückes aufzeigen. In einem berührenden Schlussbild stehen beide Frauen im Regen. Dorthin gelangen sie durch eine Tür, die als Symbol für einen Neuanfang in ein besseres Leben verstanden werden kann. Sie sind, wenn auch nur für einen Moment, aus dem beklemmenden Zustand innerhalb des Hotels entkommen, wo die Schattenseite des menschlichen Charakters so ungefiltert zum Vorschein kommt.
Maximiliane Haß und Steffi Krautz (Credit: Lex Karelly)