Unhold & Frauengold im Schauspielhaus Graz

Kritik: Von einem Frauenzimmer von Christiane Karoline Schlegel

Text: Sigrun Karre - 24.09.2023

Rubrik: Theater

Sarah Sophia Meyer (Credit: Lex Karelly)

Die erste Premiere am Schauspielhaus unter Neo-Intendantin Andrea Vilter zeigt ein gutes Händchen für vergessene Bühnenliteratur und frisches, interessantes Theater am Puls der Zeit.

Die Neugier auf die erste Produktion der Saison unter der neuen Intendanz von Andrea Vilter war nicht gering, zumal die Uraufführung eines Textes von Christiane Caroline Schlegel, einer nahezu unbekannten Autorin des 18. Jahrhunderts, zum Auftakt Risikobereitschaft erkennen ließ. Der Pressetext zielt direkt auf die aktuelle Femizid-Thematik, die ausbalancierte Inszenierung des Stückes selbst ist an einigen Stellen explizit, aber nie plakativ. An diesem Theaterabend ergibt alles ein wohlüberlegtes, durchkomponiertes Ganzes, das nicht zu viel will, und sich dabei wunderbar klar und präzise entwickelt. Bühnenbild (Judith Oswald) und Kostüme (Sibylle Wallum) knallen im ersten Moment als farbliche Eyecatcher, wirken aber nicht überladen, sondern ziehen im Laufe des Abends die Aufmerksamkeit weniger auf sich als auf die Darsteller*innen. Die Live-Projektionen von Gerald Rotter rücken ebenso die Schauspieler*innen in den Fokus. Diese sind bis auf eine Ausnahme neu am Haus: Simon Kirsch spielt den mörderischen Frauenhelden als schmierig-manipulativen Tyrannen, der – abgesehen vom historischen Setting und Sprachduktus – eine sehr zeitgenössische Figur abgibt. An dieser Stelle sei angemerkt, dass der Text, der an einigen Stellen bearbeitet und „angereichert“ wurde, erstaunliche Einsichten liefert: Vor 245 Jahren und gut 120 Jahre vor der Freud'schen Psychoanalyse, zeichnete die Autorin den Charakter des Düval deutlich als malignen Narzissten, der fleißig Schuldumkehr betreibt. Mit „Sieh, wohin du mich bringst […] dir in diesem Augenblicke Unrecht zu tun“. versucht er seine Geliebte zum gemeinsamen Suizid zu überreden. Intendantin Vilter, die bei der Produktion als Dramaturgin mitgearbeitet hat, ist mit Regisseurin Anne Lenk eine tatsächlich spannende Textentdeckung gelungen, die sich in solchen Details erschließt.

Credit: Lex Karelly

Beschränkte Dichterfürsten

Sarah Sophie Meyer – als einzige mit der Bühne des Grazer Schauspielhauses schon länger vertraut – arrangiert sich als Marianne widerwillig, aber mit ehrlich empfundener Sympathie für die Kontrahentin, mit ihrer Rolle als betrogene Ehefrau. Diese Ambivalenz steht ihr gut. Auch das Konzept der (einseitigen) Polyamorie ist so neu offenbar nicht. Marielle Layher spielt die Geliebte Mally als bodenständige, selbstbewusste junge Frau, warum sie ausgerechnet dem offensichtlich toxischen Düvall verfallen ist, bleibt etwas rätselhaft. Annette Holzmann bringt als Frau von Doenberg lässig-elegante Beschwingtheit ins konfliktgeladene Spiel. Željko Marović als fescher Graf von Sternberg entwickelt sich vom „Ehrenmann“ zur zunehmend uneindeutigen Figur. Eine besonders detailliert gezeichnete Bühnenfigur ist die des Fränzchens, hinreißend verkörpert von Anna Klimovitskaya. Ihre Darstellung erinnert ein wenig an eine Struwwelpeter-Figur. Die Welt, in die das Kind mit weit aufgerissenen Augen schaut, ist eine stets bedrohliche.Der Charakter bietet sich auch an, um dem „Einzelfall“ eine kollektive Tragweite zu verleihen. Jeder Schrecken ist das Erbe nachfolgender Generationen. Dazu wird die historische Chronologie außer Kraft gesetzt und im (Puppen-)Spiel unter anderem Montessori zitiert. Die eingestreuten Zitate über schreibende Frauen von Schiller und Goethe sind hingegen zeitlich richtig einsortiert, war Schlegel doch eine Zeitgenossin der beiden Klassik-Heroes. Männlicher Geniekult schützt offenbar vor stets beschränktem Zeitgeist nicht.

Simon Kirsch (Credit: Lex Karelly)

Thriller mit Feingefühl

Christiane Caroline Schlegels bürgerliches Trauerspiel in fünf Aufzügen wird unter der Regie von Anne Lenk zum Bühnenthriller mit schnellem „Schnitttempo“, das durch Blackouts zwischen den kurzen Szenen simuliert wird. Auch die Musik (Camill Jammal) orientiert sich am Filmgenre und stellt sich nie dominant in den Vordergrund. Das erzeugt das Gefühl gespannter Erwartung des (bekannten) Endes mit Schrecken. Dass das Stück dabei nicht den Humor verliert, ist bemerkenswert. Das gelingt z. B. mit einem bitteren Zwinkern, wenn gebeutelte Ehefrau und Geliebte sich einen Schluck aus einer XXL-Flasche „Frauengold“ gönnen. Ein Backlash bzw. Vorgriff in die 1950er-Jahre und ihr erzpatriarchales Frauenbild. Das Finale selbst folgt nicht dem O-Ton, sondern ist in doppelter Hinsicht clever gelöst, ohne Kunstblut und in der Wiederholung dann auch noch mit einem dramatisch-abstrahierten Link auf das unheimliche größere Ganze. Fazit: Unprätentiöses, leicht zugängliches zeitgenössisches Theater mit viel Feingefühl und zahlreichen Details im „Tiefgrund“. Ein äußerst gelungener, sympathischer Auftakt!

Credit: Lex Karelly