Kunst, KI und Anarchie

Kritik: Vaters Staat und Mutters Natur, Zweite Liga für Kunst und Kultur

Text: Robert Goessl - 12.10.2024

Rubrik: Theater

Credit Nikolae David

Diese Performance in der Keil-Galerie am Griesplatz lebt von der Kraft der Assoziationen, für die sie den Raum bereitet. Es geht um den Bruch mit einem alten System und die Neuerschaffung einer Welt, die den Geist von Donna Haraway versprüht.

Der Vater Staat ist verstorben, und aus einem Backofen wird gerade das alte graue Brot des Großvaters, das dort gebacken wird, entnommen. Die drei Töchter (Claire Terrien, Vera Hagemann und Anto Manhartsberger) bleiben mit seinen Hinterlassenschaften zurück, während sie das alte weiße Brot des Vaters in den Ofen schieben. Sie lassen live per KI eine Traurede verfassen, die dann auch vorgetragen wird. In der Rede offenbart sich eine Gedankenwelt beherrscht von Strenge, Ordnungsliebe und Wissenschaftsaffinität. All das, um seinen Töchtern ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit in einer Welt voller Gefahren zu bieten, um für sie mit all dieser Strenge als Beschützer da zu sein. Doch fühlen sich die Töchter in dieser vergangenen Welt nicht mehr wohl, sie wollen damit abschließen und einen Neubeginn wagen. Aber was soll man mit den Hinterlassenschaften anfangen und wie diesen Neubeginn wagen?

Credit Nikolae David

Eine Natur-Backstube für das Morgen

Während das alte weiße Brot des Vaters in dem Ofen noch gebacken wird, wollen sie das Bestehende dekonstruieren und den Versuch starten, dieses neu zusammenzusetzen. Dabei bedienen sie sich der Symbolik des uralten Kulturguts Brot und den Bestandteilen des Brotteigs. In einer Zeremonie werden die Zutaten Mehl, Salz, Hefe und Wasser vermengt, wobei dem Wasser als Zeichen der Veränderung eine fluoreszierende Farbe hinzugefügt wird. Das Gemisch wird auf die drei aufgeteilt und zu einem Teig geknetet und neu geformt, der Teig muss gehen – und zwar neue Wege und dabei die Natur zulassen, die Hefe soll als Teil eines großen Ganzen ihre Arbeit tun. Teil des Rituals sind auch immer wieder KI-Lieder im deutschen Pop-Sound, die beschreiben, wie der Teig zu fertigen ist, um das Brot gebacken zu kriegen.

Credit Nikolae David

Rückbesinnung auf sich selbst als Teil der Natur

Sie vereinige die drei Teile zu einem Ball, dem sie nachjagen, in einem Ritual eines symbolischen Kampfes, in dem sie zu Tieren als ein Teil der Natur werden. Danach ziehen sie sich erschöpft den Teig zum Ruhen zurücklassend um ein Lagerfeuer zurück, beratschlagend, um flüsternd eine Sprache zu finden und dabei auch neue Narrative für das Morgen zu entdecken. Doch „das morgen macht müde“ und so begeben sie sich zur Ruhe in den zahlreichen Unterschlüpfen, die die Bühne bietet.

Credit Nikolae David

Das Neue ins Mehl schreiben

Das neben dem Teig, der noch immer vorn in der Mitte der Bühne ruht, von dessen Fertigung am Boden übrig gebliebenen Mehl wird mit viel Hingabe gesiebt, und es entstehen weiße Mehlkreise am Boden. In diese wird der neue Anfang als Sprache festgehalten: „Nie wieder wie immer!!!“ Danach kann es an die Neuformung des Teiges gehen – das Ritual wird fortgesetzt: Jede der drei formt auf unterschiedliche Weise einen langen Teigwulst. Die drei Stücke werden an einem Ende zusammengefügt, gemeinsam eifrig zusammengeflochten und das Ergebnis zu einem Kranz zusammengerollt. Der alte weiße Teig des Vaters wird aus dem Backofen genommen, um nun den neuen gerade gefertigten Teig in den Backofen zu geben: Damit ist der Anfang vom Morgen geschafft, aber eben nur der Anfang, der Rest muss sich noch daraus entwickeln, eines ist jedoch sicher: „Das Anthropozän ist zu Ende – jetzt wirds wild!“

Credit Vera Hagemann

Die Performance fordert durch ihr assoziatives Raumgeben die geistige Partizipation des Publikums, die jedem Kopf andere Gedanken hervorrufen wird, eine Herausforderung, die mitunter unerwartete Ergebnisse für einen bereithält. Es wird versucht, eine andere Form des Menschseins in einem anderen System zu finden, in mystischen Ritualen zurück zu einem Ursprung zu gehen – zurück zu einer Einheit mit der belebten und unbelebten Natur und zu einer Enttechnokratisierung.

Credit Nikolae David