Dunkler Performance-Dreiklang in der Trollfabrik

Kritik: Troll, Franz von Strolchen

Text: Sigrun Karre - 24.03.2024

Rubrik: Theater

Credit: Edi Haberl

In Teil drei der ‚Trilogy of the Broken‘ beschäftigt sich Franz von Strolchen nach ‚Cables‘ und ‚Boji‘ in 'Troll – The Dark Triad' mit falschen Wahrheiten. Uraufgeführt und aktuell zu sehen im Theater am Lend.

Trolle der norwegischen Mythologie und des New Digital Age haben eines gemeinsam: Sie sind inkognito aktiv, und einer ihrer wichtigsten „Skills“ ist Boshaftigkeit. Während erstere erfundene Fabelwesen sind, erfinden zweitere selbst Fake News. Regisseur Franz von Strolchen alias Christian Winkler verschmilzt in „Troll“ alte Mythenfigur und neuen Mythenerfinder zum dreiköpfigen Personal einer fantastischen Trollfabrik, in der sowohl komische als auch beklemmende Momente produziert werden. Erst aber trifft sich ein ehemaliges Grazer Performancekollektiv namens „Tellerrandgruppe“ zur Podiumsdiskussion auf der Bühne. Wie viel Realität steckt in der (Theater-)Fiktion? Mit dieser Frage wird bewusst gespielt, immerhin ist eine der Figuren, dargestellt von Zaid Alsalame, Schriftsteller und Regisseur und heißt Christian Winkler. Auch Nika Schwarz (Nina Ortner) und Roland Gratzer (Ivica Dimitrijevic) scheinen Realo-Lebensläufe vorweisen zu können. Gründungsjahr ihres längst aufgelösten Kollektivs ist das Kulturhauptstadtjahr 2003. So weit, so realistisch. Aber was ist schon Realität in Zeiten von Infokrieg, Deep Fake, Trollfabriken und der Möglichkeit jederzeit beliebige (Online-)Identitäten anzunehmen? Realität ist Verhandlungssache, einig werden sich die drei jedoch nicht. „Es entstehen Löcher in der Zeit“ wird gemunkelt und eine steile These aufgestellt „Das Jahr 2003 war eine Erfindung von uns“. An der Stelle muss der Kulturhauptstadt-Slogan „Graz darf alles“ doch relativiert werden, findet Zaid Alsalame als Christian Winkler. Wer will schon die 50 Millionen am Gewissen haben, die in diesem Jahr weltweit verstorben sind? Überhaupt sind die drei bei ihrem Treffen nach 20 Jahren keine allerbesten Freund*innen, da kommt der Untertitel der Performance ins Spiel. Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie gelten in der Psychologie als dunkle Triade der Persönlichkeit; ebendiese Eigenschaften wirft man einander vor. Aus Sticheleien entsteht ein handfester Disput, der in einer Art „Regisseurbeschimpfung“ gipfelt, während Nika, der weibliche Part der Trias, keine Lust mehr hat, die Moralische und Fleißige zu sein und Roland als Hacker und Troll enttarnt wird. Dann folgt die Verwandlung. Der naturalistisch-ironische Prolog schwenkt abrupt in eine detailreich konstruierte Fantasiewelt, in der ganz ohne gesprochene Worte und im Dunst von Theaternebel bei dämmriger Beleuchtung, Wahrheit ans Licht kommt. Die drei sind zu Trollen, halb Fabelwesen, halb Cyber-Schwindler inmitten einer nerdigen Computerhöhle mutiert.

Credit: Edi Haberl

Trollfabrik im Kressehunger

Die geniale Ausstattung von Markus Boxler, angereichert durch Videos (Martin Brunnemann)  wird lichttechnisch von Nina Ortner großartig in Szene gesetzt und verschmilzt mit der Audioebene. Diese wiederum ist ein eigener "trolliger" Soundkosmos, bestehend aus der Musik der wunderbaren Anna Anderluh, rhythmischen Lauten und Geräuschen inklusive wieder und wiederkehrendem Windows Shutdown-Sound. Die drei Performer*innen (Anna Anderluh übernimmt für Nina Ortner und verbindet Live-Musik mit Troll-Performance am Mischpult) stecken in absurd-behäbigen Fatsuits. Ihr Gang ist schleppend, jede Bewegung schwerfällig, ihr Leben eine eintönige Wiederkehr vom täglichen Troll-Kampf am Computer um das monetäre Tagesziel. Denn ohne Kohle keine Kresse und die liebt ein Troll angeblich eben, auch wenn er das Tageslicht scheut. Weitere Informationen zu dieser Spezies, die man nun bei ihrem Dasein beobachten darf, gibt es am Screen: „Trolle sind der Liebe fähig, ihrer aber überdrüssig“. Globus und Lava-Lampen blinken gedimmt, die Computerbildschirme leuchten in der sonst dunklen Szenerie; musikalisch werden die Nullerjahre mit Britney Spears, Limp Bizkit und Christina Aguilera wieder lebendig. Wenn Trolle nicht gerade trollen, ein Google-Mantra singen, am Kühlschrank verunfallen oder schlecht schlafen, kugeln sie sich ein, blättern sentimental im KI-generierten Troll-Album und sind dabei nicht unsterblich. Am Ende gibt es noch eine explizite Conclusio via Screen, da wäre weniger mehr gewesen. Den Spiegel, den man vorhält, müsste man nicht auch noch benennen. Eines muss man Franz von Strolchen lassen, sein Ansatz als Theatermacher ist uneitel, er fordert das Publikum lieber, anstatt Erwartungen zu bedienen. Auf vorgefertigte Theaterpfade begibt er sich definitiv nicht, dafür ist er thematisch wieder einmal ganz nah dran am Zeitgeschehen.