Dynamisches Schwab-Medley von David Bösch

Kritik: Schwabgasse 94 im Schauspielhaus Graz

Text: Sigrun Karre - 15.01.2024

Rubrik: Theater

Credit: Stella Kager

Zu Neujahr 1994 starb Werner Schwab mit 35 Jahren an einer Alkoholvergiftung. Mit 'Schwabgasse 94' hat Regisseur David Bösch dem Grazer Dramatiker ein feinsinnig-trashiges Denkmal gesetzt.

"Theater ist ein herrlicher Schrottplatz." Diesen Werner Schwab-Sager hat Regisseur David Bösch zum Arbeitstitel für seine Hommage zum 30. Todestag des genialen Dramatikers aus Graz ernannt. Folgerichtig ist auch die Drehbühne (gelungene Ausstattung: Patrick Bannwart) eine einzige Messie-Parallelwelt, in der die Anordnung der Dinge einer zwang- und rätselhaften Logik zu folgen scheint. Die Collage aus Devotionalien, "Straßenpoesie", erdrückenden Küchen- und Wohnzimmerlandschaften, einem übergroßen "Fuck Mother"-Papst Johannes Paul II mit Winkfunktion und einem vampiresken Waldheim-Teufel, Müllcontainern und der ständig verstopften Kloschüssel wird zum Schlachtfeld verschiedener Figuren aus dem dramatischen Schwabfundus: Schwabs Alter Ego, der klumpfüßige Herrmann Wurm (Mervan Ürkmez) mit „Grazkunst“-Ambitionen aus 'Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos', wird von der bigotten Mutter Wurm schimpfwortgewaltig zur Schnecke gemacht. Die Bühne dreht sich weiter zu anderen Figuren der „Radikalkomödie“, zu Familie Kovacic, deren Oberhaupt (ein grauslich überzeugender Franz Solar) „ohne Vorsatz“ erst den Hamster ermordet, ihn dann in einer grotesken familiären Flöten-Zeremonie im Klo beerdigt und sich aus Geilheit auf seine beiden Töchter anpinkelt, von denen er im weiteren Verlauf samt Gattin während einer fröhlich-dissonanten Trällerei wie beiläufig um die Ecke gebracht wird. So absurd das alles ist, das Schwabische entwickelt seinen Sog, zum Lachen ist einem im Laufe des Abends zunehmend weniger. Katholizismus, Nazimuff, familiärer Kindesmissbrauch, toxische Mutter-Sohn-Beziehung, kurz, das reale Grauen von Verrohung und Traumatisierung, das einen so wahrhaftig aus Schwabs Kunstsprachschwall anspringt, ist auch in kleinen Häppchen serviert nach wie vor „keine Mäusescheiße“. Das kurzweilige Zitate-Potpourri aus Werken und Fragmenten aus den Arbeitsbüchern des Sprachberserkers erzählt keine stringente Geschichte und gerät in Sachen Figurenzeichnung naturgemäß an Grenzen, das könnte Schwab-Purist*innen enttäuschen. Regisseur David Bösch hatte aber wohl genau das im Sinn, „das Thema ist völlig egal, es geht um den Blick“, heißt es in einem Interview mit Werner Schwab, das im begehbaren Programmheft nachzulesen ist. Die Komplexität des Schwab-Universums wird nicht explizit ausgerollt, das gibt ein Szenen-Reigen erwartungsgemäß nicht her. Der Blick in die dunkelsten Gegenden der menschlichen Seele wird aber überdeutlich sichtbar. Zu den Höhepunkten des Abends zählt in der Kategorie „Drastik“ der sensationell gespielte 'Präsidentinnen'-Schlagabtausch zwischen Grete (Olivia Grigolli) und Erna (Karola Niederhuber). Rudi Widerhofer kann als Hundsmaulsepp, Nationalratsabgeordneter und Dichter sowohl sein komödiantisches Talent ausspielen als auch mit berührenden Monologen glänzen.

Credit: Stella Kager

Blume auf dem Schrott

Die Präsidentinnen-Figur der Klofrau Mariedl kommt als Solo auf die Bühne, Anette Holzmanns fein nuanciertes Spiel geht unter die Haut. Ihr wiederholter Griff ins Klo aus Berufung ist so abstoßend wie anrührend. Während annähernd alle anderen Figuren mit Mordfantasien oder anderen Grobheiten beschäftigt sind, besprengt die heilige Mariedl der Aborte eine Marienfigur mit der Klobürste und freut sich über ein aus dem Klo gefischtes Dosengulasch als Mahlzeit. Berührungsängste, also Handschuhe gibt es da nicht, „weil wenn der Herrgott die ganze Welt angeschafft hat, dann hat er auch die menschliche Jauche erschaffen.“ Eine romantische Annäherung zwischen der 'Präsidentinnen'-Mariedl und dem 'Volksvernichtung'-Herrmann in Schwabgasse 94 wird nur angeteasert. Ein feiner Einfall, der mit Präzision weitere zarte Töne zwischen wüsten Exzessen platziert. Bleibt die Frage: Darf man in Graz eine hiesige Ikone „zerschnippeln“ und als poppige Best-of-Revue inszenieren? Ist das Kommerz, Provokation und/oder Theater für alle? Die Antwort lautet: Unbedingt! David Bösch hat mit dieser Medley-Inszenierung etwas riskiert, Schwabgasse 94‘ ist niederschwellig gestrickt, hält aber durchgehend die Balance aus harten und zarten Emotionstriggern. Die ganze Tragweite der dramatischen Zumutung erschließt sich erst im Nachhinein, Schwabgasse 94 wirkt subtil nach und lässt einen nicht so schnell los. Langer Applaus nach zwei Stunden intensiven Spiels, auch wenn sprechtechnisch nicht jede*r Einzelne der Darsteller*innen dem Schwabisch gleichermaßen gewachsen ist.

Credit: Stella Kager