Von Todessehnsucht und Lebenssuche
Kritik: Schicksallosigkeit, Theater Quadrat
Text: Robert Goessl - 07.06.2024
Rubrik: Theater
Werner Halbedl (Textfassung und Schauspiel) und Alexander Kropsch bringen den "Roman eines Schicksallosen" von Imre Kertész und die Geschichte rund um seine Entstehung auf die Bühne. Sein "Galeerentagebuch" und seine nachgelassenen Tagebuchaufzeichnungen "Heimweh nach dem Tod" sind weitere literarische Quellen, die parallel zur Handlung des Romans auch die Arbeit, die der Autor dabei in seiner Gedankenwelt verrichten musste und welche Überwindung ihn das kostete, sichtbar machen. Der Literaturnobelpreisträger beschäftigte sich zeitlebens mit der Frage, inwieweit es möglich ist, eine Form zu finden, über den Holocaust zu schreiben. Auch und vor allem, wenn man ihn selbst erlebt hat.
Es beginnt mit dem Versuch der Erinnerung in einer einfachen Kammer mit Tisch und Plattenspieler im real existierenden Sozialismus Ungarns der Nachkriegszeit. Was ist und was war, ist nicht in Einklang zu bringen - Werner Habedl als Alter Ego von Imre Kertész kämpft um die Erinnerung und die Einordnung des Erlebten. Immer wenn es dann gelingt, sich in die Zeit zurückzuversetzen, begibt er sich nach einem kurzen Black zwischen den Reihen des Publikums ins Halbdunkel. Die Worte scheinen mit Bedacht gewählt, jedes einzelne wirkt wie mehrmals abgewogen und ist dabei doch schwer und leicht zugleich. Die Atmosphäre ist geprägt von Langsamkeit und gefühlter Zerbrechlichkeit, unaufgeregter Konzentration auf das Wesentliche und dem Zweifel, der Aufgabe gewachsen zu sein, ein Buch über das Erlebte zu schreiben oder ein Leben danach zu führen.
Credit Theater Quadrat
"Bis 1944 war es in Ungarn für Juden erträglich"
Der triviale Satz offenbart die Mühen, sich in eine Zeit zurückzuversetzen, die man heute als Teenagerzeit benennen würde - eine andere Art der Unbeschwertheit scheint da zu sein, das "noch Erträgliche" ertragend, die alltägliche Diskriminierung als zwar etwas ungemütlich aber letztendlich als normal zu empfinden und sich damit im Alter von 13 Jahren einfach an die Verhältnisse anzupassen.
Credit Theater Quadrat
"In einer Welt des systematisch betriebenen Mordes hat Angst keine Geltung mehr"
Als dann der Holocaust auch in Ungarn zu wüten beginnt, auf Enteignung und Arbeitsdienst die Deportation nach Buchenwald und Auschwitz folgt, wird aus der erträglichen Situation ein Kampf ums Überleben. Der Willkür ausgeliefert, scheint sich der Junge aus purem Überlebenswillen erst dennoch in die Verhältnisse ganz gut einzugewöhnen, Doch mit zunehmenden Schlägen und immer kleiner werdenden Rationen, beginnt sich das, was Haut und Körper zu empfinden vermögen, allmählich zu verflüchtigen, bis letztendlich alles Gefühl aus dem ausgemergelten Körper verschwindet.
"Ich, der ich all das durchgemacht habe, wovon ich schreibe, der auf 29 Kilo abgemagert war und schon einmal fast gestorben bin, habe das Recht, das, was mir geschehen ist, zu humanisieren. Es ist eine gütige Ironie des Schicksals, dass ich dieses Buch schreibe, weil mein Buchenwald-Abenteuer dadurch einen Sinn kriegt. Auf diese Weise humanisiere ich das Schicksal, die bloße Tatsache des Buches ist ein Protest gegen die schiere Zufälligkeit der Dinge."
Credit Theater Quadrat
Vom Los der Schicksallosigkeit zum Zugeständnis der Selbstermächtigung
Der hochkonzentrierte Abend zeigt einen verunsicherten Menschen, der nicht aufgehört hat, um sich und um die Erinnerungen an eine unvorstellbare Vergangenheit zu kämpfen, bei einer "Arbeit an sich selbst" zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und dabei für sich das unbegreifliche begreifbar zu machen, auf der Suche nach einer Art Erlösung aus dem "funktionalen Menschen", der sich ideologisch leiten lässt oder auch in den Lagern keine andere Chance hatte und so das "existentielle Erlebnis seines Lebens" versäumt also "ohne eigenes Schicksal" bleibt. Am Ende scheint in dieser eindrucksvollen, puristischen und eindringlichen Inszenierung die Stille in der Dunkelheit in einem Nachhall zu schreien:
"Vorausgesetzt, dass der Mensch auch unter den Bedingungen des Totalitarismus am Leben hängt, so trägt er mit dieser Wesenheit zum Erhalt des Totalitarismus bei: Das ist der einfache Trick der Organisation. Das Gefühl der Entfremdung, mit dem sich der Mensch dem Totalitarismus gegenüber verhält, ist ausschließlich mit dieser Erkenntnis zu beseitigen. Diese Erkenntnis und deren Akzeptanz bedeuten den Akt der Freiheit; doch dieser Akt der Freiheit, diese Erhellung - und damit das Akzeptieren der eigenen Beteiligung - stößt immer auf das Verbot der Überlebenden. So kommt das Los der Schicksallosigkeit zustande, so tritt der Mensch aus einer Entfremdung in die nächste, so hat nichts je ein Ende."
Noch zu sehen am Do 13., Fr 14., Sa 15. Juni um 20 Uhr
im Theaterhaus (Kaiser-Franz-Josef-Kai 50)
Karten: tickets@theater-quadrat.at oder 0699/17162819
Credit Theater Quadrat