Zwischen Glitzer und Camouflage, Hass und Liebe
Kritik: REVENGE. ELEKTRA SOLO, Christina Scheutz
Text: Robert Goessl - 18.10.2024
Rubrik: Theater
In dieser Solo-Performance erzählt Christina Scheutz mit der Live-Musikerin Anja Obermayer den griechischen Mythos als Geschichte der Frauen. Den Kern bildet Elektra als eine starke Frau, die sich trotz Widerstandes ihre Sicht der Dinge nicht nehmen lässt und an ihrer Moral festhält.
Christina Scheutz schlüpft auch immer wieder in die Rolle der Mutter und ihrer Schwester. Andere Stimmen kommen aus dem Off auf die Bühne, ergänzt durch Videos zwischen Panzer und Meer zwischen blutigen Realitäten und hoffnungsvollen Sehnsüchten. Musikalisch und gesanglich setzt Anja Obermayer auf zarte, ruhige Töne zwischen romantischem Pop und atmosphärischem Sound, der bisweilen im Vorder- und Hintergrund Emotionen verstärkt und der Inszenierung einerseits etwas mehr Glamour und andererseits etwas mehr Traurigkeit verleiht.
Credit Martin Schneider
Familienaufstellung im Haus der Atriden
Ein Tisch umgeben von leeren Sesseln erinnert an Elektras Kindheit, als noch alles in Ordnung schien. Zwischen ihrer Erinnerung und dem jetzigen Zustand klafft aber eine große Lücke: Elektra führt zwar die Figuren auf den leeren Sesseln ein, nur sind nicht mehr alle am Leben. Ihr Vater opferte ihre Schwester Iphigenie für den Trojanischen Krieg, worauf ihn bei dessen Rückkehr ihre Mutter Klytämnestra mit ihrem Liebhaber Aigisthos tötet. Ihr Bruder Orestes wurde ins Exil geschickt aus Angst, er könnte Rache an seiner Mutter nehmen. Über dem Tisch und den leeren Sesseln schwebt also Dunkelheit in Form von Schuld und Rachegelüsten und die diktatorische Macht, verkörpert von Klytämnestra und Aigisthos.
Credit Martin Schneider
Der Versuch, den Kampf aufzunehmen, scheitert
Elektra, als Prinzessin mit goldener Glamour-Glitzerbluse und kämpferischer Camouflage-Hose, will sich erheben und selbst die Hand zur Rache erheben für die Ermordung ihres geliebten Vaters nehmen. So versucht sie ihre jüngere Schwester Chrysothemis als Verbündete zu gewinnen, doch diese will sich in Zweifel der Macht fügen und sich den Verhältnissen anpassen:
"Es gibt Zeiten, wo Gerechtigkeit ein zu großes Risiko ist“.
Und als ein Fremder ihr die Urne mit der Asche ihres geliebten Bruders Orest bringt, zieht sie sich getrieben von Hass zurück in ihre Gedankenwelt.
Credit Martin Schneider
Die Wurzeln des Übels und deren Folgen
In einer Rückblende wird Klytämnestra Geschichte erzählt, die mit ansehen musste, wie ihre Lieblingstochter Iphigenie von ihrem Mann geopfert wird, und der danach zehn Jahre in einen blutigen und verlustreichen Krieg zurückzog. Die Widersprüchlichkeit zwischen ihr als liebender und zutiefst trauernder Mutter gegenüber ihrer toten Tochter und dem unbändigen Hass gegenüber ihrem Mann zeigt sich in der wunderbaren Szene eines „Bluttuch“-Tanzes, bei dem Jahr für Jahr ihre Verbitterung steigt. Sie erkaltet in ihrer Widersprüchlichkeit und am Ende wird mit ihrem Liebhaber der Mord an Agamemnon als letzte Konsequenz gnadenlos durchgeführt.
Credit Martin Schneider
Die Macht greift in ihrer Ohnmacht um sich
Sie sitzt angsterfüllt um sich schlagend auf ihrem Thron, flüchtet in die Überheblichkeit, um Elektra zu erwehren, und deswegen lässt sich in diesen Szenen keine Empathie für sie entwickeln. Sie gesteht sogar offen ihrer Tochter den Mord an Agamemnon und fühlt sich dabei im Recht eines endlosen Rache-Zyklus.
"Du bist eine Art Folterkäfig, der um mein Leben gesperrt ist."
Der Fremde, der Elektra die vermeintliche Urne mit der Asche ihres Bruders übergeben hat, gibt sich als Orest zu erkennen und nimmt die Sache in die Hand. Am Ende steht ein Doppelmord als fast romantische Konsequenz, die alle glücklich macht. Elektra fühlt sich wieder zu Hause geborgen und Chrysothemis passt sich den neuen Verhältnissen an.
"Wenn wir ein Gesetz machen würden, das besagt, Töten mit Töten zu beantworten, dann würdest du als Erste sterben, in aller Gesetzmäßigkeit."
Credit Martin Schneider
Obwohl Christina Scheutz Elektra als starke, kämpferische Frau zeigt, bleibt sie in Bezug auf Orest an den Originaltexten von Sophokles, Aischylos und Hugo von Hofmannsthal. Die Widersprüchlichkeit der fortgesetzten Rache wird nicht hinterfragt, und Elektra wirkt nur wie eine Rebellin im Geiste.
Trotz einer beeindruckend intensiven One-Woman-Show, die das Gefühlsleben Elektras in vielen Fassetten offenbart und das überzeugende Hineinschlüpfen in die Rollen von der sich in die Macht flüchtenden Klytämnestra und der opportunistischen Chrysothemis, ist diese Elektra in patriarchalen Strukturen gefangen, was bedeutet, dass es letztendlich eines Mannes bedarf, um die konkrete Handlung der Rache, also den Mord an der Mutter und deren Liebhaber auszuführen.