Mütter auf der Bühne
Kritik: Rabtaldirndln performen Ahnfrauen, Kristallwerk
Text: Lydia Bißmann/ Sigrun Karre - 20.01.2023
Rubrik: Theater
‚Ahnfrauen‘ ist eine Performance über Mütterkonstruktionen mit autobiografischen Sprenkeln. Nadja Brachvogel hat bei dieser Rabtaldirndln-Produktion Regie geführt und am Text mitgearbeitet. Es ist eine Koproduktion mit dem Theaterland Steiermark und dem Kosmos Theater Wien und in Graz noch bis zum 28. Jänner im Kristallwerk zu sehen.
Die Rabtaldirndln betreten und verlassen die Bühne über eine mit Satin und Plüsch kuschelig ausgekleidete Vagina. Diese gehört zu einer überlebensgroßen Venus von Willendorf-Puppe, die, von Lisa Horvath als zentrales Bühnenbild gestaltet, als Projektionsfläche für Videos, Fotos, Collagen und Textpassagen dient. Der Begriff ‚Mutter‘ ist die inhaltliche Projektionsfläche, die das Theaterkollektiv erforscht. Als Vorlage und Auskunftspersonen dienen die eigenen Mütter von Barbara Carli, Rosa Degen-Faschinger, Bea Dermond und Gudrun Maier, die in ‚Ahnfrauen‘ gewohnt gekonnt, mit Fingerspitzengefühl bei gleichzeitigem Mut zum Risiko und einem intrinsischen Gefühl für Komik, große Themen in kleinen Szenen verarbeiten. Was genau an den schön und liebevoll gezeichneten Frauenfiguren Wahrheit oder Fiktion ist, bleibt unklar, das erzeugt eine feine Spannung. ‚Ahnfrauen‘ ist weniger Stück als ein dramatisches Gesamtkunstwerk aus vielen Miniaturen. Hier wird gesungen, deklamiert, zarte Gesten transportieren großes Gefühl und gekonnt gespielter Slapstick sichert sich Lacher. Die Rabtaldirndln reihen, zwischen einer Art „Mösen-Genesis“ als herrlich-absurdes Video-Intro, und dem Finale, Szene für Szene entlang eines roten Fadens, der manchmal gar nicht sichtbar ist und sich in der letzten Szene wunderbar aufrollt. Dann, wenn sich die vier Mutterfiguren im Gasthaus treffen und auf ihre verpeilten Töchter warten. Davor wird mit vollem körperlichem Einsatz performt, werden Renaissance-Marienbilder nachgestellt oder wird aus Barbara Carli ein albtraumhaft zum Multitasking in Zeitraffer verdammtes Mutterklischee 2.0 .
Nikola Milatovic, Grafik: Martin Brachvogel
Pragmatismus und Zärtlichkeit
Das Stück navigiert geschickt zwischen Mutterrollen jeglicher Färbung durch, ohne anzustreifen. Es geht um die Themen unbezahlte Care-Arbeit, Überforderung und Haushaltsteilung, um den Zwiespalt zwischen Nähe und Distanz, es geht um die ewige Loser-Situation, in der sich Mütter, aber auch Kinder einfach immer befinden. Aber es geht auch viel um grenzenlose Zärtlichkeit, typische Laute oder auch Gesten der ersten Liebe des Lebens und den warmen Mutterbauch, an den man sich schmiegen kann, wenn es einem gut geht oder schlecht und sonst auch.