Beeindruckende Geschichtsaufarbeitung im Griessner Stadl

Kritik: PROTESTANTEN vertreibung aus der heimath von Thomas Perle

Text: Robert Goessl - 19.08.2024

Rubrik: Theater
Kritik: Protestanten Vertreibung Griessner Stadl

Credit Philipp Rirsch

PROTESTANTEN - vertreibung aus der heimath ist eine Wiederaufnahme des Auftragswerks von Thomas Perle, das im Sommer 2023 ebendort Uraufführung feierte.

Es ist ein leises Werk, dessen Wirkung dank der klugen, reduzierten Inszenierung von Martin Kreidt die Menschen und deren Geschichten im Griessner Stadl in Stadl an der Mur für sich selbst sprechen lässt. Ein vergessenes, dunkles Kapitel aus der Vergangenheit des Oberen Murtals wird in Erinnerung gerufen: In den Jahren 1773 bis 1776 kam es unter der Regentschaft von Maria Theresia zu den letzten Vertreibungen von Menschen evangelischen Glaubens, darunter auch aus Stadl an der Mur nach Siebenbürgen.
Kritik: Protestanten Vertreibung Griessner Stadl

Credit: Philipp Rirsch

Zwischen Glauben, Heimat und Freiheit

Am Anfang steht ein Chorlied des Komponisten Franz Zebinger, „Im Glauben gegangen fort, gefunden neuen Ort“, gesungen von Elisabeth Stemberger, Saha Esbati, Carlin P. Cornelius und Gabriel Popa, begleitet auf der Orgel von Walter Ofner. In dem Lied kommt mehr Trauer als Hoffnung zum Ausdruck.

Danach wird die Geschichte einer Familie erzählt, deren kleines Schicksal in der großen habsburgischen Geschichte zur Tragödie wird. Eine Frau (Susanne Stockinger-Puch), die dem Druck der klerikalen Obrigkeit nicht standhalten konnte und bereit war, zum katholischen Glauben zurückzukehren, bleibt mit ihrer Tochter in der alten Heimat. Ihr Mann jedoch hält an seinem Glauben fest und muss deswegen nach Siebenbürgen auswandern. Nun droht der schwangeren Tochter (Sophie Moser) ein ähnliches Schicksal. Sie und ihr Freund (Mino Dreier) stehen ebenfalls vor der „Wahl“. Laut Gesetz müssen alle Kinder unter 15 Jahren zurückgelassen werden, um vor Ort zu „ordentlichen“ Katholiken gemacht zu werden. Zumindest auf dem Papier wird ihnen im Falle des „freiwilligen“ Auswanderns Glaubensfreiheit garantiert.

Kritik: Protestanten Vertreibung Griessner Stadl

Credit: Philipp Rirsch

Gnadenlosigkeit und Berechnung der herrschenden Macht

Das fragile Spiel der drei Protagonisten wird von den Orgelklängen von Walter Ofner begleitet, wodurch ihre Ängste und Hoffnungen spürbar werden. Auch der Versuch der Obrigkeit, Zwist in die Familien zu bringen und zusätzlichen Druck auszuüben, wird deutlich. Das knallharte Machtkalkül, das darauf abzielt, die bestehende Ordnung samt Macht- und Vermögensverhältnissen zu bewahren, lässt diese Menschen wie Waren erscheinen, die dorthin verschoben werden, wo sie keine „Gefahr“ darstellen können. Schließlich ging mit der protestantischen Bekehrung eine höhere Alphabetisierungsrate einher, weshalb es galt, das „andere“ Volk vor einer solchen „Ansteckung“ zu schützen. Maria Theresia (Ferdinand Nagele) ist nicht an den individuellen Schicksalen interessiert und entscheidet von oben herab, nach macht- und wirtschaftlichen Kriterien. Zwar fürchtet man den neuen Glauben, möchte aber die Arbeitskraft der „Fehlgeleiteten“ für die Monarchie erhalten.

Kritik: Protestanten Vertreibung Griessner Stadl

Credit: Philipp Rirsch

Willfährige Helfer vor Ort

Im Beamtentum und Klerus vor Ort, gespielt von Ferdinand Nagele und Walter Ofner, findet man willige und teils übereifrige Diener, die in der Wahl der Mittel nicht zimperlich sind, um den Protestantismus auszurotten und die Menschen zur Rückkehr zum „einzig wahren“ katholischen Glauben zu zwingen. Dennoch hielten 178 Menschen an ihrem Glauben fest und traten die beschwerliche Reise nach Siebenbürgen an. Sie wurden nach dem damaligen Vokabular „transmigriert“, „transplantiert“ oder „transloziert“ – Begriffe, die letztlich nichts anderes als Zwangsumsiedlung und Deportation bedeuten. Psychisch, physisch und wirtschaftlich erschöpft, gelingt es nur wenigen, in der neuen Heimat Fuß zu fassen. Denn mit der „Transmigration“ ihres Vermögens ließ man sich Zeit, sofern sie überhaupt erfolgte.

Kritik: Protestanten Vertreibung Griessner Stadl

Credit: Philipp Rirsch

Ein phänomenales Gesamtkunstwerk als exemplarisches Beispiel

Die Inszenierung ist ein Gesamtkunstwerk und zeigt, dass das Ganze mehr als die Summe seiner Teile sein kann. Sie veranschaulicht eindrucksvoll, wie rücksichtslos Menschen in einem beherrschenden Machtgefüge miteinander umgehen können. Es sind seltene Theatermomente, wenn der Aufführungsort selbst zum wesentlichen Teil der Inszenierung wird, da er eng mit der erzählten Geschichte verbunden ist. Zur Zeit der „Transmigrationen“ war der heutige Griessner Stadl Teil des Gehöfts des ortsansässigen Priesters. Daher bedarf es keiner großen Bühne und keiner großen Worte. Der Raum ist bereits von der Geschichte erfüllt, die dank Ferdinand Nagele und Anita Winkler vom Griessner Stadl, der sensiblen Textfassung von Thomas Perle und dem konzentrierten Spiel des Ensembles, unterstützt von den Orgelklängen Walter Ofners, der Vergessenheit entrissen wurde. Die Resonanzen der Unmenschlichkeit aus der Vergangenheit hallen in diesem grandiosen Raum nach – in einer Zeit, in der ähnliche Vorgänge, nach neuem Vokabular „Remigrationen“, unter einer neuen Obrigkeit nicht mehr so unmöglich erscheinen.