Dramatisches Kleist-Streeruwitz-Pingpong

Kritik: Penthesilea, Schauspielhaus Graz

Text: Lydia Bißmann & Sigrun Karre - 13.02.2023

Rubrik: Theater

Marcella Ruiz-Cruz

Wir leben alle in einem unsichtbaren Rahmen aus Konventionen, das könnte man als eine der Kernaussagen vom dramatischen Kleist-Streeruwitz-„Pingpong“ ‚Penthesilea/Der Abend nach dem Begräbnis der besten Freundin‘ am Schauspielhaus Graz mit nach Hause nehmen. Das Stück ist noch bis Ende März zu sehen.

Vielleicht hatte Korbinian Schmidt diese Botschaft im Sinn, als er sich als zentrales Element seines imposanten Bühnenbilds einen himmelblauen 3-D-Rahmen einfallen ließ. In diesem gibt Regisseur Franz Xaver Mayr der Gestaltung von Bühne und Kostüm maximalen Raum. Er „malt“ vor farblich wechselndem „Passepartout“ mit den Schauspieler*innen eine Art Choreografie aus detailreichen, kunstvollen Szenengemälden, die sich über die starken Wortbilder der beiden Texte legen. Bei aller Tragödie, die sich bei Kleist und Streeruwitz textlich auftut: Trotz Tod, unerfüllter Liebe, sinnlosem Krieg und ungelebtem Leben bekennt sich die Ausstattung zu Farbe und Fantasie.

Marcella Ruiz-Cruz

Collage für alle Sinne

In dieser multisensorischen Bühnencollage darf auch (Live)-Musik nicht fehlen, die z. B. in Gestalt eines im schiefen Boden halb versunkenen Klaviers ins Bühnenbild integriert wird. An diesem erschafft Karolina Preuschl atmosphärisch aber subtil die klangliche Bildebene, während Aurora Hackl Timón an den Drums den Puls des Textes aufnimmt und steigert. Für die Texte selbst sollte man ausgeschlafen sein, denn die sind gehaltvoll, im quantitativen wie im qualitativen Sinne. Die Off-Text-Passagen wirken an manchen Stellen ein wenig gewollt, verschaffen der Aufmerksamkeit aber kurze Verschnaufpausen zum Nach- und Mitdenken. Die Idee der Darstellung einer Person durch wechselnde oder gleich mehrere Schauspieler*innen, die dank blass türkis bemalter Gesichter (fast) anonymisiert erscheinen, ist ziemlich clever. Immerhin sind Heinrich von Kleists Penthesilea und Streeruwitz‘ Roman-Fragment alles andere als klassisch spielbare Bühnentexte. Keine leichte Aufgabe für die Schauspieler*innen, die die Herausforderung beeindruckend meistern.

Marcella Ruiz-Cruz

Feminismus mit Understatement

Streeruwitz Monolog einer Frau, die ihre beste Freundin an den Krebs verloren hat, zündet von der ersten Sekunde. Beatrix Doderer im sagenhaft schönen Blumenornat knallt gleich zu Beginn den Text in die Herzen und Hirne. Man will mehr davon. Kleist spielt ein anderes Repertoire – nicht weniger sinnlich, aber sperriger und komplizierter zu fassen. Der Wechsel zwischen den sehr unterschiedlich geschmiedeten Stücken, zwischen denen exakt 200 Jahre Altersunterschied liegen, lässt auf den ersten Blick weder Rhythmus noch inhaltliche Anknüpfungspunkte erkennen. So bleibt es ein zweistündiges, intensives und spannungsvolles Nebeneinander zweier hochmusikalischer Texte, die beide auf höchstem Niveau um Worte ringen. Der feministische Blick, der sich durch die beiden Frauenperspektiven aufdrängt, wird aber mehr durch die Interaktion des Spiels, der Ausstattung und der Gesamtperformance der Inszenierung vermittelt als durch die Handlung. Das ist hoffnungsvoll, modern und trotz Neonfarben, üppiger Schminke und künstlicher Bärte herrlich subtil.

Marcella Ruiz-Cruz

Bühne und Kostüm in den Hauptrollen

Penthesilea/Der Abend nach dem Begräbnis der besten Freundin bietet einen gleichermaßen sinnlichen wie tiefgründigen Theaterabend, der mit gut platzierten Effekten auf mehreren Ebenen überrascht und entzückt. Neben der grandiosen Darbietung der Darsteller*innen, die hier eine in sich geschlossene Gruppenleistung abliefern, spielen Kostüm- und Bühnenbild eine glänzende Hauptrolle. Informationen zu weiteren Aufführungsterminen und Tickets