‚Die gezirpte Zeit‘ – poetischer Theaterabend nach einem Text von Sophie Reyer im TiK in Graz

Kritik: 'Paradis' im Theater im Keller

Text: Sigrun Karre - 14.04.2023

Rubrik: Theater
Paradis

Credit: TiK

Das Theater im Keller hat sich erneut eines Textes der spannenden Schriftstellerin Sophie Reyer angenommen. Am 12. April war Premiere und Uraufführung des Stücks „Paradis“ nach dem Text ‚Kein Licht, Licht - ein Langpoem für Maria Therisa von Paradis“.

Sophie Reyer beschäftigt sich in vielen ihrer Texte mit historischen Frauenpersönlichkeiten. Mit 'Kein Licht, Licht' entwirft sie mittels hochpoetischer Sprache ein feinnerviges Porträt der blinden Pianistin und Komponistin Maria Paradis. Die hochbegabte Zeitgenossin Mozarts und ihr historisch belegter Heilungsversuch durch den Arzt und „Magnetiseur“ Franz Anton Mesmer haben bereits Alissa Walser zum 2010 erschienenen Roman „Am Anfang war die Nacht Musik“ inspiriert. Reyers Langgedicht stützt sich inhaltlich unüberseh- bzw. unüberhörbar auf diesen Text, der nicht nur historische Fakten beinhaltet. Spannend am Stoff ist nicht nur die Frauenfigur der Paradis, die trotz Sehbehinderung und ihrer fremdbestimmten Rolle als bürgerliche Frau ihrer Zeit eine außergewöhnliche Biografie hinterließ. Auch die Vehemenz, mit der ein gerade einmal mit der Aufklärung „infizierter“ Zeitgeist sich gegen „das Unsichtbare“ stellte, wird sichtbar. Wer Parallelen zum Heute ziehen will, findet sie in der Neben-Geschichte des Arztes Mesmer, der an das Heilungspotential eines ‚animalischen Magentismus‘ glaubte, dafür als Scharlatan denunziert wurde, vielleicht ein Quacksalber oder Romantiker, vielleicht aber auch seiner Zeit voraus war. Mit seinen Behandlungsmethoden hat er womöglich die Freud'sche Psychoanalyse ansatzweise vorweggenommen. Mesmer wird der erste Mensch sein, den Paradis nach ihrer Erblindung als Kind sieht, am Ende wird sie (in doppelter Anspielung an das Siècle des Lumières und das esoterische Mantra?) sich doch für das Klavierspiel entscheiden: „Nix mit dem Licht. Nix mit der Liebe. Dafür: Musik, Musik.“
Paradis

Credits: TiK

Große Sprache auf kleiner Bühne

Ute Veroniqua Olschnegger gelingt es unter der Regie von Eva Weutz die Paradis ab dem Kindesalter, wie Reyers Text sie dichtet und erfühlt, mit ausdrucksstarkem und zugleich zartem Spiel zu verkörpern. Gleich zu Beginn werden starke Bilder erzeugt, wenn die kindliche Paradis sich mit zärtlicher Sprache die Welt aneignet – und verzaubert: „Und die geflügelten schulter Blätter. und das lichterne Stroh. Und die lohenden Ohren. und die Sternen Herde. Und die Polsterungen der Wolken. Und die Zucker kuppen gehören mir und das Honig Haar. Und die geduckte Stunde. Und das weggewischte Kind. Und das erinnern gehört mir. das erreichen und das immer. Und der Himmel gehört mir. Und die gezirpte Zeit.“ In Dr. Mesmer (Walther Nagler) findet die erwachsene Pianistin ihr einziges Bühnen-Gegenüber. Glaubwürdig bleibt Naglers subtiles Spiel in der Schwebe zwischen fürsorglicher Vertrauensperson, von Ehrgeiz getriebenem Heiler und von „verbotenen“ amourösen Gefühlen geleitetem Ehemann. Explizite Kommentare mit Tratsch und Klatsch-Potential zwischen den Szenen kommen von den Wiener Gesellschaftsdamen (erheiternd: Margit Gugerbauer und Petra Pauritsch), die via gut getarntem Drehstuhl in Erscheinung treten. Eine effektvolle Idee, ansonst sind Bühnenbild und Kostüm dem historischen Spielort der Handlung nachempfunden und erzeugen wenig assoziativen Mehrwert. Der Vogel-Käfig, den Paradis auf der Bühne gegen Ende hin auch einmal in Händen hält, mag als Bild für ihre eigene Gefangenschaft durch den Vater gedacht sein, der lieber eine blinde Tochter hat, als eine, die keine (Anerkennung und Geld bringenden) Klavierkonzerte mehr spielen kann. Eine vom „Naturalismus“ samt gepuderten Perücken befreite Ausstattung hätte dem hochmusikalischen Text vielleicht noch mehr Raum zum Atmen gegeben. Allemal ein wunderbarer Text und beachtlich gelungenes Spiel auf der kleinen Bühne. Mehr Informationenen und Aufführungstermine: Theater im Keller