Millennials auf Walfang

Kritik: Moby Dick, Schauspielhaus Graz

Text: Lydia Bißmann - 20.01.2023

Rubrik: Theater

Lex Karelly

Gemeinsam mit Schauspielstudierenden des 3. Jahrgangs der Kunstuniversität Graz hat der Hamburger Regisseur Lorenz Nolting den 900 Seiten Roman Moby Dick in 80 Bühnenminuten im HAUS DREI, im Grazer Schauspielhaus verwandelt. Entstanden ist daraus Stück, das daherkommt wie ein greller, poppiger Instagram-Stream, der der Hermann Melvilles literarischer Vorlage aber gerecht wird.

Gemeinsam mit Cornelia Mercedes Dexl, Flora Udochi Egbonu, Kathrin Gast, Lilian Heeb, Hardy Emilian Jürgens, Lena Elsa Kolle, Fabian Reichenbach, Johanna Schwaiger und Chen Emilie Yan hat Lorenz Nolting einen Text geschrieben, der die Performance der jungen Akteure perfekt in den Vordergrund rückt. Die neun Nachwuchsdarsteller*innen nehmen die Bühne in Sekundenschnelle für sich ein und lassen das Publikum bis zum Ende nicht mehr los. Ida Bekič hat die Truppe in neben viktorianischer Arbeitskleidung auch in bequeme Sportkleidung gesteckt, die mit intensiven Farben punktet. Albert Frühstücks Bühnenbild ist sparsam, aber multifunktional. Die Pooleinfassung samt Trittleiter kann als Plattenbau-Hochhausau oder Jagdschiff verwendet werden. Der Wal ist eine Art silberne Luftmatratze, die von den Zuseher*innen auch angefasst werden darf.

Lex Karelly

Walfang als Happening

Inspiriert vom Original, in dem unterschiedliche Textformen vorkommen und der nicht chronologisch aufgebaut ist, wird hier in der Zeit gesprungen, zwischen sozioökonomischen und naturwissenschaftlichen Kurzreferaten und TV-Show Elementen geswitcht. Fast nebenbei wird die Geschichte einer Truppe von Kids erzählt, die unbedingt den größten Wal von allen fangen möchte. Warum sie das wollen, ist nicht ganz klar, aber auch unwichtig. Der rachsüchtige alte, weiße Mann, Kapitän Ahab, kommt in dieser Moby Dick Fassung nur am Rande vor, die Besetzung des berühmten Walfangschiffes Pequod steht hier im Mittelpunkt. Auch der Wal, das große Ungeheuer, spielt eigentlich keine so große Rolle und muss sich neben einem weiteren Protagonisten behaupten. Der extrem resistente, freundliche japanische Matsutake Pilz, der allein nicht überleben kann und immer eine „Wohngemeinschaft“ mit einem oder mehreren Wirten braucht, kommt immer wieder vor und spendet Zuversicht in dem neoliberal gefärbten Szenario. Es geht um Beziehungen. Niemand ist gut allein.

Lex Karelly

Gruppendynamik im HAUS Drei

Vermittelt wird diese Hoffnung hauptsächlich durch die hoch konzentrierte Performance der Darsteller*innen. In der Gruppe und allein. Scheinbar mühelos meistern sie mehrere Sprechchöre, ohne dass auch nur ein Ton daneben geht. Treffsicher schaffen sie es sowohl hysterische Millennials, die so wirken, als wären sie bis über beiden Ohren mit Ketamin und Matetee angefüllt, als auch eine zusammengeschweißte Arbeitsgemeinschaft, die echte Angst vor den Piraten hat, dazustellen. Zu Walzerklängen tanzen sie in einer Odyssee im Weltraum Hommage kurz vor dem Schluss so, als ob es sich um eine Körperskulptur handeln würde, in der aber trotzdem jeder sein eigenes Ding macht. Hier, kurz vor dem Finale, bekommt das Stück kurz fast musicalhafte Züge, obwohl die kitschige Musik fehlt. Es ist der Text, der hier einen durchgängigen Off-Beat Rhythmus vorgibt und auch viel Tiefgang liefert, hätte man die Gelegenheit, sich darauf zu konzentrieren. Dafür passiert aber viel zu viel Tumult auf der Bühne. Man muss aber nicht zuhören, man kann sich bei dieser Moby Dick Version von den Worten und der Energie der Performer*innen massieren lassen und das Stück einfach als nahezu ganzkörperliches Erlebnis genießen.