Flauschiges Unbehagen mit Musik, Theater im Bahnhof

Kritik: Meine gekränkte Freiheit, Helmut Köpping/TiB

Text: Sigrun Karre - 25.04.2023

Rubrik: Theater
Meine gekränkte Freiheit, TiB

Credit: Johannes Gellner

Mit „Meine gekränkte Freiheit - Als mir meine kommunistische Bürgermeisterin erschienen ist“ startet das Theater im Bahnhof TiB in neuen Spielräumen in die Theater-Saison. Das Ensemble hat sich vorgenommen, mit seiner Arbeit ein Jahr lang unbestimmte Gefühlslagen, konkret Unbehagen, dramatisch zu erforschen.

Folgerichtig performt das Theater im Bahnhof mit „Meine gekränkte Freiheit“ keine chronologische, auserzählte Geschichte, sondern bietet über die simultane Bespielung von drei Räumen dramatische Bausteine für ganz individuelle Erzählungen an. Das funktioniert ein wenig wie ein Überraschungspizza-Bausatz, das Publikum wird zum rein intuitiven Co-Regisseur seines Stückes. Der „grauen Raum“ ist eine Art Kammer der Illusionen, mit Verdrehung und Spiegelungen. Eine Lichtkuppel ist nicht an der Decke, sondern am Boden montiert. Wenn dann zwei Darsteller*innen in teils gespiegelter Performance Lieblingslieder anstimmen und mit Gitarre begleiten, erinnert die beleuchtete Kuppel an eine Art LED-Lagerfeuer. Währenddessen betreten und verlassen weitere Schauspieler*innen den Raum. Schnell wird klar, die acht ident kostümierten Darsteller*innen stellen ein und dieselbe Person dar, die, wie später verraten wird, eine Frau ist. Das ist ein wenig schade, da das Spiel mit den Geschlechterrollen vielversprechend begonnen hat.
Meine gekränkte Freiheit, TiB

Credit: Johannes Gellner

Talk am Teppich

Ob das Uniforme auch ein Link zur Kommunismus-Debatte in Raum 2 ist, kann nur vermutet werden. Martina Zinners grandiose Interpretation von Wolf Biermanns „Als wir ans Ufer kamen“ ist in jedem Fall ein solcher. Der Bühnen-Illusion im Außen stellt sie Biermanns innere Desillusionierung über den DDR-Kommunismus entgegen. Im blauen Raum erwartet die Besucher*innen bei Wohnzimmer-Atmosphäre ein „Talk“ mit Anja und Jens-Uwe aus Berlin, deren Video-Aufnahme in die Live-Performance integriert wird. Ein Wollknäuel wird ausgerollt und das Publikum darf zu Fragen über Freiheit abstimmen. Die sind zwar etwas weichgespült, dafür muss man sich nicht anstrengen. Irritiert wird dieser gemütlichere Teil des Abends von unkommentierten Zitaten über ein Helfersyndrom, Strickjacken und Wurstsemmelkrümel am Revers der kommunistischen Bürgermeisterin.
Meine gekränkte Freiheit, TiB

Credit: Johannes Gellner

Yogawut und Glückskekse

Im Raum drei, dem orangen Raum, riecht es noch nach frischem Holz, die Sitzmöglichkeiten erinnern an Sauna-Bänke. Hier wird die These des libertären Autoritarismus untersucht. Der Begriff stammt von der Literatursoziologin Carolin Amlinger und dem Soziologen Oliver Nachtwey, die in ihrem Buch „Gekränkte Freiheit“ unter anderem schlussfolgern, dass Yoga „Kernbestandteil“ dieser von ihnen identifizierten demokratiefeindlichen Strömung ist, die die individuelle Freiheit über Werte wie Solidarität stellt. Von Yoga distanziert sich die Frau in Raum 3 allerdings, die (im individuellen Fall) die meiste Zeit von Jacob Banigan dargestellt wird: „Ich mache sicher kein Yoga, ich will meine Wut behalten!“ Sie fühlt sich ihrer Freiheit beraubt, weil sie nicht mehr ins Fitness-Studio gehen darf, um ihren Körper zu optimieren. Das Jahres-Motto „Unbehagen“ des TiB passt spätestens hier nicht schlecht. Wie suggeriert, schleicht sich ein diffuser Zustand des Wegdriftens ein, man kann nicht recht einordnen, ob man sich vom Klischee provoziert oder gelangweilt fühlt oder einfach abwartet. Nach starker, aber kurzer Performance von Banigan und der Verteilung von Glückskeks-Bruchteilen gibt’s zum Finale noch einmal einen Raumwechsel und einen sensationellen Gruppentanz aller Darsteller*innen zu Bonnie Tylers „Total Eclipse of the Heart“. Fazit: Regisseur Helmut Köpping hat ein spannendes Konzept entwickelt, das Neugierde weckt, aber auch ein wenig frustriert. Das große Ganze samt rotem Faden erschließt sich naturgemäß nicht. Zumindest nicht mit einem Besuch. Auf einen zweiten Besuch gibt es 50 Prozent Ermäßigung.
Meine gekränkte Freiheit, TiB

Credit: Johannes Gellner