Toxische Männlichkeit an der Kette

Kritik: Mein Hundemund von Werner Schwab, Theater Kaendace

Text: Lydia Bißmann - 06.11.2023

Rubrik: Theater

Sonja Kreibich, Felix Krauss und Dragana Avokadovich. (Credit: Anna Zora)

Alexander Mitterer inszeniert mit dem Theater Kaendace (Felix Krauss, Sonja Kreibich, Alexander Suppan und Dragana Avokadovich) im ARTist’s sicher eines der schwierigsten Schwab-Stücke. Die Familientragödie ist düster – es bleibt einem nicht nur das Lachen im Halse stecken, auch der Magen droht sich gelegentlich umzudrehen, bei der Fülle an Fleisch-, Verwesungs- und Verzweiflungsfantasien, die durch die sparsame, aber extrem gelungene Ausstattung (Sonja Kreibich) aus Blut, Leder und Ketten illustriert wird.

Mein Hundemund ist nach Die Präsidentinnen, Übergewicht, unwichtig: Unform und Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos der letzte Teil der vier Fäkaliendramen. Vor über 30 Jahren wurde mein Hundemund uraufgeführt, damals waren heimgekehrte und traumatisierte Nazi-Soldaten noch am Leben und präsenter als heute. Das Stück über einen sich und alle anderen hassenden Familienvater (Felix Krauss), der ständig an die Kette genommen werden muss, damit er nicht noch mehr anrichten kann, passt aber auch in eine Zeit, in der das Bewusstsein für Femizide und häuslicher Gewalt endlich ein anderes geworden ist. Der kriegsversehrte Hundemaulsepp säuft sich auf seinem Schweinehof konsequent ins Delirium und gibt dabei rauschgeschwängerte Philosophien von sich, die sich außer seinem Hund Ralf niemand mehr anhört. Der einzige Lichtblick aus diesem Moloch der Hoffnungslosigkeit sind die Sprachschöpfungen Schwabs, die mutig gegen die Tristesse der Selbstaufgabe ankämpfen. Gekonnt nutzt er dabei auch die endlosen Wiederholungen von betrunkenem Geschwafel als Kunstform.

Felix Krauss (Credit: Anna Zora)

Grenzerfahrung auf und vor der Bühne

Felix Krauss stemmt fast den ganzen Text alleine und muss das unter schwierigen Bedingungen tun. Trotzdem bleibt er dabei durchgehend konzentriert und fokussiert, auch wenn das gar nicht so leicht ist. Mit blutigem Schritt und zerfetzter Lederhose schlägt er sich regelmäßig selbst, wird geschlagen und zum Schluss mit gefesselten Händen am Halsband fixiert. Vermutlich gibt es beim SM-Equipment Sicherheitsvorkehrungen, trotzdem hofft man, dass er an dem Kunstblut am Boden nicht ausrutscht. Angekettet wurde er von seiner Frau, die von Sonja Kreibich trotz Domina-Kostüm verletzlich und verzweifelt gespielt wird. Sie wehrt sich, schlägt Sepp wie einen Hund mit der Zeitung, schmeißt ihn aus dem Haus, aber stößt eben an ihre Grenzen. Keine große Hilfe ist ihr dabei der Sohn (Alexander Suppan), der beängstigend leichtherzig gespielt, kein Geheimnis aus seinem Hass für den Vater macht. Der Autofreak ist nicht weniger toxisch als sein Antagonist, nur eben gewaschener, vitaler und nüchterner. Den Soundtrack zum tragischen Geschehen liefert Dragana Avokadovich im Hintergrund, die live mit eiserner Miene Balkanklänge, Techno oder die Kaiserhymne in die Hoffnungslosigkeit mischt, dabei aber diabolisch ungerührt bleibt. Alexander Mitterer hat mit dieser verstörenden aber sehr gelungenen und einprägsamen Inszenierung einen weiteren Beweis dafür geliefert, dass das politische Theater in Graz fest verankert ist. Theater Kaendace ARTist’s

Alexander Suppan, Sonja Kreibich (Credit: Anna Zora)