„Das Brot der Revolution ist der Tod ihrer Feinde“

Kritik: Mauser, Theaterzentrum Deutschlandsberg

Text: Robert Goessl - 08.04.2025

Rubrik: Theater
Mauser, Theaterzentrum Deutschlandsberg

Credit TZD

Anlässlich des 30. Todestages Heiner Müllers (1929-1995) zeigt das Theaterzentrum Deutschlandsberg unter der Regie von Simon Scharinger mit "Mauser" einen der poetischsten und widersprüchlichsten Texte des Autors, der in der DDR umgehend schriftlich verboten wurde.

Der Henker dient in diesem Stück der Revolution. Seine Aufgabe ist es, für sie zu töten, und das nicht als Mensch, sondern als Werkzeug. Seine dritte Hand ist der Revolver, mit dem er die zum Steinbruch hin gewendeten gefesselten Feinde der Revolution hinrichtet. Doch nun steht er selbst vor Gericht, denn er hat eigenmächtig gehandelt und damit versagt. Folglich soll er ebenfalls hingerichtet werden. In dieser Inszenierung wird der Henker von Adina Strahlhofer verkörpert, der sich aus der Masse eines anonymen Chores von Akteur:innen hervorhebt, und der trotzdem keinen psychologisch ausgearbeiteten Charakter, sondern nur einen Typus darstellt. Zu Anfang beeindruckt gleich die Bühne in ihrer Kargheit: Der Bühnenraum ist von oben her eingeschränkt und sonst gibt es nichts als ein großes, mit Schotter gefülltes Rechteck – die Wirkung ist erdrückend und bedrückend zugleich. Der verdichtete Raum ist in fahles Licht gehüllt, mit nur wenigen hellen Flecken. Jeder Schritt auf dem Schotter wird von den grau gekleideten Schauspieler:innen von einem Knirschen begleitet, womit jede kleinste Bewegung auf der Bühne hörbar wird (großartig reduzierte Ausstattung: Yvonne Beck). In wechselnden Aufstellungen und abwechselnd gemeinsam gesprochenen Sätzen agiert der Chor als anonyme Masse der Revolution, kompromisslos und wiederholend in seiner Sprache und in seinem Auftreten als Richter, Ankläger und Geschworene zugleich. Nur der Henker tritt immer wieder hervor, sich ebenfalls wiederholend in der Eintönigkeit des Tötens.
Mauser, Theaterzentrum Deutschlandsberg

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Die Unruhe in den Gedanken des Henkers

Doch beginnt die Sprachwand des Chors, an der alles Menschliche und Persönliche abzuprallen scheint, für den Henker zu bröckeln. Er stellt sich zunehmend Fragen über den Hintergrund der Schuld und über die Unwissenheit seiner Delinquenten. So beschreibt er auch die Todesangst seiner Delinquenten, die er zu spüren beginnt, und deren Angstschweiß im Nacken. Damit verwandelt sich der Chor auch in die Masse der Hinzurichtenden, die auf den Schotter knirschend in der Dunkelheit zu Boden fallen, bevor er wieder zur seelenlosen und kalten Masse der Ideologie der Revolution erstarrt.
Mauser, Theaterzentrum Deutschlandsberg

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Ein ausgelassener Tanz vor dem unausweichlichen Ende

Als Zeichen seiner Individualisierung und Menschwerdung beginnt der Henker allein auf der Bühne einen wilden Tanz – der Schotter fliegt dabei in alle Richtungen. Doch es folgt, was konsequenterweise folgen muss: In einer beeindruckenden und langen Szene der Stille beginnt die Säuberung: Die Mitglieder des Chors erscheinen nacheinander auf der Bühne mit Rechen, Besen und Wischmopp und bringen bedächtig und penible langsam die Bühne in ihren klinisch sauberen Ausgangszustand zurück. Dass in letzter Konsequenz der Henker selbst auch einsichtig seiner eigenen Hinrichtung zustimmen muss, treibt das Spiel auf die Spitze. Der Einzelne in der Masse wird vom Täter zum Opfer, wenn er beginnt, menschliche Züge zu entwickeln. Denn die Revolution braucht keine Menschen, sondern nur Werkzeuge.
Mauser, Theaterzentrum Deutschlandsberg

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Die Revolution frisst ihre Kinder

Das von Heiner Müller 1970 geschriebene Lehrstück wird in Deutschlandsberg von seiner konsequent reduzierten Seite gezeigt: Die schnörkellose und deswegen beeindruckende und bemerkenswerte Inszenierung führt den Text auf den Kampf eines Individuums gegen die Masse zurück, das von der Revolution verbraucht wurde und nun entsorgt werden muss. Der Konflikt zwischen Individuum und System wird auf diese Weise in seiner menschenverachtenden Dimension sichtbar. Sowohl der Chor in seiner Gesamtheit als auch der Henker fügen sich in dieses eindrucksvoll düstere Spiel ein, in dem die totale Ideologie zu einer zum Selbstzweck gewordenen Revolution verkommt, die zur Selbsterhaltung den einzelnen bedingungslos verschlingt. Es beginnt mit der Aufhebung der individuellen Verantwortung, es folgt die Gewalt im Namen eines Prinzips und es endet mit dem Nähren der Revolution durch das Töten der Feinde, die, wenn ihr die Feinde ausgehen, letztendlich auf sich selbst als Nahrung zurückgreift.
Mauser, Theaterzentrum Deutschlandsberg

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Mauser von Heiner Müller im Theaterzentrum Deutschlandsberg (Neue Schmiede): Darsteller:innen: Florentina Degiampietro, Thomas Gasser, Laura-Marie Kumpitsch, Marco Pessl, Lena Pöltl, Linda Petschnigg, Adina Strahlhofer, Gerd Wilfing Ausstattung: Yvonne Beck Licht & Technik: Francis Kügerl Regie-Assistenz: Johanna Aldrian Regie: Simon Scharinger Noch zu sehen: Do. 10. Apr.il 20:00 Uhr Fr. 11. April 20:00 Uhr Ticketlink
Mauser, Theaterzentrum Deutschlandsberg

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