Eine Welt des abgrundtiefen menschlichen Seins
Kritik: Kafka leuchtet, Daniel Doujenis/Andreas Fabianek/Michael Merkusch
Text: Robert Goessl - 08.12.2024
Rubrik: Theater
Anlässlich des 100sten Todesjahres von Franz Kafka erweckt im ARTist´s Daniel Doujenis dessen Texte zum Leben. Zusammen mit Andreas Fabianek und Michael Merkusch, die mit Gitarre, Keyboard und elektronischen Sounds für die musikalische Umrahmung und die Geräuschkulisse im Vorder- und Hintergrund sorgen, wird dieser Abend zu einer Raumklanginstallation mit Stimme, Musik und Sound.
Der erste Teil beginnt mit Selbstzeugnissen Franz Kafkas, die er kurz vor seinem Tod verfasste. In seinen letzten Lebensmonaten war er schwer von Lungentuberkulose gezeichnet, insbesondere eine Infektion seines Kehlkopfes machte ihm das Sprechen und Schlucken zur Qual. Nicht zuletzt aus diesem Grund entstand seine letzte Erzählung „Ein Hungerkünstler“, die Daniel Doujenis mit einer anfänglichen Jahrmarkt-Atmosphäre aufgreift.
Credit: Peter Wohlfahrt
„Hereinspaziert“ in die Welt eines Hungerkünstlers
Vom „Hereinspaziert“ zu Beginn wird die Erzählung zunehmend konzentrierter und bedächtiger. Man taucht in die Gedanken eines unverstandenen Menschen ein, der von seiner Umwelt als Kuriosum wahrgenommen und von seinem Impresario ausgenutzt wird. Doch er nimmt weder davon Notiz noch teilt er seine Gedanken mit anderen. Seine wahre Kunst und die Selbstverständlichkeit, mit der er das Hungern betreibt, bleiben allen anderen verborgen. Musikalisch unterbrechen Gitarrenballaden die Lesung und bieten Raum zum Innehalten, bis das unausweichliche Ende eintritt – ein langsames, aber konsequentes Verschwinden.
Credit Peter Wohlfahrt
Kafkas Welt erleuchtet und erklingt
Im zweiten Teil, bei der szenischen Lesung, wird es etwas spacig. Die Bühne ist von Licht durchflutet, voller Farben und wirft Schatten, als hätte sie ein Eigenleben, das sich mit den Klängen der Musiker vereint. Daniel Doujenis fügt sich in diese Atmosphäre ein und trägt die Texte mit Leidenschaft vor. Zeitweise bewegt er sich voller Energie über die Bühne und lässt seine Stimme mit fanatischem Elan erklingen. Eindringlich werden die Worte ins Publikum geworfen, das in eine Welt entführt wird, in der schwere, bedeutungsvolle Worte den Raum füllen. Sie bleiben dort hängen, gebunden an die akustischen und optischen Sphären, die geschaffen werden. Zwischen Schmerz und Verzweiflung werden Zustände dargestellt, die in ein Gefühl der Ausgeliefertheit münden, als sei das Leben vorherbestimmt und jeder Widerstand aussichtslos. Die von Doujenis gewählten Texte – „Von den Gleichnissen“, „Vor dem Gesetz“, „Der Steuermann“, „Ein Brudermord“ und „Der Geier“ – sezieren menschliche Abgründe zwischen tiefem Schmerz und unendlichem Warten, die von den Protagonisten in einer bunten, surrealen Düsternis hingenommen werden.
Credit: Peter Wohlfahrt
Fazit
„Kafka leuchtet“ ist ein intensiver Abend, der sich in zwei sehr unterschiedliche Teile gliedert, wobei der erste deutlich weniger intensiv wirkt. Er entspricht einer musikalisch begleiteten Lesung, bei der jedoch Daniel Doujenis' leidenschaftliche Art, dem Text seine Stimme zu verleihen, immer wieder beeindruckt. Der zweite Teil stellt ein echtes Gesamtkunstwerk dar, das in surreale Welten entführt und ein tiefes Eintauchen in Kafkas Texte ermöglicht. Bedauerlicherweise ist dieser Teil nach nur 40 Minuten bereits vorbei – ich hätte gerne noch länger in diesen kafkaesken Welten verweilt. Dabei wird spürbar, dass, wenn Kafkas Freund Max Brod seinem Wunsch entsprochen und alle seine Texte nach dessen Tod verbrannt hätte, die Literatur des 20. Jahrhunderts eine ganz andere gewesen wäre.
Credit: Peter Wohlfahrt