„Die Schuld ist immer zweifellos“

Kritik: In der Strafkolonie, Theater Quadrat

Text: Robert Goessl - 19.11.2024

Rubrik: Theater
Kritik: In der Strafkolonie, Theater Quadrat

Credit: Nicolas Galani

Das Theater Quadrat widmet sich in dieser Inszenierung seiner Spezialität, literarische Werke dramatisch atmosphärisch dicht umzusetzen. So wird Franz Kafkas Text über die menschlichen Abgründe zwischen Gewalt, Folter und unumgänglicher Schuld als mystischer Albtraum mit allen Konsequenzen gezeigt.

Der Delinquent (Werner Halbedl) wird von einem Wachmann (Lukas Deutsch) angeliefert. Beide wirken dabei wie Objekte, als wären sie auch nur einfache Requisiten in dem grausamen Spiel, das nun folgen soll. Das Folter- und Hinrichtungsinstrument ist zunächst verborgen. Die Ruhe, mit der Rudi Widerhofer als Offizier den Bediener verkörpert, hat etwas Gespenstisches. Es wirkt, als wäre er eins geworden mit der Maschine, fernab jeglicher Empathie, seine Gedanken sind mechanisch wie die Maschine ohne jegliche Menschlichkeit. Der Forschungsreisende, verkörpert von Alexander Kropsch, zeigt sich etwas desinteressiert an seinen Erklärungen, obwohl Rudi Widerhofers Beschreibung der Maschine etwas Mystisches anheimfallen lässt, nüchtern fasziniert in einer Welt des völligen Gehorsams und der totalen Unterordnung. Er lässt die Banalität des Bösen spüren, ebenso wie die Austauschbarkeit des Delinquenten, dem sein Urteil, das er selbst nicht kennt, vom Apparat auf den Körper langsam innerhalb von zwölf Stunden immer tiefer hineingeschrieben werden soll, bis er nach unendlichen Schmerzen dabei stirbt. Erst kurz vor seinem Tod kann er das Urteil erstmals auf seinem Körper lesen. „Er kennt sein eigenes Urteil nicht. Es wäre nutzlos, es ihm zu verkünden. Er erfährt es auf dem Leib.“

Kritik: In der Strafkolonie, Theater Quadrat

Credit: Nicolas Galani

Folter und Tod als bürokratischer Akt mit kunstvollen Details

Während sich der Offizier alle Mühe gibt, seine Maschine zu verteidigen, die vom alten Kommandanten der Strafkolonie konstruiert worden ist, und er einen schon fast an religiösen Eifer grenzenden Glauben an diesem erkennen lässt, versucht sich der Forschungsreisende nicht zu sehr auf das Ganze einzulassen. Obwohl mehr und mehr klar wird, dass er wohl deswegen hierher geschickt wurde, um über das weitere Schicksal der Maschine zu entscheiden. Zumindest ist der Offizier dieser Ansicht und möchte ihn mit aller Kraft von seiner Maschine und seiner Ansicht von Gerechtigkeit überzeugen. Er versucht, neben ausführlichen technischen Details, als würde er die Maschine für ein Kunstwerk halten, „es müssen also viele Zierraten die eigentliche Schrift umgeben“, auch die Notwendigkeit und die Ästhetik von Grausamkeit gegenüber dem Forschungsreisenden zu betonen. Es wird dabei aber auch klar, dass die Maschine nicht ganz ausgereift ist und sie auch infolge ihres mangelnden Wartungszustandes störungsanfällig ist.

Kritik: In der Strafkolonie, Theater Quadrat

Credit: Nicolas Galani

Ein Urteil wird vollzogen

Der Delinquent scheint das Ganze, auch die ausführlichen Erklärungen über die Brutalitäten im Detail, über sich ergehen zu lassen, als hätte er längst schon sich selbst aufgegeben und könnte sich selbst gegenüber keine Empathie mehr empfinden. Er lässt sich fast widerstandslos auf die Maschine schnallen. Der Forschungsreisende lässt dann doch eindeutig erkennen, dass er trotz des Eifers des Offiziers die Maschine nicht gutheißt, auch betonend, dass er glaubt, dass sein Urteil nicht maßgeblich gegenüber dem neuen Kommandanten sein wird. Dennoch zeigt dieses Urteil Wirkung, denn der Offizier beendet die Hinrichtung des Delinquenten und lässt ihn überraschend frei. Stattdessen schnallt er sich selbst auf die Maschine, denn auch er ist schuldig im Sinne des Forschungsreisenden. „Sei gerecht“ soll ihm vom Apparat auf den Körper geschrieben werden. Sein System der Gerechtigkeit macht auch vor ihm selbst nicht halt.
Kritik: In der Strafkolonie, Theater Quadrat

Credit: Nicolas Galani

Die Maschine fällt ihr Urteil über sich selbst

Doch die Maschine versagt, sie löst sich vor den Augen der Forschungsreisen auf, und so kommt der Offizier durch dieses Versagen sehr schnell und ausgesprochen unästhetisch zu Tode. Das Vermächtnis des alten Kommandanten scheint damit vernichtet, doch auf dem Weg von der Hinrichtungsstätte zum Schiff wird den Forschungsreisenden ein in einem Teehaus verborgenes Grab gezeigt, das die Anhänger des alten Kommandanten dort angelegt haben, dazu bereit, wenn sich die Chance dazu ergeben sollte, die alte Ordnung wiederherzustellen. Ihm bleibt nur die Flucht, bei der Hilfesuchende in der Strafkolonie zurücklässt.
Kritik: In der Strafkolonie, Theater Quadrat

Credit: Nicolas Galani

Wenn die Inszenierung gegen Ende vom Darstellerischen ins Erzählerische geht, verliert sie etwas an Intensität. Trotzdem macht die Kälte, die Distanziertheit, mit der sich die handelnden Personen auf der Bühne begegnen zu einer Erfahrung dessen, wozu Menschen fähig sind unter unbedingtem Gehorsam und dem Glauben, Gerechtigkeit beruhe auf Unterdrückungen und Willkür mitsamt der Feigheit, sich im Zweifel nur als Beobachter zu fühlen, der eine Verantwortung übernehmen möchte.
Noch zu sehen im Theaterhaus (Kaiser-Franz-Josef-Kai 50) Do 28., Fr 29., Sa 30. November jeweils 19 Uhr Karten:  tickets@theater-quadrat.at
Kritik: In der Strafkolonie, Theater Quadrat

Credit: Nicolas Galani