Das internationale Festival der Theaterimprovisation
Kritik: Improcup 2024, Theater im Bahnhof
Text: Robert Goessl - 26.11.2024
Rubrik: Theater
Das Theater im Bahnhof ist neben seinen Theaterproduktionen auch für seine hervorragenden Impro-Shows bekannt. Nahezu jeden „Montag“ kann man das im Orpheum Extra erleben, ein bis zweimal im Monat zeigt Jakob Banigan, der auch die Impro-Abteilung beim Theater im Bahnhof leitet, in „Game Of Death“ seine erzählerischen Fähigkeiten. Nebenher gibt es auch noch das Format „Serienjunkies“ und diverse Impro-Shows am Lande. In unregelmäßigen Abständen organisiert das Theater im Bahnhof auch ein internationales Festival der Theaterimprovisation in Graz.
Es ist etwas Zeit vergangen seit das letzte Impro-Festival mit internationaler Beteiligung 2018 stattfand. Aber wer erinnert sich nicht an den legendären Sieg von Martina Zinner beim Impro-Song-Contest als isländische Teilnehmerin im fantastischen Kleid oder an ein Highschool-Musical, in dem es neben Liebe auch um Curling ging?
Von 17. bis 21. November war es wieder so weit. An fünf Tagen wurden an unterschiedlichen Locations (Quartier Theater im Bahnhof, Orpheum Extra, Heimatsaal des Volkskundemuseums) verschiedene Formate präsentiert. Die internationalen Gäste dabei waren Anja Balzer (Herne, Deutschland), Oliver Rank (Halle (Saale), Deutschland), Sara Šoukal (Laibach, Slowenien), Billy Kissa (Brüssel, Belgien, aus Griechenland stammend) und Chris Mead (Surrey Hills/London, England). Jeder dieser Gäste brachte seine eigene Biografie, Persönlichkeit, Haltung und seinen eigenen Impro-Stil mit, mit dem sie oder er das Festival bereichert hat. Auch waren alle Gäste das erste Mal mit dem TiB-Ensemble auf einer Bühne.
Credit Johannes Gellner
„Laut am Sonntag“: Ein Kennenlernen auf Impro-Art
Los ging es in der Eröffnungsshow auf der Bühne des Theaters im Bahnhof, wobei auf dieser einmal alle Gäste und die vom TiB am Festival Beteiligten Platz nahmen. Die Besonderheit wurde aus Pia Hierzeggers Talkshowkonzentrat „Zu Gast“ übernommen: Jede und jeder wurde nacheinander auf einen heißen Stuhl gebeten, um eine von 160 vorgefertigten Fragen zu beantworten, die dazu gedacht waren, etwas Persönliches von der befragten Person zu erfahren. Die Nummer der Frage wurde dazu aus dem Publikum geholt und Pia Hierzegger bemühte sich durch konsequentes Nachfragen zu einer bestmöglichen Beantwortung zu kommen, mit viel Liebe, aber auch etwas Härte – zugleich streng und empathisch. Nach jeder Befragung begann das freie Spiel der Impro-Kräfte.
Gäste und TiB ließen ihrer Fantasie freien Lauf und setzten das Erzählte in kleine Szenen um, teils real, teils fragmentarisch surreal, mit ebenso großem Einsatz wie skurrilem Humor. Stilvoll chaotisch endete der äußerst unterhaltsame Abend als große Explosion zwischen dummen Katzen und wahnsinnigen Menschen. Und mit einer Bühne, bei der das Aufräumen wohl einige Zeit in Anspruch nahm.
Credit Johannes Gellner
Ein „Montag“ mit speziellen Momenten
Im Orpheum Extra am nächsten Tag mit denselben Akteur:innen ging es weiter. Die Bühne war aufgrund dessen mehr als gut gefüllt und es entwickelte sich eine Art "Montag-Extra-Large", wobei im ersten Teil ein Szenen-Marathon zu sehen war und im zweiten Teil jeder der fünf Gäste ein eigenes Impro-Format mit den anderen ausprobieren durfte.
Credit Johannes Gellner
„Gschissen gschmissn: Blöd gelaufen“: Die Wahrheit liegt im Müll verborgen
Mit den wahren Blind Dates ging es dann am Dienstag auf der Bühne des TiB los. Zunächst trafen dort in „Gschissn gschmissen“ Anja Balzer und Juliet Eröd miteinander aufeinander. Und damit auch Herne im Ruhrgebiet auf Graz in der ehemals grünen, nunmehr blauen Steiermark. Nachdem sich die beiden für den nicht mehr brauchbaren Titel entschuldigt hatten – frei nach dem Motto: Österreich unterscheidet sich von Deutschland durch die gemeinsame Sprache – ging es mit Geschenken der besonderen Art zur Sache. Beide Städte haben einen Schillerplatz und einen Europaplatz – was liegt da näher, als vor Ort den Müll auf diesen Plätzen zu sammeln und einander als Überraschungsgaben zu schenken? So entwickelte sich ein humorvoll zynisches Gespräch zwischen Moral, Politik und Abfall – zwischen bildungsfernen, sozialen Brennpunkten und gemeinsamen Hoffnungen mithilfe von unterschriebenen Einkaufszetteln, einem überraschend ansehnlichem Ring, leeren Parfümflakons und halb zerrissenen Wahlkampfflyern. Was zwangsläufig zur Frage führte: Ist Mario Kunasek Tankstellenbesitzer? Leider nein. Dabei lieferten beide eine energiegeladene Show ab, bei der sich vor allem Anja Balzer sehr beweglich und gesprächig zeigte – mit all ihrer beeindruckenden lebendigen Naturgewalt auf ihrem natürlichen Lebensraum Bühne.
Anja Balzer und Juliet Eröd (Credit Jacob Banigan)
„Blind Spot“: Zwischen verhängnisvoller Affäre und offener Zweierbeziehung
Beim anschließenden „Blind Spot“ zwischen Oliver Rank und Pia Hierzegger begaben sich beide auf die Suche nach Gemeinsamkeiten in ihrem Leben. Dabei fanden beide ein wenig Sport, viel Essen, viel Trinken und ganz viel Liebe – also irgendwas mit Stöcken, den Zwang zum Aufessen und Austrinken, und Affären mit verheirateten Partnern – genug Material, um daraus live eine skurrile Komödie zu machen. Es wurde daraus die Geschichte einer Ehe mit einsamer Frau und einem Mann, der auf jedem Kontinent weitere Ehefrauen hatte, wobei das Management der Situation für ihn in Südamerika am anstrengendsten und trotz Kindern in Asien am einfachsten war. Was lag da Frau näher, als Speerwerfen als Freizeitbeschäftigung für sich zu entdecken? Vor allem, wenn der Trainer noch dazu sympathisch wirkte! Und so ein geworfener Speer konnte natürlich auch bei der Lösung der ehelichen Probleme behilflich sein. Ein Abend im Rauschzustand samt besoffener Flugreise mit glücklicher Trennung und Happy End!
Oliver Rank und Pia Hierzegger (Credit Johannes Gellner)
„194 Kilometers Between Us“: Die dynamische Beweglichkeit der Ziffern mit abnehmender Distanz
Tags darauf im Heimatsaal waren im ersten Blind Date des Tages die Töne etwas leiser, dafür wurde es poetischer: Lorenz Kabas und Sara Šoukal begaben sich in ein Ziffernspiel zwischen Nähe und Ferne und dem Überwinden von Barrieren. Die drei Ziffern eins, neun und vier bildeten den Ausgangspunkt, sich in Bewegungen einander anzunähern, um einander auf einer Geburtsparty kennenzulernen – und dabei war auch ein wenig absurdes Theater im Raum zu spüren, vor allem, weil nicht so klar war, wer da eigentlich Geburtstag hatte. Zumindest keiner von den beiden. Bei den mitgebrachten Geschenken, einem Kastner & Öhler-Gutschein von Lorenz und einem Staubsauger von Sara, war aber klar, dass Sara wohl das persönlichere Geschenk mit dabei hatte. So näherte man sich auch in den Gesprächen vor allem einander an, mit einem herzlich gemeinsam gesungenen „Happy Birthday“ am Ende.
Sara Šoukal und Lorenz Kabas (Credit Helene Thümmel)
„Cat Ladies: Lonely together“: Von Katzen und Menschen allein zu Hause
Beatrix Brunschko und Billy Kissa hatten drei Dinge in ihrem Leben gemeinsam: Sie leben und arbeiten fern der Heimat, zeigen große Abhängigkeitstendenzen von ihren Katzen und waren schon etliche Male bei den gleichen Festivals engagiert, ohne einander zu treffen. Es war also an der Zeit, diese auf zwei zu reduzieren und die trennende Gemeinsamkeit zu beseitigen. Wie es sich für Impro-Schauspielerinnen gehört, passierte das gleich einmal auf einer Bühne im Heimatsaal. Gegenseitige Befragung führte zu einem Erfahrungsaustausch über Wohnen und Wohnungen und über Katzen und deren Eigenheiten. Auch ein kurzer Ausflug in eine Wellness-Oase konnte nicht darüber hinwegtäuschen, wer im Mittelpunkt ihres Lebens steht. Nicht ganz erst gemeint, aber voller Anekdoten entwickelten sich reizvolle Szenen voller Anschmiegsamkeit, Freundschaft und Empathie. Denn was gibt es Schöneres, als wenn man aus Sicht seiner Katze einfach nur ein warmes Kissen ist?
Billy Kissa und Beatrix Brunschko (Credit Johannes Gellner)
„Future Foundation: Handmade SciFi“: Absolute Gleichheit als utopische Dystopie
Mit Jacob Banigan und Chris Mead waren zwei positiv Wahnsinnige auf der Bühne, zwei begnadete Geschichtenerzähler, die einander Assoziationen zuwerfen können, die fast schon automatisch jederzeit eine Geschichte zum Explodieren bringen können. Die Idee, jemanden aus dem Publikum von seiner wissenschaftlichen Arbeit erzählen zu lassen, um daraus dann eine Science-Fiction-Geschichte mit gesellschaftlicher Relevanz zu machen, hatte es zusätzlich in sich.
Zwischen „Schöne neue Welt“ und „1984“ entwickelte sich eine Dystopie zwischen absoluter Kontrolle und absoluter Gleichheit, von der es fast unvorstellbar ist, dass sie spontan entstanden ist. Mit unzähligen Details, wie einem an die Person angepassten Exo-Skelett, das Schwächere stärker und Stärke schwächer macht, um alle Unterschiede zwischen den Menschen zu beseitigen, entwickelte sich eine Geschichte, die zu einer Revolution führte. Alle Menschen leben in Wohnungen von gleicher Größe, in Häusern gleicher Höhe, mit Hund, Katze und Balkon und gingen ihrer gleichförmigen Arbeit nach. Doch ein Traum weckte unter anderem die Begehrlichkeit, seine wahre Stärke spüren zu wollen. Da konnte auch der Social Coach, der in der Welt für die Gleichheit aller verantwortlich war, nicht helfen, wenn man sich fragte, ob es ein anderes Leben und so etwas wie eine Untergrundbewegung gab. Oder wäre sogar eine Revolution möglich? Der Traum, zum neuen Führer zu werden, voller Erotik und Macht, führte auch zu den Grenzen der Individualität, denn die Freiheit des einzelnen endet auch in der Realität bei der Freiheit des anderen.
Ein Feuerwerk der Impro-Spiel- und Erzählkunst als Parabel zwischen absoluter Freiheit und absoluter Gleichheit!
Chris Mead und Jacob Branigan (Credit Johannes Gellner)
„Alle gegen einen“: ein ungleiches Duell mit Eigendynamik
In diesem Format im Heimatsaal trat neben den bisherigen Akteur*innen nun auch Helmut Köpping in Aktion – er warft sozusagen den Laden, denn er vergab Punkte. Doch das Format erwies sich am Anfang als ein etwas schwerer Brocken. Zwischen einer und vier Personen wurden von ihm zur Seite gebeten und bekamen Kopfhörer aufgesetzt. Sie sollten nicht mitbekommen, welche Vorgabe er sich aus dem Publikum geholt hatte. Zum Beispiel waren da: Traumberuf: Physiker, Vorgang: Müll hinaustragen, Songtitel: Smells like Teen Spirit, Zustand: Angst allein zu sein.
Helmut Köpping (Credit Helene Thümmel)
Die Macht des Einen
Nachdem die zur Seite gebetenen Delinquenten wieder neben der Bühne stehen, durfte sich, wer auch immer von den sitzengebliebenen mochte, zwanzig Sekunden auf der Bühne austoben, um den Begriff oder Vorgang zu performen. Dann durften ein paar Minuten die Delinquenten zu dem Erlebten etwas in freien Assoziationen draufsetzten. Dabei entstand ziemlich verrücktes Zeug. Anschließend kam die entscheidende Frage, ob die Delinquenten die Vorgabe aus dem Publikum erraten konnten. Entsprechend gab es einen Punkt für das Ensemble oder für Helmut Köpping.
Credit Helene Thümmel
Die Kraft der Vielen
In der ersten Halbzeit war es etwas schwierig, doch in der zweiten wurde aufgedreht – es entwickelte sich eine soziale Eigendynamik innerhalb des Ensembles und auch mit dem Publikum. Der Funke sprang über und es wurde mitgefiebert. Die großartige Anja Balzer ging als Kapitalistenschwein von der Bühne ab und so wurde Helmut Köpping letztendlich unter großem Jubel von Publikum und Ensemble 6:4 besiegt. Vielleicht findet dieses Format ja auch mal an einem „Montag“ Verwendung – das Potenzial dafür war jedenfalls spürbar.
Credit Helene Thümmel
Ein Plädoyer für eine baldige Wiederholung!
An den fünf Tagen zeigte dieses Festival die große Bandbreite der Impro-Kunst und die netten und vielfältigen Gäste waren eine große Bereicherung mit ihren liebevollen Spleens und Ideen. Zwischen anarchistischem Humor, subtilen Andeutungen und poetischen Momenten war das Ganze von hohem Erlebniswert und eine Freude beim Zuschauen, für die nicht zuletzt auch das kreative Licht Moke Klengel und tolle musikalische Begleitung verantwortlich waren. Die Livemusik kam von Felix Klengel (Keyboard) und Michael Brandner (Gitarre) und als DJane war bei einigen Formaten Claudia Holzer für den Hintergrundsound verantwortlich.
Möge es bis zum nächsten Impro-Festival nicht wieder sechs Jahre dauern!
Credit Johannes Gellner