Zwischen Pflegeheim und Bühnenpoesie

Kritik: Immer noch hier, Schauspielhaus Graz

Text: Sigrun Karre - 13.04.2025

Rubrik: Theater
Kritik: Immer noch hier, Schauspielhaus Graz

Ensemble mit Statist:innen (c) Joe Ambrosch

Bei der Uraufführung von "Immer noch hier. Von Ängsten und Alten und alten Ängsten" am 11. April 2025 montiert Regisseurin Rebekka David Klassisches zu einem zähen Altersheimabend mit lichten Momenten.

Rebekka David, die schon mit ihrer letztjährigen, schrill-vergnüglichen Adaption von Leonce und Lena aufgefallen ist, bleibt ihrer Linie treu: Klassiker durch den Fleischwolf der Gegenwart zu drehen – mit Mut zur Überzeichnung und Hang zur ironischen Brechung. Erneut greift sie auf einen Großteil des bewährten "Büchner-Teams" aus 2024 zurück, diesmal allerdings bleibt vieles Stückwerk. David lässt Shakespeares König Lear, Molières Harpagon und Tschechows Onkel Wanja gemeinsam altern – in einem Pflegeheim, das sich selbst „Institut zur Überwindung der Angst vor dem Altern“ nennt. Die Idee: klassische Figuren in ein heutiges Alters-Setting verpflanzen und sehen, was passiert. Der Ort des Geschehens – eine Bühne in kühlen Blau-Gelb-Tönen von Robin Metzer gestaltet – bleibt bewusst trist: Tische, Stühle, Fernseher, einzig die gut sichtbar platzierte Wanduhr hat symbolisches Potenzial. Hier geht es um Zeit, Stillstand, um den Wartesaal des Alterns. Später verlagert sich die Handlung in den ähnlich unspektakulären Garten des Heims, der mehr oder weniger dezente Anleihen an den klassischen Stoffen nimmt. Der ästhetische Zugriff ist klar: funktionale Reduktion statt atmosphärischer Aufladung. Nur punktuell blitzt Poesie durch, etwa wenn einzelne Laubblätter wie im Takt der Musik zu Boden segeln. Miniaturen wie diese glimmen über den Abend hinweg immer wieder auf.
Kritik: Immer noch hier, Schauspielhaus Graz

Dominik Puhl, Simon Kirsch, Mario Lopatta (c) Joe Ambrosch

Ermüdende Ziellosigkeit

Die Grundkonstellation klingt reizvoll: Lear als dementer Greis, der immer wieder seine Tochter sucht. Harpagon, der sich panisch um sein „Vorsorgevermögen“ sorgt. Wanja, hier als greise Wodka-Liebhaberin, die mit Glitzergehstock und humpelndem Gang zwischen Glamour und Groteske changiert. Doch anstatt aus dieser Konstellation eine neue, tragfähige Dramaturgie zu entwickeln, bleibt die Inszenierung in der Montagehaftigkeit stecken. Die Fragmente der Originaltexte und lose Neutext-Versatzstücke fügen sich nicht zu einem Ganzen. Für eine Komödie fehlt es an Tempo und Pointierung. Für ein ernsthaftes Theater über das Altern wiederum an gedanklicher Tiefe und einem stringenten Textgerüst, das diese Figuren zu mehr als karikaturhaften Platzhaltern werden lässt. Im Vorbeigehen werden zeitgeistige Themen wie Pflegenotstand, Jugendwahn, Burn-out oder Transhumanismus gestreift – ohne die Handlung voranzutreiben oder neuen Erkenntnisgewinn.
Kritik: Immer noch hier, Schauspielhaus Graz

Rudi Widerhofer, Mario Lopatta, Dominik Puhl mit Statist:innen (c) Joe Ambrosch

Starkes Ensemble – im Rahmen der Möglichkeiten

Dass der Abend dennoch nicht zur völligen Leerstelle wird, liegt am stark aufspielenden Ensemble. Simon Kirsch gibt einen Lear, der mit Intensität und präzisem Spiel berührt. Mario Lopatta bringt als Harpagon eine Mischung aus Kontrollwahn und echter Angst vor dem Verlust auf die Bühne. Sarah Sophie Meyer gestaltet ihre Wanja mit Sinn für Überzeichnung, aber auch mit feinen Zwischentönen – sie entwickelt sich am stärksten und findet innerhalb der inszenatorischen Strenge überraschend viele Nuancen. Dominik Puhl überzeugt als Vetreter Frosine mit natürlicher Leichtigkeit und genderfluider Eleganz. Rudi Wiederhofer gibt dem Institutsleiter Dr. Rudi eine trockene Komik, die mehr über Vergänglichkeit erzählt als viele der Textbausteine. Und Anna Klimovitskaya spielt dessen rechte Hand, immer in Bewegung und wiederholt am Rande des Zusammenbruchs. Alle Darsteller:innen holen spürbar heraus, was herauszuholen ist – doch die Figuren bleiben in ihrer szenischen Zeichnung oft undankbar, archetypisch, zu selten entwicklungsfähig.
Kritik: Immer noch hier, Schauspielhaus Graz

Herausragend: Sarah Sophie Meyer gestaltet ihre Wanja mit feinen Zwischentönen,(c) Joe Ambrosch

Musik macht Geschichte

Es ist die Musik von Camill Jammal, die dem Abend jenen emotionalen Halt gibt, den der Text nicht zu leisten vermag. Wenn im Chor gesummt wird statt gesprochen, wenn über achtzigjährige Statist:innen einfach nur sind, sich in ihrer Präsenz zeigen, wenn die "echten Alten" und die Alten-Darsteller:innen gemeinsam „Forever Young“ singen und sich mit Sonnenbrillen dem Scheinwerfer-Licht entgegenstellen – dann entstehen Momente von ruhiger Kraft und leiser Ironie. Plötzlich wirkt der Abend weniger bemüht und beginnt, etwas über das Alter zu erzählen, was neugierig machen kann.

Fazit

Rebekka David hat sich viel vorgenommen – und das merkt man. „Immer noch hier“ ist ein ambitionierter Theaterabend, der zwischen Altersklischees und klassischer Referenz pendelt, dabei aber weder erzählerisch noch komödiantisch überzeugt. Was bleibt, sind einige starke szenische Miniaturen, ein hervorragend aufspielendes Ensemble und die Musik, die das Fragmentarische zusammenhält. Ein zäher Abend mit einzelnen atmosphärischen Szenen – schmerzlich ehrlich und doch seltsam fern.