Identität. Eine Überforderung.

Kritik: Identitti Rezeptionista am Schauspielhaus Graz

Text: Sigrun Karre - 21.03.2023

Rubrik: Theater

Credits: Lex Karelly/ SSH Graz

Identitti Rezeptionista nach dem (fast gleichnamigen) Roman von Mithu Sanyal unter der Regie von Simone Dede Ayivi am Schauspielhaus Graz, HAUS ZWEI.

Mit ‚Identitti Rezeptionista‘ steht ein weiteres Stück am Saisonspielplan des Schauspielhaus Graz, das sich mit dem Thema Identitäts-Politik beschäftigt und damit den Diskurs raus aus den Uni-Hörsälen holt und auf die Bühne bringt. Das kann als Indikator dafür verstanden werden, dass hier Theater als Versammlungskunst am Puls der Zeit verstanden wird, auch wenn das etwas sperrig werden könnte, oder teilweise Abwehrreflexe auslöst.

Rasante Prosa auf der Bühne

Identitti Rezeptionisa im HAUS ZWEI basiert auf dem 2021 erschienenen Roman „Identitti“ der Autorin of Colour, Mithu Sanyal, die ab diesem Jahr auch Jurorin des Bachmann-Preises sein wird. 400 Seiten rasante Prosa in 90 Minuten Drama zu verwandeln, ist keine leichte Aufgabe, die sich Regisseurin Simone Dede Ayivi vorgenommen hat. Das Vorhaben ist gelungen. Nur ab dem Punkt, wo die zentrale Frage offen im Raum steht, warum die Postcolonial-Studies Professorin Saraswati sich fälschlich als People of Colour ausgibt, hat das sonst dynamische Stück ein paar Längen und verliert stellenweise ein wenig den Faden

Credits: Lex Karelly/ SSH Graz

Es ist kompliziert

Eine zentrale Ambivalenz der Identitätspolitik wird aber sichtbar. Während in Bezug auf die Geschlechtsidentität freie Wahl besteht, bleibt die Hautfarbe eine Tatsache. Die Studierenden werfen der Professorin kulturelle Aneignung vor, sie unterstellt ihnen Rassismus. Dass strukturelle Ismen unseren Alltag prägen und eine multikulturelle westliche Gesellschaft inmitten einer globalisierten Welt nicht mehr nur aus einer durch blinde Flecken verengten Sicht einer privilegierten weißen Elite gesehen werden darf, ist Ausgangskonsens des Stücks. Im Verlauf des Geschehens zeigt es auf, wie sich aus dieser Erkenntnis aktuell noch im individuellen Fall weitere blinde Flecken, Reibungspunkte oder sogar weitere Ismen ergeben. Es ist kompliziert. Zu hoffen bleibt, dass nach dem Erkennen und Benennen der Ausgleich von historisch gewachsenen Ungleichheiten einsetzt und einmal keine trennenden Labels mehr gebraucht werden und keine Ausflucht mehr mitschwingt, wenn man, wie Saraswati im Stück feststellt: „Unter der Haut sind wir alle gleich“.

Credits: Lex Karelly/ SSH Graz

Der Kampf mit der Schublade

Starke Momente erlebt ‚Identitti Rezeptionista‘ besonders dann, wenn die vier Schauspielerinnen und „Quotenmann“ Alexej Lochmann, ihre eigene Geschichte reflektieren und auch vor Kritik am Theaterbetrieb nicht Halt machen. Vernesa Berbo, die gebürtige Bosnierin, erzählt abseits ihrer Rolle als Saraswati, wie schwer es war, mit Akzent Rollen am Theater zu bekommen, die sich nicht auf das Label „Ex-jugoslawische Migrantin“ beschränkten. Mit der stillen Message „Mehr Rollen am Theater für Frauen ab 50“, macht sie via Spruch-T-Shirt klar: Sich aus einer Schublade zu kämpfen, schützt nicht davor, umgehend in die nächste eingeordnet zu werden. Berührend ist der Schlussmonolog von Katrija Lehmann als Bloggerin Nivedita, deren Spiel bei allen Überdrehtheiten und hohem Sprechtempo Tiefgründigkeit erreicht. Das Bühnenbild (Lani Tran-Duc) besteht aus mehreren Fadenvorhängen, auf die Bilder projiziert werden. Das ist eine schöne Analogie zu den Unklarheiten und Unsicherheiten, die das menschliche Zusammenleben eben so mit sich bringt. Nichts ist glatt und eindeutig, alles ist in Bewegung, verändert sich ständig, Identitti Rezeptionista ist ein buntes, modernes Stück, das nicht nur mit dem Thema, sondern auch mit dem poppigen Appeal der Inszenierung besonders junge Menschen ansprechen wird.

Credits: Lex Karelly/ SSH Graz