Sinnliche Grottenbahnfahrt der Mikro-Irritationen
Kritik: Geisterbahn, Follow the Rabbit & Das Planetenparty Prinzip
Text: Sigrun Karre - 03.12.2024
Rubrik: Theater
Mit ‘Geisterbahn’ begeben sich die beiden Kollektive Follow the Rabbit & Das Planetenparty Prinzip gemeinsam mit dem Publikum via Grottenbahn ins Innere des Schlossbergs. Ein experimentelles Spiel mit den Sinnen und Erinnerungen im Rahmen der Reihe 'Kunst im Stollen' von Nadja Brachvogel.
Treffpunkt Schlossbergstollen zur Generalprobe des neuesten Streichs des Planetenparty Prinzips gemeinsam mit Follow the Rabbit. Eine Touristengruppe kommt vorbei. „Eine Geisterbahn gibt’s hier auch“, murmelt jemand verblüfft, der offenbar den handgeschriebenen Hinweis zur Probe gelesen hat. Gerne würde man ihn aufklären, nämlich auch darüber, dass man als Graz-Besucher:in mindestens eine Freie-Szene-Produktion gesehen haben sollte, wenn man mit dem „echten Geist“ der Stadt Bekanntschaft machen möchte. Aber dann geht es auch schon los. Die Namenskärtchen mit Waggon-Nummern sind ausgegeben und die Liliput-Bahn mit einem etwas irre lächelnden Bahnführer (Martin Brachvogel) kommt geräuschvoll zum Stillstand. Außerhalb der kalten Monate transportiert sie kleine Kinder mit erwachsenem Anhang als Märchenbahn in die Grotte. Für das gemeinsame Projekt ‚Geisterbahn‘ haben die Performance-Kollektive Follow the Rabbit und Planetenparty Prinzip die aus der Zeit gefallene Bahn aus dem Winterschlaf erweckt. So weit, so vielversprechend.
David Valentek, Credit: Clemens Nestroy
K.u.K.-Uniformen in der Geisterbahn
Nach Triggerwarnung vor Dunkelheit und beengten Platzverhältnissen beginnt die Fahrt. Und zuerst einmal wird es tatsächlich stockdunkel. In Kombination mit der Fortbewegung, auf die man keinen Einfluss hat, führt das im individuellen Fall unerwartet zu einem so mulmigen Gefühl, dass man den nur semibekannten Sitznachbarn am liebsten fragen würde, ob man kurz seine Hand halten darf. Macht man natürlich nicht. Und dann hat man sich schon an den Kontrollverlust gewöhnt. Damit es nicht zu meditativ wird, wird auch mal ruckartig der Rückwärtsgang eingelegt. Rote Geister-Augen entpuppen sich als Lichter von Nachtsichtgeräten, getragen von den fünf Performer:innen (Martin Brachvogel, Alexander Benke, Yvonne Klamant, Moritz Ostanek und David Valentek), die in K.u.K.-Offiziers-Uniformen und Schnürstiefel stecken. Sind das die Geister aus den WK1-Schützengräben, wird hier ein Link zur aktuellen Kriegsrealität angedeutet? Es bleibt eine von mehreren falschen oder zumindest nicht weiter verfolgten Fährten, die gelegt werden. Explizit dramatisch wird es nicht.
Dass die fünf auch noch wie frisch bekifft grinsen und in Anglerfisch-Optik eine Lampe am Kopf tragen, macht ihre Erscheinung nicht weniger rätselhaft. Es folgen gemurmelte Erinnerungen, z. B. an die Hände und Gerüche der Oma; eine Geschichte, die sich zum Glück nicht entscheidet, ob sie tragisch oder komisch, belanglos oder bedeutsam sein mag, und deswegen ein wenig von allem ist. David Valentek entpuppt sich in einer Interaktion als unzuverlässiger Erzähler, der Mandela-Effekt lässt grüßen.
Alexander Benke, Credit: Clemens Nestroy
Details eines kollektiven Gedächtnisses?
Statt Grusel gibt es also subtile Mikro-Irritationen zwischen viel „Schwarzbild“, das einen immer wieder ins eigene Kopftheater entführt. Undefinierbar bekannte Gerüche, Geisterbahn-Wind, skurrile Miniszenen mit etwas Alice-im Wunderland-Flair samt detailreicher Ausstattung (Rosa Wallbrecher) und eine Klangkulisse (Robert Lepenik), die kurz zur akustischen Folter mutiert, sind die Zutaten für eine assoziative Performance, die Publikums-Erwartungen nach einer „Story“ hinterfotzig unterläuft. Vermeintlich unwillkürlich scheint sich der Spot auf sinnliche Details eines kollektiven Gedächtnisses zu richten.
Nach finalen Wandlichtmalereien mit viel Flower-Power erreicht man angeregt unbefriedigt wieder den Stollenaufgang und muss an die Hände der Oma denken. Unkonventionelle Formate sind das Markenzeichen beider Kollektive, bei dieser Koproduktion verabschiedet man sich radikal von der Idee der vorgefertigten Bühnengeschichte, sondern liefert dem Publikum nur lose Anhaltspunkte für eigene Assoziationen. Der „Bauplan“ orientiert sich hingegen klar an der Dramaturgie des lustvoll-gruseligen Kindheitserlebnisses einer Geisterbahnfahrt.
‚Geisterbahn‘ von Follow the Rabbit und dem Planetenparty Prinzip ist eine riskant contentreduzierte „Wundertüte“, gefüllt mit sinnlich-skurrilen Erinnerungstriggern.