Im Rhythmus der Wahrnehmung von Zeit

Kritik: Es ist Zeit, Theater am Ortweinplatz mit Studio Dan

Text: Robert Goessl - 19.09.2024

Rubrik: Theater

Credit Michael Traussnigg

Im Rahmen des Werkstatt-Festivals in Oberzeiring hatte ein ungewöhnliches Werk für Kinder ab 8 Jahren unter dem Arbeitstitel "Uhrmenschen" Premiere: Die Sichtbar-, Hörbar-  und Spürbarmachung von Zeit steht im Mittelpunkt dieser Performance, die aufgrund des mutigen Einsatzes von Musik in durchaus abstrakter Form fast schon wie ein performatives Konzert wirkt. Es wird eine fantastische Welt geschaffen, die zum Mitfiebern einlädt. So entsteht ein hinreißendes Spiel mit der Zeit und deren Wahrnehmung in allen Facetten, vor allem aber mit performativ-klanglichen Arrangements von Studio Dan, die richtig beeindrucken.

Es beginnt mit dem Besuch einer Ausstellung eines Mädchens (Helena Matzawrakos), das sich anhand der Objekte fragt, was das soll. Aus einem Leintuch rinnt, wie in einer überdimensionalen Sanduhr, von oben langsam Sand herunter auf den Boden. Daneben ist ein unförmiges Ungetüm platziert. Der Zweck seiner digitalen Anzeige ist auf den ersten Blick nicht erkennbar ist. (Ausstattung, Bühne: Milena Czernovsky)

Credit Michael Traussnigg

Neue Welt

Plötzlich wandelt sich die Szenerie, eine Art Zauberwelt eröffnet sich: Aus dem jungen Mädchen ist eine Frau geworden (Kirstin Schwab), die vom Zeitdruck eines Fünf-Minuten-Countdowns getrieben ist. Zudem beginnt die Maschine rästelhafte Klänge zu produzieren - sie wird zu einer Klangzeitmaschine, die ihre Funktionsweise verbirgt (in Wahrheit steckt ein Musiker samt kreativem Schlagwerk dahinter) und die als eine Art Kommunikator dient.

Credit Michael Traussnigg

Zeit zu handeln & zu spielen

Es muss mit Zollstab, Messschieber, Wasserwaage vermessen werden: die eigene Größe, die Länge der Nase und eigene Balance. Die Zahlen werden vorsorglich auf der Maschine notiert. Als der Countdown zu Ende ist, beginnt ein neuer und ein neuer Zauber der Zeit - vielleicht in der Zukunft. Wurde die Frau ein Jahr älter, oder hat sie nun einfach Geburtstag? Und wie alt ist sie überhaupt? Solche Fragen verlieren nach und nach an Bedeutung, denn die Musik rückt in den Mittelpunkt, gibt mit dem Rhythmus eine neue Zeit vor. Unterschiedlichste Musikstile treffen aufeinander, manches wirkt, als dauere es nur Sekunden, manch ein Gedanke scheint länger zu verweilen. Plötzlich bleiben nur noch Metronome in unterschiedlichem Takt zurück und sorgen für zeitlich-rhythmische Verwirrung.

Credit Michael Traussnigg

Im Fünf Minuten-Takt

Immer wieder fängt der Countdown von Neuem an, womit auch Neues beginnt. So kommt es zu musikalisch unterstützten Zeitreisen, in deren Verlauf sich die Frau in unterschiedliche Figuren verwandelt. Die musikalischen Arrangements geben dabei vor, wohin die (Zeit-)Reise geht. Es stellt sich heraus, dass man die Zeit sogar anhalten kann, indem man bei der überdimensionalen Sanduhr das Loch mit einem Finger zuhält und so das Weiterrinnen des Sandes verhindert. Dabei gibt es immer wieder Kommentare aus dem Off, offensichtlich vom Mädchen vom Anfang, wobei neben Deutsch auch Bosnisch und Ukrainisch gesprochen und lakonisch auf die Welt der Erwachsenen geblickt wird.

Credit Michael Traussnigg

Rhythmus Zeit

Die Zeit wird als Rhythmus spürbar, es öffnet sich auch die Maschine und das Schlagwerk wird sichtbar, und der Countdown läuft nach seinem Ende mit negativer Zeit weiter! Das ganze explodiert gerade zu, die Frau spielt selbst auf der Klaviatur der Zeit mit den Schlagwerken, als wolle sie die Kontrolle selbst übernehmen. Doch letztendlich altert sie in einer Blase und begegnet ihrem jüngeren Ich - und es wird klar, dass hier sowohl nach vorn als auch zurückgeblickt wird. Zeit ist relativ, und was man damit anfängt, muss man selbst herausfinden, aber zumindest sollte man sie nicht vergeuden und sie dazu nützen, miteinander etwas zu unternehmen.

Credit Michael Trassnigg

So komplex und verschachtelt die ganze Produktion wirkt, so sehr regt sie die Fantasie und Gedanken an, weil die vielen Momente, die kreiert werden, sehr konkret wirken. Vor allem der Countdown lässt das junge Publikum mit der Hauptfigur mitleben und die teilweise nicht verstandenen Sprachen aus dem Off regen zum Reden miteinander an. Der Mut, eine abstrakte Produktion für Kinder mit Studio Dan, das sich als Jazz-Ensemble mit starker Tendenz zu neuer Musik versteht, macht sich bezahlt. Manfred Weissenbachers Regie des Textes von Johannes Schrettle zusammen mit der Klangregie von Werner Angerer und der Komposition von Oxana Omelchuk  kreiert mit Studio Dan unter der musikalischen Leitung von Daniel Riegler einen knapp einstündigen Abend, der zum Mitfühlen, Mitdenken und Entdecken einlädt. Für Studio Dan spielen und performen sich famos durch diese Produktion Maiken Beer (Violoncello), Sophia Goidinger-Koch (Violine), Damaris Richerts (Trompete), Viola Falb (Saxophon) und zuständig für alles, worauf man schlagen kann und das dann einen Klang von sich gibt, Raphael Meinhart.
Zu sehen ab 18 Dezember im Theater am Ortweinplatz Karten