Das Verschmelzen von Welten an der Grenze des digitalen und realen Lebens.

Kritik: [EOL]. End of Life – A virtual Ruinscape, DARUM

Text: Robert Goessl - 24.03.2025

Rubrik: Theater

Credit DARUM

Die Virtual-Reality-Performance von Victoria Halper und Kai Krösche erweitert den Theaterbegriff um die Möglichkeit, Teil eines Stückes zu werden. Mit VR-Brille wird man zu einer Komplizenschaft gezwungen, an deren Ende das Unerwartete passiert.

Formal beginnt es wie üblich: Man erhält eine VR-Brille und wird technisch eingewiesen. Doch lässt die Einführung vermuten, dass etwas mehr dahinter liegen könnte: Im Auftrag eines Konzerns hat man die Macht, von Menschen erschaffene digitale Welten zu löschen, die eine KI als potenziell für „löschungswürdig“ befunden hat. Man ist also die letzte menschliche Überprüfungsinstanz für digitale Welten, die schon jahrelang von keinem Menschen mehr besucht wurden. Dabei werden einem auch die Kriterien mitgeteilt, nach denen man zu beurteilen hat: Technische Fehler, schlechtes und unvollständiges Design, aber auch ein zu persönliches Setting von Menschen, die diese Welten erschaffen haben, aber im realen Leben mittlerweile verstorben sind. Es geht also sowohl um ästhetisches als auch um emotionales Design.

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Das faszinierende Eindringen in unbekannte Welten

Anfangs wirkt es wie ein unkomplizierter Auftrag: Man wird per virtuellem Lift von Raum zu Raum transportiert, erhält jeweils eine knappe Einführung und darf sich dann frei darin bewegen – stets mit Blick auf die verbleibende Zeit, die auf einer virtuellen Armbanduhr mitläuft. Am Ende eines jeden Raumes steht eine Entscheidung: Soll dieser Raum bestehen bleiben oder nicht? Doch kaum stellt sich so etwas wie Routine ein, wird man durch eine scheinbar undurchdringliche Wand gelockt – und plötzlich verschwindet auch die Uhr. Es ist, als betrete man nun eine andere Ebene: virtuelle Welten Verstorbener, erschaffen von jemandem, der die anfangs simpel wirkende Aufgabe in eine tiefere, existenzielle Dimension kippen lässt.

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Die Macht über das absolute Ende der letzten Spuren eines Menschen

Denn man hält plötzlich die Macht in den Händen, das Letzte, was von einem Menschen nach seinem Tod geblieben ist, endgültig auslöschen zu können – und damit auch jede Spur von Trauer, Erinnerung und Verlust aus dem virtuellen Raum zu tilgen. Allmählich entsteht das Gefühl, nicht mehr bloß eine zugewiesene Aufgabe zu erfüllen, sondern in eine verbotene Zone vorzudringen. Aus einem stillen Mitläufer wird ein möglicher Widerständiger. In eindrucksvollen Bildern und mit erzählerischer Kraft wird man in eine teils surreale Welt gezogen, in der reale und virtuelle Ebenen von Leben und Tod verschwimmen. Man taucht tief ein in persönliche, intime Szenen – nicht als bloße:r Beobachter:in, sondern als Teil des Geschehens, konfrontiert mit einer Entscheidung, die schwer wiegt.

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Eine neue unmittelbare Welt des Theaters

Wenn es die Essenz von Theater sein soll, Geschichten zu erzählen, dann ist [EOL] so etwas wie die digitale Quintessenz dessen. Man wird 90 Minuten lang in Welten entführt, deren anfängliche Trivialität in eine unvorhergesehene Komplexität mündet, in die man aufgrund des Settings tief eintauchen kann. Mit viel Liebe zum Detail lässt diese Produktion schnell vergessen, dass die reale Welt rund um einen herum nicht nur wenige Quadratmeter groß ist, sondern sich sowohl räumlich als auch gedanklich unendlich ausdehnen lässt – zärtlich, sensibel, berührend und unmittelbar. Ein Erlebnis der Sonderklasse, das zeigt, dass sich mit dem Einsatz von VR-Mitteln ein fantastischer Mehrwert für das Theater ergeben kann.

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[EOL]. End of Life wurde zum 62. Berliner Theatertreffen (2025) als eine der zehn bemerkenswertesten Inszenierungen des Jahres eingeladen. Eine Wiederaufnahme in Österreich wird es im brut in Wien im Herbst geben. Regie & Story: DARUM (Victoria Halper & Kai Krösche) 3D-Architektur & Ausstattung (Vitual Reality): Mark Surges Musik: Arthur Fussy Ausstattung (Liveperformance): Matthias Krische Character Design & Animationen, Kostümdesign, Photogrammetry Scanning, Motion Capturing und Videos: Victoria Halper 3D-Object-Animationen: Kai Krösche, Mark Surges Creative Coding, Motion Capturing, Lichtdesign & ergänzendes Sounddesign: Kai Krösche Bilder (Schulwelt): Alexander Tingrui Wülferth (im Alter von 4 Jahren) Testing & künstlerisches Feedback: David Rosenberg, Matthias Krische, Matthias Seier, Arthur Fussy, Armin Kirchner u.a. mit Victoria Halper, James Stanson, Kai Krösche u.a.

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