Die Gewalt von Worten

Kritik: Die verlorene Ehre der Katharina Blum im THEO in Oberzeiring

Text: Robert Goessl - 28.02.2024

Rubrik: Theater

Credit: Michael Traussnigg

Die Aufführung im THEO unter der Regie des Hausherrn Peter Faßhuber zeigt, dass Heinrich Bölls aus den 70-er Jahren stammende Erzählung nichts an Aktualität verloren hat:

Die geradlinige Inszenierung von Die verlorene Ehre der Katharina Blum, die seinerzeit in der Bundesrepublik Deutschland einen veritablen Skandal ausgelöst hat, verstärkt die bedrückenden Momente der vordergründigen Kriminalgeschichte und die Absurdität eines patriarchalen Machtsystems. Man berichtet knallhart über Fakten, spekuliert und schafft rücksichtslos Emotionen, um jemanden medienwirksam zu zerstören.

Julia Faßhuber als Katharina Blum. (Credit: Michael Traussnigg)

Grundvernünftiges Rädchen im System als Opfer

Es ist Karnevalszeit zu Zeiten der Ölkrise, und fast alle verkleiden sich wahnsinnig originell, aber doch unbewusst treffend als Scheich. Die bislang unbescholtene Katharina Blum gerät wegen einer Bekanntschaft auf einer Party in die Mühlen des Konglomerats von Justiz, Politik und Sensationsjournalismus. Ein System, in dem man miteinander verbunden ist, und die großen Verfehlungen der Mächtigen gedeckt werden, während die kleinen des korrekten Fräuleins gnadenlos ausgebreitet werden, auch weil sie Frau ist und als solche nicht nur Opfer sein will. In der Männerwelt des Machtapparats scheinen aber nur Nonne und Flittchen zur Auswahl zu stehen, und beides ist verdächtig aus unterschiedlichen „Gründen“: Es ist ein Ausgeliefertsein zwischen verdächtigen „Herrenbesuchen“ und ebenso verdächtiger Enthaltsamkeit. Julia Faßhubers (Katharina Blum) konzentriertes Spiel beeindruckt in seiner Knappheit, sie wirkt zugleich unnahbar, verzweifelt und hilflos, aber auch selbstbewusst – eine großartige Performance! Sie ist als Wirtschafterin ein Symbol der dienenden Integrität, ein fast nicht wahrgenommenes Wesen, dem keine Emotionen zugetraut werden, nichts weiter als ein grundvernünftiges Rädchen im System. Und wenn sie dann Gefühle zeigt, die so gar nicht in das Kalkül der strategisch denkenden Elite passen, oder sich verweigert, muss diese „Schwäche“, die auch zur Bedrohung anderer werden kann, totgeschwiegen oder an den Pranger gestellt werden. Am Ende wählt sie einen für alle überraschend radikalen Ausweg.

Credit: Michael Traussnigg

Männlicher Machtapparat ohne Gnade

Die anderen Schauspieler*innen fungieren neben ihren Rollen auch als Berichterstatter, die dem Publikum die fortlaufenden Fakten des Ermittlungsstandes der Kriminalgeschichte sachlich unemotional servieren, unterstützt von eingeblendeten „Breaking News“ der sogenannten „ZEITUNG“ auf einer Videoleinwand. Werner Halbedl zeigt sich als Kommissar, mit vorauseilendem Gehorsam, mitunter selbst von seiner rücksichtslosen Vorgangsweise überrascht, der zwischen angedeuteter Menschlichkeit und Härte schwankt und nicht versteht, dass jemand nicht nur zu seinem eigenen Vorteil handeln kann. Christian Krall gibt den schleimigen Journalisten Werner Tötges der „ZEITUNG“: Er weiß, was er schreiben will, biegt die Fakten entsprechend hin und schreckt vor nichts zurück. Was nicht passt, wird eben passend gemacht oder wie er sich ausdrückt: „Manchmal muss ich den einfachen Menschen als Reporter Artikulationshilfe geben“ – ein Mann wie geschaffen, um eine Hetzkampagne zu führen, der sogar so weit geht, sein Opfer ins Bett bringen zu wollen. Sigrid Sattler versucht als Freundin und Arbeitgeberin – wohl in dieser Reihenfolge – zu retten, was zu retten ist. Sie kämpft, ist aber letztlich auch den Machenschaften ihres Mannes und dem System untertan und der emotionalen Hetzjagd in ihrer sachlichen Art ebenso hilflos ausgeliefert. Ute Veronika Olschnegger ist als Staatsanwältin fest im Apparat integriert und agiert entsprechend bedingungslos. Das düstere Bild eines männlichen bestimmten Machtapparats, der undurchdringlich untereinander vernetzt ist, und sich auf die konsequente Wohlmeinung der Boulevardpresse verlassen kann, funktioniert auch heutzutage noch so gut, weil: „Alle Leute, die ich kenne, lesen die ZEITUNG!“

Credit: Michael Traussnigg

Credit: Michael Traussnigg

Credit: Michael Traussnigg

Robert Goessl kann man nach Ü3.000 absolvierten Theaterbesuchen wohl als "theaternarrisch" bezeichnen. Oft ist er gleich mehrmals in der Woche vor der Bühne kleinerer und größerer Theater in der Steiermark anzutreffen. Seine Passion für die darstellende Kunst beschreibt er so: "Ich habe nicht das Gefühl, etwas gefunden zu haben, sondern ich wurde von etwas gefunden."