Merz/Qualtinger als ungewöhnliches Sommertheater:

Kritik: "Die Hinrichtung", Theaterzentrum Deutschlandsberg

Text: Robert Goessl - 15.07.2024

Rubrik: Theater

Credit TZD

Das Theaterzentrum Deutschlandberg begibt sich mit der heurigen Sommerproduktion auf eine Reise und das auch an die Grenzen des moralisch Vorstellbaren. Auf einer mobilen Bühne (Francis Kügerl) wird an drei unterschiedlichen Orten ein Stück geboten, das nicht unbedingt in das übliche Sommertheater-Schema passt. In Zeiten, in denen Reality-Shows zum täglichen (Fernseh-)Alltag gehören, lotet das Stück "Die Hinrichtung" von Carl Merz und Helmut Qualtinger aus dem Jahre 1965 unter der Regie von Simon Scharinger Grenzen neu aus. Es zeigt einen einfachen Menschen als Rädchen in einem System, der auch dann noch verlieren kann, wenn er bereit dazu ist, sein Leben als vermeintlich einzig wertvolles Gut in bare Münze für seine Familie umzusetzen.

 

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Was für eine große Show steht bevor: Die Sensation ist greifbar: Dem Volk soll endlich wieder nach langer Zeit das Spektakel einer Hinrichtung geboten werden. Der namenlose Veranstaltungszampano (Gerd Wilfling) und sein nicht zu jedem Gedanken befähigter Adjutant Horak (Thorsten Zerha) schaffen es den arbeitlosen Reindl (Fabian Wolf) nach kurzer Zeit davon zu überzeugen, gegen ein Entgelt von 10 Millionen sich öffentlich hinrichten zu lassen. Wobei es Reindl vor allem auch darum geht, mit seinem Opfer seiner Frau und seinem Kind nach seinem Tod ein ordentliches gesichertes Leben zu ermöglichen.

Die Sachlichkeit des Monetären

Das ganze basiert von allen Seiten auf streng wirtschaftlich-sachlichen Überlegungen und wirkt ebenso allesamt ziemlich empathielos. In der Folge geht es entsprechend nüchtern, technisch und bürokratisch zu, und alles scheint wie am Schnürchen zu laufen: Die verantwortliche Beamtin hat keine grundsätzlichen Einwände gegen den Vorgang und die technische Sicherheitsüberprüfung der extra für diesen Event gefertigten Guillotine ist schnell absolviert. (Ausstattung Yvonne Beck)

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Der "Star" wird hergezeigt

Außerdem sind die beiden von Amts wegen Verantwortlichen schon ein wenig auch daran interessiert , den "Star" der Massenveranstaltung persönlich kennenzulernen, vor allem nachdem auch dafür gesorgt wird, dass er als neue Berühmtheit in den Medien entsprechend präsent ist . Sogar in sein Äußeres wird investiert , damit er bei seinem großen Auftritt auch richtig zur Geltung kommt. Doch am meisten Interesse an ihm zeigt Herr Engel (Arlind Hagjija) , aktuell Fußpfleger, Hobby-Schlagersänger und Scharfrichter außer Dienst, der liebend gerne sein altes Handwerk wieder beleben möchte und gleich einmal bei der Familie Reindl vorstellig wird. Durchaus feinsinnig sieht er seinen Job auch als persönliche Begleitung und zeigt sich auch an einer Freundschaft mit seinem Delinquenten sehr interessiert.

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Ein Leben erwacht aber auch die Konkurrenz schläft nicht

Als alles klar und perfekt organisiert erscheint, kommen erste Brüche hervor: Die plötzliche Prominenz scheint Reindl neue Möglichkeiten zu eröffnen, die aber wieder verschwinden, wenn er beginnt, darüber nachzudenken, doch am Leben zu bleiben. Denn als normal lebender Mensch ist er in der Öffentlichkeit nichts Besonderes mehr und deswegen auch nicht mehr begehrenswert und wird allein dadurch zu einem Versager. Doch auch von anderer Seite her droht Gefahr, denn es gibt ausländische Konkurrenz am Hinrichtungsmarkt. Es gilt schließlich, ein einmaliges Ereignis zu vermarkten, dessen Wert bei einer Wiederholung sinkt, und da scheint es international doch noch größeres Interesse und auch mehr Mittel zu geben: "Eine große Tat paßt nicht in die Dimensionen dieses Landes. Dort wo ich herkomme, da ist das ganz anders. [...] Jedes Ereignis, das die Welt erschüttert, wird hier zur Belanglosigkeit. Jede Belanglosigkeit, die sich drüben ereignet, erschüttert die Welt."

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Alles ist Verhandlungssache - auch ein Leben

Am Ende scheint alles zur Verhandlungssache zu werden: Der Wert des Lebens, das Reindl bereit war für seine Familie zu geben, ist im streng kapitalistischen System abhängig von den Umständen, den Medien und dem Interesse der Bevölkerung, unterworfen der unsichtbaren Hand des Marktes und den Machtverhältnissen unter den großen der Veranstaltungsbranche. Und im Zweifelsfall kann man dabei schon zu drastischen Mitteln greifen, um die Verhältnisse wieder geradezurichten.

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Mit feinen Details wird diese Farce als sachliche Komödie mit Hang zu absurden Momenten umgesetzt. Das Ensemble kann sich dabei auszeichnen, wobei auch mit dem potentiellen Voyeurismus des Publikums gespielt wird: Man kann sich am Ende selbst die Frage stellen, wie man sich fühlt und reagiert, wenn plötzlich das Leben eines Menschen in aller Selbstverständlichkeit Menschen als Produkt vermarktet wird, und man selbst quasi zum Konsumenten von etwas bis dahin unvorstellbaren wird? Passend wird das Ganze musikalisch untermalt vom Radetzky-Marsch über Zitterspiel bis hin zum volkstümlichen Schlager.

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Noch zu sehen: am 19. und 20. Juli 2024 um 20:15 beim Weingut Koller, Feldbaum 35, 8524 Bad Gams am 26. und 27. Juli 2024 um 20:15 im Weingarten Kollar-Göbl, Burgstraße 12, 8530 Deutschlandsberg