Eine Abklärung mit Gefühl und Selbstbewusstsein
Kritik: Die Abklärung, Theater am Ortweinplatz
Text: Robert Goessl - 12.02.2025
Rubrik: Theater
Unter der Regie von Simon Windisch, der gemeinsam mit dem Ensemble auch den Text entwickelt hat, entsteht eine vielschichtige Textfläche. Die sechs Schauspieler:innen sprechen den Text abwechselnd und treten dabei als eine einzige kollektive Stimme auf – so wie sie auch das Publikum als eine Einheit wahrnehmen. Ein kleines Meisterwerk!
Valentina Erler, Emma Moser, Adriel Ondas, Mo Roth, Elena Trantow und Greta Zaar spielen dabei auf einer Bühne (Ausstattung: Lätizia Stuhlbacher), die durch eine horizontale Wand beengt wird, die als Projektionsfläche funktioniert, die aus dem Theaterraum hinaus woanders hin entführen. Sie konfrontieren das Publikum mit ihrem sexuellen Interesse, aus dem sich ein Abbild der Unsicherheiten, der sich von den Werten der Aufklärung entfernenden Welt entwickelt.
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Text: Clemens Nestroy
Die Unsicherheit gegenüber dem anderen
Da ist so ein Gefühl, so ein Begehren, der Versuch des Anbahnens einer Beziehung. Entsprechend gibt man sich zunächst vorsichtig vor dem Publikum, denn da ist die Angst vor Ablehnung und eine Unsicherheit und auch eine Scheu, das Verlangen auszusprechen. So wird versucht, mit Projektionen auf die Zwischenwände andere Situationen zu erschaffen – sei es ein Picknick im Park oder ein Spaziergang im Wald als Naturidylle samt scheuem Reh. Auf jeden Fall will man aber raus aus dem Theater und weg von der Künstlichkeit der Bühnensituation, um ein gemeinsames Erlebnis zu kreieren, damit man einander besser kennenlernen kann. Doch wer ist dieses Gegenüber, wer ist dieses Publikum? Was soll man mit ihm reden, und was wäre wichtig, über es zu wissen?
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Text: Clemens Nestroy
Ein Buch als Abstimmungsvehikel
Um die Einseitigkeit des Gesprächs etwas aufzuweichen, gibt es ein Geschenk für jeden im Publikum: einen leicht beschädigten Konsalik-Roman, in dem zwischen den Buchdeckeln zwei Knöpfe rustikal eingelassen wurden, ein grüner, mit dem man Zustimmung signalisieren kann und ein roter für zur Ablehnung. So gibt es Fragen ans Publikum, zunächst eher unverfänglicher Natur. Zum Beispiel, ob man ein Morgenmensch ist oder ob man Rosinen mag. Das Ergebnis wird immer kurz auf den Projektionsflächen farblich angezeigt. So ergibt sich eine Reise zwischen Büro, Urlaubsidylle, Bücherei und Bar auf der Suche nach Gemeinsamkeiten bis hin zu Tischmanieren, die sehr anschaulich und unterschiedlich von den Akteur*innen präsentiert werden. Als man dann bei einem Rave landet, drehen sich die Fragen plötzlich um gesellschaftlich relevante Dinge: Gerechtigkeit, Pressfreiheit, Sozialpartnerschaft, Kinderarbeit und Gesamtschule.
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Text: Clemens Nestroy
Was könnte die Zukunft bringen?
„Wenn kurz davor ist, sich das erste Mal sanft zu berühren, dann will man natürlich nicht über Pensionsvorsorge reden oder wer wann das Klo putzt.“
Dennoch gilt es, diese Dinge zu klären, auch wenn es etwas unangenehm erscheint. So werden immer wieder neue Fragen an das Publikum gestellt, zum Thema Kinder, Erziehung und wie man es mit Religion so hält. Dann geht es auch noch um Grundwerte und schließlich um Geld. Damit geht das zarte Pflänzchen der Romantik etwas flöten und das ganze scheint etwas aus dem Ruder zu laufen. Die Angst vor Ablehnung wird wegen dieser Detailversessenheit bei den Fragen wieder größer. Also zu etwas Unverfänglichem als Ablenkung und zur Entspannung: Eine Fahrt mit der Bim durch Graz, die richtig toll per Projektionen gezeigt wird, samt eher belanglosem Gerede – aber mit der Liebe zu Büchern – und am Ende steht der entscheidende Satz:
„Ich könnte mich in dich verlieben.“
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Text: Clemens Nestroy
Ein Lehrstück als Draufgabe – Was kann weg?
Und weil man sich schon in einem Theater befindet, wird dann auch noch ein Stück geboten, in dem die Werte der Aufklärung als Basis der Gesellschaft und deren Entstehung gezeigt werden sollen. Dabei schlüpfen die Schauspieler*innen in historische Kostüme und zeigen die damaligen Helden aus einer Zeit, in der großer Mut notwendig war, um ein freies Gespräch so wie dieses im Hier und Jetzt zu führen. Die Welt würde heute anders aussehen, dennoch scheinen diese Werte mehr und mehr verloren zu gehen. Und so dringen Zweifel und Unsicherheit ein. Hat diese emotionale Demonstration der eigenen Werte das Gegenüber nun total verschreckt? Es kommt zu Selbstzweifeln bis hin zur Selbstaufgabe inklusive Bücherverbrennung und der Bereitschaft, alles, woran man glaubt, aufzugeben, um eine Beziehung zu ermöglichen. Diese Angst vor dem Verlust dessen, was man an Freiheit gewohnt war, wird eindringlich präsentiert, inklusive symbolischem Schafott im Bühnenhintergrund.
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Text: Clemens Nestroy
Es ist nicht egal
„Ich möchte dich lieben, aber nicht um jeden Preis.“
Auf diesen Schrecken folgt nun ein in sich gehen. Denn Selbstaufgabe und Unterordnung sind keine Lösung. Es gibt keine Beziehung ohne gegenseitigen Respekt. Der Monolog ist etwas lang, aber es gibt jedoch einmal Dinge, die gesagt werden müssen in einer Zeit, in der sie scheinbar nicht mehr selbstverständlich sind. Man kann nur füreinander da sein, wenn man aneinander glaubt und auch an Gerechtigkeit und den Wert von Bildung, Kunst und Wissenschaft, und auch an eine bessere Zukunft, indem man jeden Tag versucht, die Welt etwas besser zu machen.
„Wenn dir das andere alles so wichtig ist, wenn du sagst, du kannst nicht mit jemandem, der so ist oder so denkt … dann bitte denk doch auch daran, was du aufgibst.“
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Text: Clemens Nestroy
Authentisch und emotional wird man als Publikum in dieser klugen Inszenierung auf eine Reise mitgenommen, die berührt und die Hoffnung gibt. Der Abend steht auch für das selbstbewusste Eintreten für Humanismus, Freiheit und Individualismus und für die menschliche Fähigkeit, durch Vernunft und Wissen die Welt zu verbessern. Das Ensemble agiert dabei glaubwürdig und zeigt großen Einsatz. Insgesamt ist die „Abklärung“ ein kleines Meisterwerk, das man sich in Zeiten wie dieses häufiger wünscht.
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Text: Clemens Nestroy
Noch zu sehen im Theater am Ortweinplatz:
24.06.2025 - 12:00 Uhr
24.06.2025 - 19:30 Uhr
26.06.2025 - 12:00 Uhr
27.06.2025 - 19:30 Uhr
30.06.2025 - 12:00 Uhr
Tickets
Spieldauer: 75 Minuten
Alter: 16+