Nebel im Kopf und vor dem Fenster

Kritik: Der Nebel von Dybern im Schauspielhaus Graz

Text: Lydia Bißmann - 10.02.2024

Rubrik: Theater

Otiti Engelhardt, Tim Breyvogel, Mario Lopatta, Thomas Kramer, Anke Stedingk, Sebastian Schindegger, Simon Kirsch und Anna Klimovitskaya (v.l.n.r.). (Credit: Lex Karelly)

Fast 90 Jahre nach der abgesagten österreichischen Uraufführung „Die Nebel von Dybern“ von Maria Lazar bringt Johanna Wehner das Stück auf die Bühne des Schauspielhauses Graz. Bis auf die fehlenden Handys könnte das Stück problemlos in der Gegenwart spielen. Die ratlose Panik und hektische Verlorenheit, die sich unter Menschen, die mit einer Krise konfrontiert sind, ausbreitet, erinnert an wohlbekannte Szenen.

Die ratlose Panik und hektische Verlorenheit, die sich unter Menschen, die mit einer Krise konfrontiert sind, ausbreitet, erinnert an wohlbekannte Szenen.Wohlfühlstück ist „Die Nebel von Dybern“ keines, das wird gleich zu Beginn klar. In einer anfangs harmlosen Unterhaltung unter bunten Glühbirnen werden die Zutaten für das Unglück eingeführt. Eine Chemiefabrik, in der alle arbeiten, eine gekaufte oder einfach feige Zeitung und scheinbar grundlos verendete Nutztiere auf der Weide, zu denen sich langsam auch Menschen gesellen sollen. Miriam Draxl hat die Darsteller*innen mit einem Make-up versehen, das sie trotz der schön durchgetakteten Kleider in Rost und Altrosa so aussehen lässt, als wären sie soeben dem Kanal entstiegen. Ob Arbeiter, Luxusweibchen, Ingenieur oder Krankenschwester: Gelber Teint und fettige Haare vermitteln durchgehend Ungesundheit. Durch geschickt eingesetztes Licht wirkt es, als wäre über allem eine Patina aus feiner Asche gelegt. Oder eben Dunst.

Credit: Lex Karelly

Frauenpower und Krisenmanagement

Maria Lazars Text kommt aus einer Zeit, in der Frauen endlich Autonomie bekamen. In den 1920er-Jahren, bevor sie von den Nazis und ihren Freunden wieder zurück an den Herd gedrängt wurden, schrieben sie Bücher, Zeitungen und Pamphlete, verwandelten Rauchen, Trinken und freie Liebe zu einem schicken Attribut – hatten eigenes Einkommen und was zu sagen. Diese weibliche Präsenz findet sich im Stück wieder. Eine resigniert-lakonische Anke Stedingk hat als Mutter Kathrine zwar wenig Text, vermittelt damit aber gekonnt das Unheil, das über allen schwebt und gibt dem Spiel damit bis zum Schluss eine Spannung. Barbara (Marielle Layher) erwartet ein Kind und trumpft mit Kombinationsgabe, Hands-on-Mentalität und Konsequenz auf. Egal, ob sie nun betont, dass Schwangerschaft keine Krankheit ist, dass man keine Angst vor Gerüchten haben muss, die eh nicht stimmen oder es einen Unterschied zwischen Not und von Menschen gemachten Unheil gibt. Vital, direkt und mit einer aushaltbaren Neigung zum Drama gibt Otiti Engelhardt überzeugend die Ehefrau des Generaldirektors, die unbedingt auch helfen will, aber nicht darf. Viel könnte sie ohnehin nicht machen (auf die Krise wird langsam mit der Gründung eines Pseudo-Komitees und schnell mit dem Fund eines Schuldigen reagiert). Nicht besonders hell, dafür umso motivierter, ist Majorin Heilsarmeeschwester (Anna Klimovitskaya), die recht viele und eigentlich wichtige Infos besitzt, damit aber aufgrund ihrer religiösen Beschränktheit einfach nichts anfangen kann. Die männlichen Figuren kommen noch weniger gut weg.

Credit: Lex Karelly

Toxische Hilflosigkeit

Die männlichen Figuren kommen noch weniger gut weg. Tim Breyvogel fällt als Generaldirektor und Hauptverantwortlicher der Senfgas-Tragödie wenig mehr ein, als die Fenster im Zimmer seiner Kinder schließen zu lassen. Seine Körpersprache ist hilflos, unterstreicht den Eindruck als völlig überforderte Erben-Lusche. Da nutzt auch der traurige Kunstpelzkragen am Samtsakko nichts. Sehr gerade hält sich hingegen der Arzt (Sebastian Schindegger), dem die Menschen unter den Fingern wegsterben. Er kann seinem hippokratischen Eid nicht folgen und leidet unter Gewissen, was ihm die Vitalität und das Aussehen eines zusammengeknüllten Taschentuches verleiht. Selbst Jan (Mario Lopatta), der Aufdecker im beherzten Blouson, hat nichts von der Verve der weiblichen Figuren. Die dürfen zwar nichts bestimmen, sind sich aber nicht zu schade, Kartoffeln für Schutzsuchende zu schälen, und werden am Schluss trotzdem zu Täter*innen. Aber aus anderen Gründen. Aus Gründen, die atmen, die man anfassen, schütteln und streicheln kann. Als Katholikin mit jüdischen Wurzeln und aufgrund ihrer sozialkritischen Thematiken durfte Maria Lazar nach 1933 nicht mehr viel arbeiten und musste flüchten. Ihr Werk geriet in Vergessenheit und findet erst seit einigen Jahren wieder die Anerkennung, die es verdient. „Der Nebel von Dybern“ ist ein Stück, das eine erstklassige Geschichte erhält, die sehr oft noch gespielt werden kann und hoffentlich auch wird. Die Dialoge sind gespickt mit sprachlichen Goldstücken, die vor allem durch die Schlichtheit der Logik und die verblüffend direkte Formulierung glänzen. Genau deshalb hätte eine Spur mehr Pause und etwas weniger erzählter Text nicht geschadet.

Credit: Lex Karelly