Volles Tempo am Hochzeitstag mit 'Il cappello di paglia di Firenze' von Nino Rota

Kritik: Der Florentiner Hut an der Oper Graz

Text: Martin Exner - 16.05.2023

Rubrik: Musik
Il cappello di paglia di Firenze von Nino Rota

Credit: Werner Kmetitsch

Nino Rota, hierzulande vor allem für sein Filmmusiken bekannt, war eigentlich ein auch ein begnadeter Komponist klassischer Musik. Die wohl stärkste seiner 10 Opern, Il cappello di paglia di Firenze, stand erstmals auf dem Programm der Grazer Oper.

Wenn ein Pferd einen Strohhut frisst, und damit eine burleske Odyssee auslöst, die erst nach fast zwei Stunden zu einem guten Ende kommt, muss es sich um eine Farce eines ganz großen handeln: Eugène Labiche, Autor zahlreicher genialer Lustspiele und Vaudevilles und Vorbild unzähliger erfolgreicher Verfasser von Boulevardstücken bis heute, schuf mit Der Florentiner Hut eine burleske, temporeiche Komödie, die ein idealer Nährboden für einen gewitzten und genialen Komponisten wie Nino Rota sein musste. Die Geschichte des Bräutigams Fadinard, dessen Pferd just an seinem Hochzeitstag der Fauxpas mit dem Strohhut passierte, muss – gestört von der zunehmend ungeduldigen Hochzeitsgesellschaft und zahlreichen verwirrenden Missverständnissen – für Ersatz sorgen. Dass dies erst nach vier Akten gelingt gibt Rota viel Gelegenheit, alles auszukosten, was eine musikalische Komödie bieten kann: Selbstverständlich temporeiche Musik, mit zahlreichen Anklängen an Rossini, Puccini, Schostakowitsch, Tosti und mit einigen Zitaten von Komponistenkollegen, unter anderen von jenem berühmten aus Bayreuth. Geschickt untergebrachte lyrische Passagen lassen die Geschichte nicht eintönig werden, die Sängerinnen und Sänger stellt er mit permanentem Wechsel zwischen großen gesungenen Bögen, flotten Gesangsteilen und wahnwitzigem Parlando bis hin zu gesprochenen Stellen vor große Aufgaben.
KUMA Kritik: Der Florentiner Hut an der Oper Graz

Credit: Werner Kmetitsch

Große Töne

Diese werden allerdings hervorragend bewältigt: Der polnische Tenor Piotr Buszewski meistert seine ausladende Rolle intonationssicher (bis in die zahlreichen Spitzentöne), mit beweglicher Stimme und ebensolcher Zunge, zudem spielfreudig, grimassen- und gestenreich – eine zu Recht stark akklamierte Leistung. Daeho Kim gibt den ungeduldigen Schwiegervater Nonancourt mit eloquentem Bass, Anna Brull, die Baronin de Champigny stimmstark und herrlich ironisch, Tetiana Miyus glänzt als geduldige und standhafte Braut vor allem im vierten Akt mit zarten Lyrismen. Wie stark Eifersucht an einem Menschen (wie dem betrogenen Beaupertuis) nagen kann, hat hierzulande kaum jemand eindrucksvoller dargestellt wie Ivan Oreščanin. Aus dem stimmlich wie spielerisch blendend aufgelegtem weiterem Ensemble sticht wieder einmal Martin Fournier als schwerhöriger Onkel Vézinet heraus. Dirigent Daniele Squeo, der selbst am Conservatorio Nino Rota in Monopoli in Apulien studierte und (nicht nur) als Spezialist für italienisches Musiktheater gilt, sorgt dafür, dass Rotas Musik in allen Facetten erblühen kann: Ausladend und zart in den lyrischen Passagen, flott, präzise, rhythmisch immer am Punkt und (fast nie zu) knallig in den zahlreichen schnellen Stellen des Werkes. Und dass das Publikum bei aller Komplexität der Partitur und der Vielzahl an vertrackten Passagen im Zusammenspiel von Graben und Bühne niemals um die verlangte Eintracht bangen muss, zeugt von den Qualitäten des Maestro aus Italien. Das Grazer Opernorchester brilliert in den zahlreichen kniffligen solistischen und Tutti-Passagen (beispielsweise während der Gewittermusik), der diesmal kleiner besetzte Chor kann auch wieder mit schauspielerischen Zusatzaufgaben glänzen.
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Credit: Werner Kmetitsch

Tempo mit bestem Timing

Allzu oft muss man an dieser Stelle fragen, was all diese musikalische Qualität bringt, wenn die szenische Umsetzung hinterherhinkt – in diesem Fall jedoch nicht: Regisseur Bernd Mottl, an diesem Haus bereits mehrfach positiv mit seinen Arbeiten aufgefallen, widersteht der Verlockung, die Schrauben und das Tempo anzuziehen, und lässt dem Stück das ihm eigene Tempo. Das funktioniert hervorragend, zumal Mottl das perfekte Timing in den Abläufen findet und die Sängerinnen und Sänger zu wunderbarem Spiel animiert. Die szenischen Pointen sind nie übertrieben, aber sehr geschickt gesetzt, selten in letzter Zeit wurde am Grazer Haus so viel gelacht, gab es so zahlreichen Szenenapplaus. Die unglaublich variantenreiche Bühne von Friedrich Eggert, bestehend aus unterschiedlich geformten, überdimensionalen Hut- und Geschenkschachteln, die auch variantenreich bespielt werden, sind in schwarz-weiß gehalten, was nicht nur als Reminiszenz an die Filme gesehen werden kann, zu denen Rota die Musik beitrug, sondern auch bewirkt, dass die ohnehin turbulente Komödie nicht auch noch knallig wird – ein überraschender wie auch geschickter Kniff. Die zahlreichen, vielfältigen Kostüme von Alfred Mayerhofer (zu denen es übrigens auch herrliche, handgezeichnete Entwürfe gibt) passen sich dieser Ästhetik an, zeichnen sich aber auch durch eine Detailverliebtheit aus, die dem Zuseher, der Zuseherin auch die im Stück thematisierte Gegensätzlichkeit unterschiedlicher Gesellschaftsschichten leicht erkennen lässt. Ein zu Recht bejubelter Abend in der Oper Graz, der sich – sofern man von einem lohnenden zweiten Besuch absieht – auch sehr gut nachhören lässt: Das Werk wurde vor zwei Jahren vom fast identen Ensemble für eine CD-Produktion aufgenommen, das Ergebnis kann wohlfeil (u.a. im Ticketbüro) erworben werden.