Eine Bürger*innenbühne über das Leben im Schauspielhaus Graz
Kritik: Death and All His Friends
Text: Lydia Bißmann - 10.05.2023
Rubrik: Theater
Anja M. Wohlfahrt inszeniert im HAUS ZWEI mit “Death and All His Friends” ein Stück, das demokratischer nicht sein kann, da es uns alle betrifft. Fast jede und jeder von uns hat schon mal ein geliebtes Wesen verloren, sei es ein Familienmitglied, der Partner, ein Freund oder der Hamster. Früher oder später kommen wir alle mit dem Tod in Berührung.
Wochenlang wurden für das Stück Geschichten vom Sterben und vom Leben gesammelt, das nun von Otto Just, Hermann Leiner, Charlotte Eissner-Eissenstein, Brigitte Pivoda, Renate Formanek, Andrea Kalloch und Albin Sampel auf die Bühne gebracht wurde. Untermalt wird das Bürger*innenstück von Live-Musik (Patrick Dunst und Grilli Pollheimer) und Evergreens des Todes wie Vodoo Jürgens "Heite grob ma Tote aus” oder der Monty Python Kreuzigungsnummer:“Always look on the bright side of life”.
Credit: Lex Karelly
Expert*innen des Alltags
Katia Bottegal und Kathrin Eingang kleiden die Amateurdarstellerinnen, in senffarbenen Cord, braune Jogginganzüge und gestreiftes Leinen. Ton in Ton wackelt auch die U-Bahn-Garnitur, bei der jedes Detail, vom Fahrplan bis zur ausgestopften Katze im Fahrradabteil stimmt und stimmig ist. Die Szenen könnten auch direkt aus einem Wes Anderson Film auf die Bühne gebeamt worden sein. Die Darsteller*innen sind allesamt „Expert*innen des Alltags". Sie sind keine professionellen Schauspieler*innen, wollen und müssen das auch gar nicht sein. Ihre Authentizität speist sich aus ihren Berufen und ihrem Bemühen, den Tod den anderen Laien im Raum zu erklären. Otto Just etwa ist pensionierter Offizier, Hermann Leitner Bestatter, Renate Formanek Palliativ-Krankenschwester, Andrea Kalloch Notärztin. Sie erzählen auf ihrer dramatischen Nahverkehrsreise ohne wirkliches Ziel, von ihrem Leben mit dem Tod, geben Tipps, klären auf. Nahtoderfahrung, Suizid, verstorbene Haustiere oder Testamente spielen dabei eine gleichberechtigte Rolle neben Religiosität, dem Umgang mit Trauer oder dem Preis für den billigsten Sarg. So versucht Herbert Leitner „Frau Lotti“ eine Delphin-Urne einzureden, nachdem er bei Dosenbier erzählt hat, wie es ist, einen Babysarg zu tragen. Sie sind dabei wütend, verstört, sachlich-informativ oder auch lustig. Aus der Rolle fallen, können sie dabei nie, sie spielen sich selbst. Verliert jemand kurz den Faden, dann ist das einfach ein Muster in dem Textteppich, der hier von Bürger*innen für Bürger*innen gewebt wird.
Credit: Lex Karelly
Bürger*innen für Bürger*innen
Der Tod trägt kein bedrohliches Schwarz in Anja M. Wohlfahrts pragmatisch-berührender Inszenierung – er trägt Schnürlsamt in Erdfarben. Der behutsam-innige Dialog, den die Darsteller*innen miteinander und mit dem Publikum über die 95 Minuten eingehen, geht ein Quäntchen tiefer, als man es sonst im Theater gewohnt ist. Er nimmt etwas von der Angst vor dem Sterben, schürt aber keineswegs die Lust daran. Im Gegenteil: Man fühlt sich beim Verlassen des HAUS ZWEI nach dieser grandiosen Performance ein klein wenig besser aufgehoben im Leben.
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