Vom teuflischen Wahn der Gruppe
Kritik: Das Wechselbälgchen, Hoftheater Höf
Text: Sigrun Karre - 15.03.2024
Rubrik: Theater
Keine leichte Kost steht aktuell am Spielplan des Hoftheater Höf, eine Bühnenadaption von Christine Lavants „Wechselbälgchen“ wird abwechseln im Kulturkeller Gleisdorf und beim Veit-Bauern in Hönigtal aufgeführt.
Die Erzählung aus dem Nachlass der außerordentlichen Lyrikerin aus dem bäuerlichen Kärntner Umfeld ist eine Parabel über kollektiven Wahn(sinn) und die Diktatur der Norm, zugleich aber auch erschütterndes Zeugnis eines Milieus, in dem Menschen beinah allem Menschlichem beraubt waren. Auch innerhalb der untersten Gesellschaftsschicht der bäuerlichen Dienstboten, dem „Gesinde“, gab es Hierarchien. Frau und (aufgrund des de facto Ehe-Verbots zwangsläufig uneheliche) Kinder war noch einmal schlechter dran, behinderte Menschen galten nicht nur als nutzlose Esser, sondern laut weit verbreitetem Aberglauben sogar als Unglücksbringer. Die Schriftstellerin hat den Prosatext unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg in Anlehnung an die Sage vom Wechselbalg geschrieben, einem Kind, dem aufgrund seiner Behinderung eine teuflische und Unheil bringende Herkunft unterstellt und die Existenzberechtigung abgesprochen wurde. Dunkel hallen in Lavants Text die Gräuel der NS-Euthanasie nach.
Der Text war seit der Uraufführung von Maja Haderlaps Dramatisierung 2015 am Volkstheater mehrfach auf Theaterbühnen zu sehen. Für das Hof-Theater//Höf-Präbach hat Sophie Benedikte Stocker eine expressive Bühnenfassung geschrieben, die trotz narrativer Passagen vergessen lässt, dass der Text ursprünglich nicht für die Bühne gedacht war. Die Idee, die zentrale, aber fast stumme Figur der Zitha, das Wechselbälgchen im Puppenspiel darzustellen, hatte davor auch Puppenspieler und Regisseur der Volkstheater-Inszenierung Nikolas Habjan.
Dass der Theaterabend trotz des harten Stoffs an keiner Stelle lähmend wird, ist der feinfühligen, subtile Regie von Ursula Leitner zu verdanken, die auf die Kraft der Sprache vertraut und sachte den Spielfluss ankurbelt, indem sie die Darsteller*innen mit fast musikalischer Präzision immer wieder neu positioniert und formiert.
Simpel und in fahlen Farben ist die Ausstattung gehalten. Die Darsteller*innen sind uniform in grobe Jutte gekleidet. Ihre Gesichter, teigig geschminkt, erwecken den Eindruck, als hätten sie noch kein Sonnenlicht gesehen. Drei Strohballen, eine Gips-Madonna, ein Pappkreuz als lapidare Indizien für ein liebloses und erzkatholisches bäuerliches Umfeld müssen reichen. In diesem tristen Ton-in-Ton wird bereits ein bisschen blauer Stoff zum Eyecatcher. Alles andere, nämlich sämtliche Bilder, entstehen aus dem Spiel selbst.
'Das Wechselbälgchen' als Stationentheater beim Veit-Bauer, (Credit: Hof-Theater//Höf-Präbach/fb)
Die Pathologie der Norm
Jula Zangger als einäugige Magd Wrga ist eine Klasse für sich. Ihre Darstellung dieser Frauenfigur, die kaum etwas anderes als Härte und Gewalt kennt und sich doch auch eine fast trotzige Zärtlichkeit bewahrt hat, ist so kraftvoll, dass man wiederholt die Luft anhält. Zwischendurch könnte man fast das Taschentuch gebrauchen, das man als charmante Eintrittskarte ausgehändigt bekommen hat. Jula Zangger geht in der Rolle so ohne jede Spur von Zurückhaltung auf, wie man das nicht oft erleben darf und wie das auch nicht jeder*r Schauspieler*in kann. Auch Rainer Juriatti besitzt große Präsenz und Wandlungsfähigkeit. Neben dem Pfarrer, dem Bauern und noch ein paar Nebenfiguren spielt er als Hauptrolle den Knecht Lenz „von den gläsernen Grenzbergen“ milieugetreu als abgestumpften und übergriffigen „Kraftlackl“ mit Aufstiegsambitionen, der wiederholt die Stimme und die Hand gegen Wrga und ihr Kind Zitha erhebt. Sympathien entwickelt man für die Figur dieses „großen kleinen Mannes“ nicht, dafür die unheimliche Einsicht, dass er mehr das toxische Produkt traumatisierender Strukturen ist, als bewusst agierende Person.
Das größte Herz beweist in dieser Bühnenparabel ausgerechnet Zitha, das vermeintliche „Teufelskind“, das als einzige Figur als Puppe in Erscheinung tritt, gespielt von Stefanie Elias, die nicht nur eine wunderbare Puppenspielerin ist, sondern auch Zithas Halbschwester Magdalena darstellt. Die Magie des Puppenspiels entfaltet sich zuverlässig, die Kinderpuppe mit den dunklen Augen, deren Text sich auf „Ibillimutter“ beschränkt, kann man nur liebhaben.
Und schließlich ist da noch Benjamin Klug, der als Akkordeonist hauptsächlich für die Live-Musik auf der Bühne zuständig ist, aber auch in die kleinere Rolle des Thoman schlüpft, der als Außenseiter der dörflichen Gemeinschaft vom kollektiven Irrsinn verschont bleibt. Erschreckend sichtbar wird an diesem Theaterabend, dass die vermeintliche Norm weit pathologischer ist als das sogenannte Kranke oder Andersartige. Was zu einem Hoftheater Höf-Stück immer irgendwie dazu gehört, ist das Gespräch mit dem Team im Anschluss. Um Jula Zangger versammeln sich nämlich bei jeder Produktion spezielle Künstler*innen, die sich – wie sie selbst nicht in einem streng „eingekastelten“ Bereich ausprobieren, sondern enorm viel Enthusiasmus und künstlerischen Teamgeist versprühen. Dieser Herzblut-Faktor gepaart mit hoher Professionalität ist das Markenzeichen der Hoftheater Höf-Produktionen im kleinen Rahmen. Der besondere Tipp: Das „Wechselbälgchen“ ist auch als Stadtionentheater in alten Stallungen – an gewissermaßen Original-Schauplätzen – beim Veit-Bauern in Hönigtal zu erleben.