Ein rauschender Abgesang von Sandy Lopičić und Hannah Zufall
Kritik: Das Ende vom Lied, Schauspielhaus Graz
Text: Sigrun Karre - 09.05.2023
Rubrik: Theater
Als letzte Produktion der Intendanz von Iris Laufenberg gibt es im Schauspielhaus Graz mit „Das Ende vom Lied“– der Titel ist Programm – einen Ausklang unter maximal musiklastiger Regie von Sandy Lopičić. Auf und ab geht es dabei nicht nur auf der Tonleiter, sondern auch im Gefühlshaushalt.
Abschied nehmen, heißt es mit dem Ende der Intendanz auch für Teile des Ensembles. Dieser Umstand wurde zum Arbeitstitel der letzten Produktion, einer musikalisch-emotionalen Spurensuche . Ein fulminanter Schlusspunkt nach acht abwechslungsreichen Jahren, mit einer besonderen Besetzung und theatralem Wagemut.
Im Zentrum des in nostalgisch gedämpfte Farben getauchten Bühnenbilds von Vibeke Andersen steht auf einer Drehscheibe das Metallskelett eines Gartenpavillons, um das sich die Darsteller*innen und Musiker*innen bewegen. Sie stimmen abwechselnd Lieder unterschiedlichster Genres an, passend zu den diversen und abwechselnden und individuellen Gefühlen, die Abschied auslöst. Gefällte Stämme im Mammutbaumformat, aber auch allerlei Klein-Requisiten stehen herum und werden weitergereicht – dutzende Umzugskartons mit nostalgiekonnotierten Aufschriften wie „Fotoalben“ oder „Silberzeug“. Kommt das Alte mit, oder bleibt es zurück? Zum Glück gibt es noch was zu trinken. Und eine großartige Band.
Das Szenario gleicht einem sich ständig in Bewegung befindenden Wimmelbild einer Trauergemeinde zwischen Abschied und Aufbruch. Flüchtig und ziellos wirkt ihr Agieren, einen Handlungsfortschritt gibt es nicht. Und braucht es auch nicht. An diesem Abend geht’s ums Gefühl, folgerichtig spielt die Musik die Hauptrolle. Über das Gefühl der Scham z. B. möchte Oliver Chomik sprechen, nachdem er volkstümlich Hirsch und Reh inklusive Jodler-Finale besungen hat.
Credit: Lex Karelly
Reale Rollenspiele
Den Text zwischen den Liedern hat Hanna Zufall als Collage aus Gesprächen mit den Darsteller*innen entwickelt. An diesem Abend geht es dem Anschein nach ungewohnt persönlich zu, die Schauspieler*innen spielen (auch) sich selbst oder spielen zumindest lustvoll mit dieser Möglichkeit. Für alle schließt sich immerhin ganz real und wohl auch emotional mit dem Ende von Iris Laufenbergs Intendanz ein Kapitel, einige folgen ihr ans Deutsche Theater Berlin.
Es muss weitergehen, diese Parole wird mit dem Nachkriegs-Wienerlied vom „Wurstl“, Mercurys "The Show Must Go On" oder Attwengers „Gedscho“ (genial beschleunigt interpretiert von Lukas Walcher) besungen. Von dieser oberflächlichen Aufbruchseuphorie ohne Trauerarbeit hält der Doyen des Grazer Schauspielhaus, Gerhard Balluch nichts: „Wir brauchen doch etwas, das Trost spendet! Wo ist der Leichenschmaus?“, und rezitiert – ganz alte Schule – lieber Hofmannsthal. Mit pathetisch-komischem Retro-Charme des 68er-Hits „Mein Freund, der Baum“ löst sich im Laufe des Abends auch die Frage nach der Bedeutung der überdimensionalen Baumstämme auf der Bühne auf. Davor oder danach kommen unter anderem auch Peter Licht, STS und der serbische Liedermacher Djordje Balašević dran.
Lustvolle Bohemian Rhapsody
13 Schauspieler*innen - namentlich Gerhard Balluch, Lisa Birke Balzer, Oliver Chomik, Maximiliane Haß, Fredrik Jan Hofmann, Mathias Lodd, Sarah Sophia Meyer, Sebastian Pass, Clemens Maria Riegler, Franz Solar, Lukas Walcher, Susanne Konstanze Weber, Rudi Widerhofer und sechs Musiker*innen spielen, singen und musizieren an diesem Abend mit Hingabe auf und auch abseits der Drehbühne. Jede*r einzelne ist auf seine Weise grandios. Die vierte Wand wird bei „Das Ende vom Lied“ nicht nur kurzfristig als inszenatorisches Zwinkern durchbrochen. Ein niederschwelliges, aber keineswegs belangloses Theatererlebnis.
Auch wenn man nicht jede der rund 30 Nummern zu seinen Favoriten zählt, wird man vom Flirren und Vibrieren dieser Bohemien Party auf der Bühne wohldosiert high. Die Künstler*innen vermitteln an diesem Abend mit ihrer Spielfreude, mit Gesang und Performance eine Leidenschaft und ein Lebensgefühl, für das man sie – trotz aller persönlichen Herausforderungen, die die (Bühnen-)Kunst mit sich bringt – beneiden könnte, sich aber viel lieber davon berühren lässt. Standing Ovations und langer Applaus. Als letzte Zugabe serviert Sandy Lopičić die Balkan-Jazz-Version von „Mensch“ aus seiner Schauspielhaus-Inszenierung „Trümmerfrauen/Bombenstimmung“, die auf YouTube einen raren Lichtblick im trüben Lockdownjahr 2020 bot. Das Ende mit Lied.
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Credit: Lex Karelly