Feministische Vampir-Satire mit viel Bling und etwas schwachem Biss.

Kritik: Carmilla, Schauspielhaus Graz

Text: Sigrun Karre - 08.04.2024

Rubrik: Theater

Anna Klimovitskaya, Credit: Lex Karelly

Regisseurin Luise Voigt seziert und persifliert le Fanus‘ Novelle über die Vampirin Carmilla aus 1872 mit feministischem Blick. Aktuell zu sehen im Schauspielhaus Graz.

Der allseits bekannte Dracula aus Transsylvanien hat – wenn man so will – Steirerblut in sich. War die Vorlage für Bram Stokers rumänischen Blutsauger, der ganz ursprünglich noch in der Steiermark literarisch sein Unwesen trieb, doch Sheridan Le Fanus Novelle Carmilla, in der eine weibliche (und angedeutet lesbische) Vampirin in einem steirischen Schloss die Titelrolle spielt. Der Witz an der Inszenierung am Schauspielhaus Graz ist, dass Anette Holzmann, die Carmilla verkörpert, zwar mit kämpferisch erhobener Faust am Plakat zu sehen ist, auf der Bühne aber nur kurz als schöne Statistin erscheint. Das ist zwar eine bedauerliche Verschwendung von Holzmanns Talent, dürfte aber daran liegen, dass Carmilla von Regisseurin Luise Voigt sowieso nur als eine Projektionsfläche männlicher Fantasien und Schatten interpretiert wird. „Schauen Sie sich nur um im Weltgeschehen, überall Vampire derzeit“ verkündet eine peitschenschwingende Domina-Teufelin vieldeutig (genial: Dominik Puhl), die sich später als Pfarrer zu erkennen gibt.  Die weibliche Hauptrolle nimmt Laura (Anna Klimovistkaya), die Ich-Erzählerin der Novelle, ein. Abgesehen von ihrem multiplen Hands On-Orgasmus mit Orange gleich zum Start, zeigt sie im Laufe des Abends wenig Eigeninitiative. Überhaupt werden im Laufe von eineinhalb Stunden einige Früchte zum Objekt der Begierde. Das Spiel findet auf der Bühne und am Screen statt; man erfährt, dass die Trash-Novelle ja auch „irgendwie“ hätte „Avantgarde sein können“, aber leider könne die Frau im Text nichts selbst entscheiden.

Credit: Lex Karelly

Synthetische Geschlechterrollen

Am rosa Plüschsofa sammeln sich um Laura, ein „einfaches Mädchen auf dem Lande im Schloss in der Steiermark“ im weißen Babydoll samt Strapsen, eine schlüpfrige Herrenrunde sowie Gouvernante (Marielle Layher) und Hauslehrerin (Sarah Sophia Neyer) in quietschbunten Pettycoat-Kleidchen. Die Ausstattung (Maria Strauch) entwirft ein poppiges und plastiklastiges Porno-Sitcom-Ambiente, der Vater (Sebastian Schindegger) schlurft im Leoparden-Schlafanzug aus feinstem Polyesterzwirn herum, der Pfarrer entblößt sein erigiertes PVC-Glied und performt zu Michael Jacksons „Heal the World“ (starker Tobak), der General (Željko Marović) trägt als Männlichkeitsattribut – ebenso stilecht aus Hartkunstoff – ein Arnie-Sixpack zur Schau und dem Landarzt (Thomas Kramer) mit KHG-Mähne und blendend weißen Beißerchen blitzt die Hyper-Frivolität zum Lachen komisch aus den Augen. Laura hingegen agiert mechanisch wie ein Aufziehpuppe, ihre drastisch verfremdete Stimme erinnert an einen Mix aus Schlumpfinchen und Mini Mouse.

Lex Karelly

Overkill(joy)

Die Rollenverteilung ist schnell geklärt: Die männlichen Figuren sind ständig geil, die Frauen bedienen diese Geilheit auf Zuruf. Wegen Male Gaze und so. Übergiffigkeit und Missbrauchsverdacht liegen mehr als in der Luft. Zwecks Steiermark-Bezug spielt ein Bläserquartett in Tracht auf, das die Herren später zu einer als Schuhplattler getarnten „Grapscherei“ ermuntert, dann aber bald von der Bühne verschwindet. Überhaupt wird viel Material ohne nachvollziehbaren Plan ins Spiel geworfen, Porno-Requisiten, Sitcom-Melodien, Comic-Ästhetik, Vampir-Historie, Dokuschnipsel aus den Proben via Screen, Videoprojektionen und, und, und. Diese „Anarchie“ auf der Bühne macht eine Zeit lang großen Spaß. Bei allem Interesse an diesem collageartigen Ansatz jenseits von Gefälligkeit hemmt die zunehmende Reizüberflutung leider die Neugier. Die Statements der Darsteller*innen zum Thema via Screen sind für sich stark und berührend und in einem anderen Setting sicher wirkungsvoll. Dass sich die Satire durch explizite Ansagen jedoch immer mehr zu einer „Satire mit Anleitung“ entwickelt, killt sie dann letztlich auch.

Carmilla Marielle Layher und Sarah Meyer, Lex_Karelly

Sex-Ding, fluide Lust und Projektionen

Starke Szenen hat der Abend aber doch zahlreiche zu bieten. Wenn Laura, Gouvernante und Lehrerin abwechselnd in die männlich besetzte Kamera einschlägig lautmalen und ihre groteske Porno-Mimik übergroß auf der Leinwand zu sehen ist, werden aktuelle übersexualisierte Frauenbilder vor dem inneren Auge sichtbar.  Vertreten von Influencerinnen und Co., sind sie nicht nur immer noch Produkt des männlichen Blicks sind, sondern mittlerweile so grotesk verzerrt und verdinglicht, dass Satire fallweise zum Realismus wird. Und andersrum. Den Gegenentwurf zu dieser mechanisch-künstlichen Grellheit und „Sexiness“ liefert jene wunderbar ästhetische Szene, in der die Handkamera in fließenden, sich überlagernden Bildern eine sinnlich-verspielte Gruppen-Szene auf durchscheinende Vorhänge projiziert, in der gleichgeschlechtliche Liebe ebenso Platz hat wie ein fluider Zugang zu Gender. Die Indizien dafür, dass die vermeintliche Bedrohung von Lauras Unversehrtheit durch die Vampirin Carmilla eine reine männliche Projektion der eigenen Schuld sein dürfte, verdichten sich in jener Stelle, an der Lauras Vater in eine parodistische Kunstsprachschwafelei verfällt, zur Gewissheit. Da kippt das Lachen blitzschnell in Betroffenheit. Fazit: Ein Abend mit guten Ideen und gelungenen Szenen, der viel will. Vielleicht ein wenig zu viel.