„Die Chancen stehen 50 zu 50“
Kritik: 1984 is now, Theaterfabrik Weiz
Text: Robert Goessl - 25.04.2025
Rubrik: Theater
In dieser sehr lebendigen Stückentwicklung für Jugendliche ab 15 nach Motiven und Zitaten aus dem George-Orwell-Roman „1984“ beschäftigen sich acht junge Akteur:innen mit ihren Hoffnungen und Ängsten in ihren digitalen Lebenswelten. Unter der Regie von David Valentek und Marlen Weingartmann entsteht dabei im Weizer Volkshaus eine profunde Gesellschaftsanalyse, die unangenehme Wahrheiten aufgreift.
In Handy-Videos sprechen die Schauspieler:innen zum Publikum und beantworten dabei alltägliche Fragen zu ihrem Leben und ihren Einstellungen, bevor sie auf die Bühne zu einem Work-Out schreiten. Man muss eben im Leben alles geben, um es zu etwas zu bringen, denn man steht ja auch in Konkurrenz zueinander. Entsprechend verausgaben sich die Akteur:innen auf ihrem Weg zur Selbstoptimierung. Alle sind gleichförmig in Grau gekleidet, was ein wenig an Gefängniskleidung erinnert. „Der große Bruder sieht dich“ ist dabei auf der Bühne zu lesen.

Credit: Clemens Nestroy
Darf ich wirklich alles sagen, was ich denke?
Es entspinnt sich ein Vortag zum Thema „Systeme“, denn schließlich lebt man ja auch in einem. Doch wird der Begriff etwas weiter gefasst. Man versucht sich dem zu näheren zwischen Zelle und Sonnensystem bis hin zum Wahl-System, das zunächst als Wal-System verstanden wird. Denn über alles sollte man unter Beobachtung doch nicht sprechen, in einer Welt, in der man nicht sicher sein kann, dass etwas, was man sagt oder hinterfragt, auf einen zurückfällt nach dem Motto:
„Freiheit ist die Freiheit zu sagen, dass 2 + 2 = 4 ist.“

Credit: Clemens Nestroy
Wenn ein System sich selbst überwacht
Es ist ein freiwilliges Fügen, das dennoch alternativlos wirkt und in den nächsten Szenen gezeigt wird. Man richtet einander in den Beiträgen in sozialen Medien und erzeugt so Unsicherheit in einer Welt mit dem Zwang zur Selbstinszenierung und der ständigen digitalen Präsenz. Die Kontrolle, und damit der Druck auf jeden einzelnen, entsteht hier jedoch durch das gegenseitige Beobachten bis hin zum Mobbing. Und dennoch wirkt die Macht der Gruppendynamik, denn schließlich möchte man doch dazugehören.

Credit: Clemens Nestroy
Das mit der Wahrheit ist so eine Sache
Ob aber tatsächlich die Beiträge auf Facebook, Instagram, WhatsApp und Co der Wahrheit entsprechen, oder doch ein wenig gelogen oder übertrieben sind, bleibt im Raum stehen. Der Weg von der Wahrheit zum Fake ist eben ein sehr kurzer. Auch wenn man sich gerne an die Kindheit und ihre Unbeschwertheit zurückerinnert, wo man nicht täglich gezwungen war, Entscheidungen zu treffen, und der tägliche Druck, etwas zu liefern, nicht so spürbar war, wirken diese Erinnerungen nostalgisch verklärt.

Credit: Clemens Nestroy
Wissen ist Macht, aber Zweifel sind angebracht
Aber bevor die Gedanken zu weit schweifen, geht es zum nächsten Work-Out. Es gilt schließlich dranzubleiben: „Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft. Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit.“ Danach setzt man sich auf die Bühne, jeder ist vertieft in sein Handy und gibt aktuelle Meldungen oder was sonst so im Netz gefunden von sich als Splitter, die einfach in den Raum geworfen werden. Es ist einsam geworden, jeder ist für sich allein mit sich und seinen Fundstücken beschäftigt. Man schlägt die Zeit tot. Aber man fragt sich auch, ob da immer mitgehört wird. Denn wenn man aus Bequemlichkeit eine Frage in sein Handy spricht, reagiert es doch sofort. Diesbezüglich kann man ja dann auch gleich einmal live bei Google nachfragen, auch wenn die darauffolgende Antwort vom Handy, dass sich das System an frühere Gespräche nicht erinnert, eher angezweifelt wird. Ganz abgesehen davon, dass das System, bewusst oder unbewusst, nicht immer die richtigen Informationen liefert.

Credit: Clemens Nestroy
„Krieg ist Frieden. Freiheit ist Sklaverei. Unwissenheit ist Stärke.“
Das führt nun direkt zu den Expert:innen der Desinformation in die große digitale Welt: Die Schauspieler:innen setzen Masen auf und so betreten Donald Trump, Elon Musk, Viktor Orbán, Kim Jong-un, Recep Tayyip Erdoğan, Wladimir Putin, Alice Weidel, und sogar Herbert Kickl die Bühne und geben Einblicke in den mühsamen und anstrengenden Alltag in faschistischen Denkreisen. Tatsächlich scheint es aber bei der Faschismus-Party recht brüderlich und locker zuzugehen und so führt man über das Handy lockeren Smalltalk über diverse Alltagsproblemchen und wie man die Welt zu seiner eigenen machen kann. Schließlich sind aktuelle und zukünftige Diktator:innen auch nur Menschen mit besonderen Bedürfnissen – wie Macht und Kontrolle über andere mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu gewinnen.

Credit: Clemens Nestroy
Mit Zweifel in die Zukunft
Auch wenn diese gespielte Selbstermächtigungs-Orgie etwas ausartet, formiert sich in den jungen Menschen Widerstand. Aus der Demaskierung folgt eine aggressive Protesthaltung, die Hoffnung gibt, auch wenn Ihre persönlichen Resümees als Handy-Videos am Ende durchwegs zwiespältig ausfallen, wie es in der Zukunft mit Demokratie und Freiheit im digitalen Zeitalter zwischen Unterwerfung, Überwachung und Fake News in sozialen Medien weitergehen wird.

Credit: Clemens Nestroy
Die Zukunft ist echt
Bei der Inszenierung unter der Regie von David Valentek und Marlen Weingartmann entsteht eine emotionale Achterbahnfahrt mit vielen Facetten, die mitreißt und mehr als tiefe Einblicke in die Lebenswelten junger Menschen gewährt, die sich versuchen in einer zunehmend unübersichtlichen Welt voller Möglichkeiten zwischen scheinbarer Freiheit und dem Ausnutzen der menschlichen Schwächen zurechtzufinden. Vor allem die authentische und einsatzfreudig begeisternde Spielweise der jungen Schauspieler:innen verleiht der Produktion eine große Glaubwürdigkeit.

Credit: Clemens Nestroy
Theaterfabrik Weiz: 1984 is now
Von und mit:
Melanie Bauernhofer, Sebastian Haberecker, Lucy Hartmann, Moritz Haspl, Ronja Moser, Leonard Reisner, Jona Wicher, Maya Wild
Regie:
David Valentek & Marlen Weingartmann
noch zu sehen im Rahmen des Theaterland-Festivals Rabiatperlen
am Freitag, 30.05.2025 um 21:00
im Laßnitzhaus, Hollenegger Straße 8, 8530 Deutschlandsberg

Credit: Clemens Nestroy