„Ich sehe es als meine Aufgabe, die Freiheit der Kunst zu erweitern.“
Interview: Werner Schimpl
Text: Stefan Zavernik/ Lydia Bißmann - 24.09.2024
Werner Schimpl in der Ausstellung „Meilensteine: an der Grenze zur künstlerischen Freiheit“. (Credit: Michaela Bachlechner)
Ein runder Geburtstag war der Anlass für eine Personale des Konzept- und Multimediakünstlers Werner Schimpl in der Galerie Sommer. „Meilensteine: an der Grenze zur künstlerischen Freiheit“ ist dort noch bis zum 12. Oktober zu sehen. Im KUMA-Interview erzählt der Künstler über wichtige Ereignisse in seinem Leben, die Zukunft und das Spannungsfeld zwischen Kunst und Freiheit.
1981 haben Sie den Entschluss gefasst, hauptberuflich Künstler zu sein. Davor waren Sie Angestellter. Was hat Sie damals zu diesem Schritt bewogen?
In den 60er-Jahren war man der Meinung, dass man Kunst nur nebenbei machen sollte, dass man davon nicht leben könne. Dabei war das eigentlich schon der Beginn einer guten Zeit dafür. In der Nachkriegszeit gab es ein großes Vakuum in der Gesellschaft, und innerhalb dieses Zeitraumes hat sich eine enorme schöpferische Kraft entwickelt. Wir wurden alle streng erzogen, in der Schule und im Schülerhort gab es nur Strafen und Sanktionen, da ist es wüst zugegangen. 1969 bin ich dann nach London gefahren und dort wurde dann die Explosion in der Kunst, Mode und Musik sichtbar und spürbar. Nach einem halben Jahr Aufenthalt habe ich beschlossen, dass es in meinem Leben mit Kunst – mit bildender Kunst – weitergehen muss. 1981 habe ich mich dann endgültig dafür freigemacht – vorher war ich durch Familiengründung und Wohnungserrichtung beruflich eingebunden.
Fotos, Malerei, Installationen und Objekte – Ihr Kunstschaffen durchstreift die unterschiedlichsten Ausdrucksformen. Gibt es dennoch eine Sparte, in der Sie sich am wohlsten fühlen?
Ich habe mit der Malerei begonnen, weil das damals das Einzige war, das die Leute interessiert hat und von dem man auch leben konnte. Von der Malerei bin ich dann immer mehr ins Experimentelle gegangen. Ich habe begonnen, Objekte zu bauen. Außen und innen waren für mich immer ein Thema, weniger die Oberflächen. Zuerst war mir nicht bewusst, wo das herkam; jedenfalls nicht von einer Kunstakademie. Das kam von meinem ursprünglichen Brotberuf. In jungen Jahren war ich im Zollbereich tätig. Gelernt habe ich Spediteur, das hat mir gefallen, weil es grenzüberschreitend, somit international war. Bei meinem Job ging es damals viel darum, Inhalte zu erklären. Da stand etwa eine Kiste vor mir – eine äußere Form – und ich musste schriftlich eine Zollerklärung verfassen, was in ihr enthalten war.
AB – positiv, 2024. Lichtinstallation, FREISPRUCH, 2024 Lichtinstallation. (Credit: Werner Schimpl)
Wie hat sich Ihr Kunstschaffen im Laufe der Jahrzehnte verändert? Haben Sie heute immer noch den gleichen Anspruch an ihre Werke?
Die Erforschung des Spannungsfeldes zwischen außen und innen hat mich von Anfang an fasziniert und das ist auch so geblieben. Es hat sich durch jede neue Arbeit weiter entwickelt. Vielleicht auch ins Extremere gewandelt, weil ich mich noch intensiver damit beschäftigt habe. Auch die Auseinandersetzung mit Kontrollsystemen ist immer noch vorhanden. Die Arbeit mit den Begriffen Transparenz oder Kontrolle habe ich ja von meinem erlernten Beruf übernommen, ohne es vorerst zu wissen. Zu den Kontrollsystemen gehört die Röntgentechnik; in weiterer Folge entstanden Lichtkunstinstallationen. Damals waren die Begriffe Transparenz sowie Kontrollsystem noch nicht so abgegriffen, wie sie es heute sind.
In Ihren Arbeiten überschreiten sie materielle Grenzen, aber auch ideologische Grenzen. Warum ist das Grenzen überschreiten für Sie so wichtig?
In meinem ganzen Leben haben mich Grenzen als einschränkendes Menetekel begleitet. Mein demokratisches Denken mit dem Wunsch auf ein gemeinsames, grenzenloses Europa war ein Ziel unserer Generation.... Dieser Wunsch hat sich aufgrund unseres Zutuns auch erfüllt, aber nur für kurze Zeit. Da alle von uns immer beide Seiten einer Grenze bedenken müssten, waren Grenzen in unserer humanen, toleranten, gebildeten Gesellschaft etwas Verzichtbares. Meine Antwort auf diese nun gegenteilige Entwicklung äußert sich in meiner Kunst, um dieser rückläufigen Tendenz entgegenzuwirken.
Ausstellungsansicht in der Galerie Sommer. (Credit: Werner Schimpl)
Wo ziehen Sie die Grenze der künstlerischen Freiheit?
Ich sehe es als meine Aufgabe, die Freiheit der Kunst zu erweitern. Die Kunst ist die Gegenbewegung dazu, dass alles immer mehr eingeschränkt wird. „Frei sein heißt, mit den Regeln in Konflikt zu kommen“, aber ich bin kein Provokateur. Wenn man in Grenzbereichen arbeitet, passiert manchmal eine Grenzüberschreitung, diese müsste aber im Interesse der gesellschaftlichen Weiterentwicklung sogar willkommen sein. Mir ist es wichtig, hinter die Oberfläche zu schauen, so sind auch meine Röntgenbilder entstanden. Es gibt so viele zeitgenössische Themen, die so spannend sind, dass ich mir schwertun würde, nur ein dekoratives Bild zu malen; das geht für mich gar nicht.
Blind Controler, 2018. (Werner Schimpl)
Eine Ihrer elementarsten Werkserien sind die Röntgenbilder. Das Projekt „Look inside me“ sorgte damals für Wirbel und Aufruhr. Wie wichtig war das Projekt für Ihre künstlerische Entwicklung?
Ich habe meist künstlerische Inhalte mit Materialien verschiedenster Art durch die Röntgentechnik sichtbar gemacht. Mit einem Röntgenbild meines eigenen Körpers (das Röntgen von Menschen ist laut Strahlenschutzgesetz nur für medizinische Zwecke erlaubt) ist mir an einem Kontrollpunkt, den ich nicht nennen möchte, für das entstandene Bild ein europaweites Ausstellungverbot verhängt worden. Weiterentwickeln lässt sich dieses Vorhaben dadurch nicht mehr. Das entstandene Bild ist sozusagen „einmalig“.
Frühstück zu zweit unter blauem Himmel, 2023, adaptiert 2023 Acryl auf Holz und Leinwand, Bettzeug mit Cannabisstauden gefüllt . (Credit: Werner Schimpl)
Die Freiheit der Kunst haben Sie auch in Ihrer Arbeit „Transparadox“ im Grazer Schlossberg ausgelotet. War Ihnen das vorher bewusst, dass es da Aufsehen geben könnte?
Das war auch keine Absicht, das ist einfach so passiert. Ich hatte in der Ausstellung „Solaris“ von Ada Kobusiewicz einen Teil in Zusammenarbeit mit Ada gestaltet. Es wurden THC-haltige Cannabispflanzen im Schlossberg in Form einer Lichtinstallation zum Blühen gebracht. Es war spannend, dass das in der Kälte und Dunkelheit des Stollens überhaupt funktioniert hat. Natürlich hätten wir andere Pflanzen dafür nehmen können, aber für uns war eben Cannabis interessant. Cannabis im Vergleich zur Droge Alkohol sollte zu Diskussionen anregen. Was dann vorgefallen ist, konnte ich jedoch nicht ahnen. Es gibt einen großen Bevölkerungsanteil, der glaubt, dass für die Kunst zu viel Geld ausgegeben wird. Das hat die FPÖ aufgegriffen, und eine FPÖ-Gemeinderätin hat uns, ohne sich vorher mit der Sache zu beschäftigen oder sich zu erkundigen, angezeigt. Die Polizei musste daraufhin kommen, die Pflanzen abschneiden und mitnehmen. Wir wurden dann zur Gerichtsverhandlung geladen.
Werner Schimpl vor dem Objekt: License To Compare, 2021/2022. (Credit: Michaela Bachlechner)
Wie hat sich die Sache dann aufgelöst?
Die Staatsanwälte haben den Fall, ohne die Kunst auch nur einmal zu erwähnen, als Straftat formuliert. Es ging nur um Drogen, nie um Kunst. Die Installation „Transparadox“ war ein gut abgesichertes Kunstwerk hinter Gittern; niemand hätte darauf zugreifen können. Es waren die Richter, die sofort erkannt haben, dass wir mit Drogen nichts zu tun haben. Vom Bezirksgericht gab es einen Freispruch, aber wir mussten auch vor das Landesgericht. Die haben uns auch freigesprochen. Da die Staatsanwaltschaft ständig behauptete, dass man aus Cannabis keine Kunst machen könne, sind danach als Beweis, dass es doch möglich ist, einige Objekte aus diesem Material entstanden, welche in meiner Ausstellung gezeigt werden: am deutlichsten kommt das beim Objekt „License To Compare“ zum Ausdruck. Blätter, Stauden sind Gestaltungselemente; die Blüten im Behälter, um legal zu bleiben, notariell versiegelt.
Wie frei fühlen Sie sich als Künstler?
Abgesehen von den zwei bis drei Vorfällen innerhalb von 45 Jahren künstlerischer Tätigkeit, bin ich überglücklich, meine Ideen in experimenteller Arbeitsweise aus freier Entscheidung ins Bild und in die Form gebracht zu haben. Die dadurch manchmal entstandenen Schwierigkeiten überwunden zu haben.
Wann interessiert Sie ein Thema so sehr, dass Sie sich damit künstlerisch auseinandersetzen?
Mich hat immer die zeitgenössische Kunst interessiert, Rückblicke nie. In den 1980er- und 90er-Jahren hat sich für mich sehr viel aufgetan, und ich wurde des Öfteren in Form von Wettbewerben zu Auftragsarbeiten für Gemeinden, sowie im kirchlichen Bereich eingeladen. Doch parallel dazu stand ständig die Weiterentwicklung meiner eigenen Kunst aus der Gegenwart heraus. Dann kam die digitale Entwicklung, die mich ebenfalls sehr fasziniert hat. Das Digitale habe ich mir sukzessive anvertraut. Fotos wurden auch digital bearbeitet und gestaltet, ohne den puristischen Anspruch, den viele Fotografen haben. Aktuell bin ich jedoch an einem Punkt, an dem ich vorerst beobachte. Ich weiß nicht, wohin sich das Internet entwickeln wird. Jetzt kommt noch die Künstliche Intelligenz hinzu. Da sind die Hände und der menschliche Geist nicht mehr so gefragt und das bereitet mir ein wenig Bedenken. Sonst war ich auch immer für die Medienkunst.
Look Inside Me, 2019.(Credit: Werner Schimpl)
Wie entstehen Ihre Kunstwerke, wie sieht Ihr Herangehensprozess aus?
Ich würde mich als Konzeptkünstler sehen, zuvor einige Überlegungen, Zeichnungen, textliche Formulierungen, Materialproben und einiges mehr, dann die Durchführung unter Einbeziehung all meiner Erfahrungen und Fähigkeiten.
Werner Schimpl:„Meilensteine“ an der Grenze der künstlerischen Freiheit
Galerie Sommer, Liebenauer Hauptstraße 322, 8041 Graz. Laufzeit: bis 12. 10. 24. Öffnungszeiten: Mi. bis Fr.: 11h - 18h, Sa.: 10h - 13h, und nach Vereinbarung.