“Der digitale Raum macht niemanden glücklich”

Interview: Michael Schilhan, Next Liberty

Text: Lydia Bißmann - 01.08.2022

Rubrik: Theater

Michael Schilhan wurde in Judenburg geboren und leitet seit über 20 Jahren das Jugendtheater Next Liberty in Graz. (Lupi Spuma)

Seit über 20 Jahren ist Michael Schilhan künstlerischer Leiter des Grazer Jugendtheaters Next Liberty, seit 2004 dessen geschäftsführender Intendant. In dieser Zeit entwickelte sich das Next Liberty zu einem der bedeutendsten Kinder- und Jugendtheatern im deutschsprachigen Raum. In der kommenden Spielzeit 22/23 stehen u.a. "Der Zauberer von Oz", "Das hässliche Entlein", "Frau Holle", "Das NEINhorn" oder "Cinderella" auf dem Programm.

KUMA: Während die großen Häuser sich ständig um den Nachwuchs und die Jugend bemühen müssen, kann das Next Liberty jedes Jahr aufs Neue auf konstant hohe Zuschauerzahlen blicken. Wie bekommt man junge Menschen ins Theater?

Michael Schilhan: Unser Erfolgsrezept ist sicher, dass wir schon in der Konzeption unseres Spielplanes wissen, für wen wir dieses oder jenes Stück produzieren und warum. Die Relevanz des Stückes, sei es inhaltlich oder sprachlich, steht im Mittelpunkt, und muss mit den Lebenswirklichkeiten von jungen Menschen zu tun haben. Das Publikum spürt, dass unser Team, (Ensemble, Theaterpädagogik, Technik, Marketing, Geschäftsleitung) gerne für junge Menschen arbeitet. Die Inszenierungen funktionieren sowohl für Kinder und Erwachsene. Wir machen unsere Arbeit gerne, das strahlt aus. Wir freuen uns zu begeistern. Es ist für uns kein Bemühen.

Das Next Liberty hat sich zu einem der größten deutschsprachigen Kinder-und Jugendtheater entwickelt. (Lupi Spuma)

Wie wichtig ist Theater für Kinder und Heranwachsende als Möglichkeit der Selbsterfahrung?

Die Reflexion ist unheimlich wichtig. , „Was hat das Gesehene mit mir zu tun?“. Ein Theatererlebnis ist dann vollkommen, wenn es bei unseren jungen Besucherinnen und Besuchern einen Nachklang hat. Dieser Nachklang geht mit ins Elternhaus, stellt Fragen und ermöglicht ein Gespräch auf Augenhöhe über Kunst und Fiktion zwischen Kind und Erwachsenen. Dieser Dialog festigt Beziehungen und bildet Vertrauen.

Klassiker wie "Emil und die Detektive" werden im Next Liberty regelmäßig inszeniert. (Lupi Spuma)

Sie haben das Theater als Seismograf für Stimmungen bezeichnet, das für Veränderungen in der Gesellschaft offen sein muss. In der kommenden Saison steht unter anderem mit der Produktion „Der Zauberer von Oz“ ein Kult-Stück der LGBTIQ-Szene am Programm. Ist das eine bewusste Reaktion auf den sehr positiven Regenbogen-Trend und das Bemühen, Minderheiten und Andersdenkenden mehr Rechte und Raum zu geben?

Unsere Fassung ist nicht das Musical, das für die queere Szene ein Kult-Stück geworden ist. Wir spielen das Stück als Schauspiel mit Musik. Die Botschaft ist aber doch die gleiche. Welche Magie entfaltet sich, wenn man seinen inneren Kompass vertraut ... und so - am besten gemeinsam mit anderen - über sich hinauswachsen kann?

Michael Schilhan sieht die Zukunft im interaktivem Theater. (Credit: Lupi Spuma)

Sie sind auch Opernregisseur und arbeiten eng mit der Oper Graz zusammen. Die Oper gilt einerseits oft als verstaubt und antiquiert, andere wiederum meinen, dass die Oper viel zeitkritischer und innovativer sein kann als normales Theater. Wie sieht für sie die moderne Kinderoper der Gegenwart aus?

Das ist eine sehr komplexe Frage. Es stimmt, Oper gilt allgemein als verstaubt und schwer zugänglich. Das war aber schon immer so. Darum gibt es auch viele Parodien auf dieses Genre. Werke für Kinder gibt es viele. Igor Strawinsky, Karl Goldmark, Ernst Krenek, Maurice Ravel, Nino Rota, Maxwell Davis, Gerd Kühr u.a.m. haben hervorragende Opern für Kinder komponiert. Die Oper bietet, allein durch die Musik noch mehr Möglichkeiten der Interpretation. Ich habe mich immer dafür stark gemacht, dass wir im Next Liberty eine Kinderoper in Koproduktion mit der Oper Graz (Cinderella, von Maxwell Davies) präsentieren. Mit dem Stück „Hexe Hillary geht in die Oper“ machen wir auch Werbung für das Genre „Oper“. Die Kinder und die Erwachsenen reagieren begeistert. In den Spielplänen der deutschen Opernhäuser auf den Hauptbühnen sind Kinderopern leider selten zu erleben. Schade. Eine Kinderoper auf einer Hauptbühne zu produzieren, bedarf die gleichen Ressourcen (Probenzeit, Orchester, Chor, Ausstattung usw.), eine erstklassige Besetzung, wie eine Oper, die sich an ein erwachsenes Publikum richtet. Das ist aber die Entscheidung der Geschäftsleitung. Will sie eine Produktion für Kinder auf der Hauptbühne präsentieren oder nicht. Es ist also eine Sache der Wertigkeit.

"Die Hexe Hillary geht in die Oper" erklärte in der vergangenen Saison Kindern die Oper. (Credit: Stella)

Wie kann man Kinder für die Oper begeistern?

Die Traditionen, dass vor allem Großeltern (die Eltern sind oft beide berufstätig) mit ihrem Enkel gemeinsam eine Opernaufführung besuchen, scheint auszulaufen. Ein Kind kauft sich von sich aus keine Opernkarte. Es braucht den Erwachsenen dazu. Es sind nicht alle Inszenierungen für Kinder lesbar, da hilft auch zuhause die Vorbereitung mit der besten Theaterpädagogin und ein bekannter Titel, wie „Die Zauberflöte“ oder „Hänsel und Gretel“ wenig. Kurz gesagt: Will man junges Publikum in einem Opernhaus als Publikum haben, müssen auch die Interpretationen für sie relevant sein – und - Kinder und Jugendliche brauchen gute und leistbare Sitzplätze, am besten ganz vorne beim Orchester. Kontakte zu den Ausführenden sind wichtig, sei es auch ein nettes Zwinkern von den Dirigenten*innen aus dem Orchestergraben in den Saal. Kinder müssen folgendes spüren: Wir spielen ganz allein für sie.