„Die Freie Szene braucht eine stabile und nachhaltige Verankerung im Fördersystem“

Interview: Lidija Krienzer-Radojević, IG Kultur Steiermark

Text: Lydia Bißmann & Sigrun Karre - 30.11.2022

Rubrik: Kulturland Steiermark

Credits: Sigrun Karre

KUMA sprach mit Lidija Krienzer-Radojević, Kulturanthropologin, Geschäftsführerin der IG Kultur Steiermark und und Vorstandsmitglied der IG Kultur Österreich über die aktuelle Situation der freien Kulturszene in der Steiermark.

Die IG Kultur ist ganz nah dran an der Freien Kulturszene, wie ist da derzeit die Befindlichkeit angesichts verschärfter Bedingungen?

Wir erleben mittlerweile das dritte Krisenjahr in Folge und die vielfältigen Auswirkungen erschweren die Kulturarbeit auf vielen Ebenen. Schon vor der Pandemie war bekannt, dass die Freie Szene unter extrem prekären Bedingungen arbeitet. Während der Krise wurde das offensichtlich und die Lage hat sich dann zusätzlich verschärft. Die Zusammenarbeit mit dem BMKÖS während der Corona Pandemie war kontinuierlich und konstruktiv, deshalb haben auch die Hilfsmaßnahmen des Bundes vielen im Kulturbereich geholfen, die Krise zu überstehen. Im Gegensatz dazu war die Zusammenarbeit mit dem Land Steiermark eher lückenhaft. Darum war das steirische Hilfspaket schlecht konstruiert – der Realität und den Bedürfnissen der Kulturakteur:innen nicht angepasst. Ein Großteil der Gelder wurde dann nicht ausgeschüttet und viele Betroffene gingen leer aus. Im Moment befinden wir uns inmitten einer neuen Krise, die ebenso rasche und gezielte Maßnahmen braucht.

Die Krise betrifft derzeit alle, was sind die spezifischen Herausforderungen für die Freie Kulturszene?

Das größte Problem ist die fehlende Planungssicherheit. Eine Umfrage bei unseren Mitgliedern hat ergeben dass die Auswirkungen der Teuerungen sehr divers sind. Es geht nicht nur um die Teuerungen im Energiebereich, sondern auch um Mieterhöhungen und allgemeine Preissteigerungen aufgrund der hohen Inflation. Da geht es z.B. um Baumaterialien für Ausstellungsbauten oder Ausstattungen für den Theaterbereich. Eingeholte Angebote sind oft nur sehr kurz gültig und Preissteigerungen schwer kalkulierbar. Besonders betroffen sind Kulturvereine, die Räume wie Ateliers, Werkstätten, Veranstaltungsorte und Proberäume betreiben. Die kämpfen schon heuer hart mit dem gestiegenen Kosten. Ein weiteres Problem ist die chronisch unterbezahlte Kunst- und Kulturarbeit. Aufgrund von gestiegenen Lebenskosten sind Gehälter und Honorare im Kulturbereich noch geringer geworden. Schon vor den Krisen waren laut einer Studie zur Sozialen Lage der Kunstschaffenden in Österreich schon 37% von Armutsgefährung bedroht. Gibt es keine ausreichenden kulturpolitischen Maßnahmen wird diese Zahl noch weiter steigen. Auch einnahmenseitig gibt es nach wie vor Probleme, da der seit Corona stark spürbare Publikumsschwund bisher nicht aufgeholt werden konnte. Ein weiteres Problem besteht bei bestehenden oder angesuchten Förderungen. Das Land Steiermark hat die mehrjährigen Förderverträge zwar schon im August beschlossen, jedoch wurden die Anträge bereits Ende 2021 geschrieben. Inzwischen haben sich die Preise fast verdoppelt.

Wie lässt sich die Situation entschärfen?

Wir fordern hier von der Kulturpolitik einen kulanten Umgang mit der Förderungsabwicklung und klare Anweisungen, wie wir hier handeln sollen. Ebenso fordern wir eine Indexanpassung des Förderbudgets. Dabei muss die Politik aber aufpassen, die ungleiche Ausgangslage von Kulturakteur:innen nicht noch weiter zu vertiefen.Denn genau das passiert zurzeit. Sowohl das Land Steiermark als auch die Stadt Graz haben in dieser äußerst kritischen Situation den Bühnen Graz eine Gehaltsindexanpassung versprochen, mit dem Argument, ihre verträglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Somit haben die Mitarbeiter:innen der Bühnen eine Gehaltssteigerung von 8,7 % bekommen, während die Künstler:innen und die Kulturarbeiter:innen in der Freien Szene nicht einmal die Mindestlohnstandards schaffen. Derartige politische Entscheidungen sind für den Zusammenhalt im Kulturbereich äußerst gefährlich.

Zeichnet sich ab, dass kleine Theater oder andere Initiativen vermehrt zusperren?

Die Freie Szene ist für ihr Engagement und ihren ideenreichen Umgang mit Krisen bekannt und die Kolleg:innen arbeiten, bis es nicht mehr geht. Das geht viel zu oft auf eigene Kosten und Gesundheit, unfreiwilliges Ehrenamt steht an der Tagesordnung. Wir hoffen, dass es nicht zu Schließungen kommt, denn man muss bedenken, dass es unglaublich viele Ressourcen (Zeit, Geld, Engagement) gebraucht hat, so eine vielfältige Kulturlandschaft aufzubauen. Wenn nun z.B. ein Veranstaltungsraum, wenn auch nur vorübergehend, zusperrt, bräuchte es in Zukunft viele Ressourcen, um diesen wieder zu beleben. Deswegen appellieren wir so vehement an die Kulturpolitik, hier Verantwortung zu übernehmen und rasch zu handeln. Andernfalls wäre auch jeder bisher investierte Euro verschwendet, wenn es keine Zukunft und Nachhaltigkeit gibt.

Der Energiekosten-Zuschuss ist aktuell auch für Kulturbetriebe ein drängendes Thema. Gibt es da bereits Ergebnisse für jene Vereine, die die „magische“ Zahl von Euro 6.666 Mehrkosten im vergangenen Jahr nicht überschritten haben?

Der Energiekostenzuschuss ist grundsätzlich für größere Betriebe gedacht. Für die Kleineren ist das Vorhaben des Bundes noch immer unklar. Wir, als IG Kultur Österreich, haben schon mehrmals den zuständigen Minister Kocher aufgefordert, eine schnelle Umsetzung der ankündigten Pauschalförderung zur kurzfristigen Sicherung kleinteiliger Strukturen angesichts der explodierenden Energiekosten zu stellen. Dazu brauchen wir auch einen Anti-Teuerungs-Fonds für Non-Profit-Organisationen, ähnlich wie in Zeiten der Corona-Krise, um die Arbeit der gemeinnützigen Organisation aufrechtzuerhalten. In der Steiermark ist das Schweigen des Landeshauptmanns Christopher Drexler besorgniserregend. Seit Mitte September informieren wir ihn laufend über die Lage, fordern einen Termin und unterbreiten Vorschläge, die sich an die Bedürfnisse der Freien Szene richten. Als Verantwortlicher für die Kulturagenden hat er sich leider noch nicht dazu geäußert. Wir hoffen, dass sich da bald etwas tut, denn je länger es dauert, umso größer ist der Schaden.

Was wurde eigentlich aus Fair Pay, eine Forderung der IG Kultur? Gibt es, abseits des 9-Millionen-Euro-Topfs des Bunds, Zusagen vom Land und den Gemeinden?

So wie der Bund haben sich das Land Steiermark und die Stadt Graz entschlossen, eine Fair Pay Strategie zu schaffen. Dazu wurde im Rahmen der Landeskulturstrategie 2030 eine damit befasste Arbeitsgruppe aus Vertreter:innen des Landes, der Stadt und der Interessengemeinschaften gegründet. Diese Arbeitsgruppe bereitet gerade eine Fair Pay Erhebung vor, um einen Fair Pay Gap zu bemessen. Dieser Faktencheck ist notwendig, um die Lage bezüglich Gehälter und Honorare im geförderten Kulturbereich zu ermittleln. Danach sind die Politiker:innen am Zug. Sie müssen entscheiden, in welchen Schritten sie den Fair Pay Gap schließen wollen. Ebenso müssen sie über die Weiterentwicklung des Kulturbudgets und insbesondere über die Verteilung des Kulturbudgets entscheiden. Denn die momentane Verteilung, insbesondere beim Land, ist besorgniserregend.

Inwiefern?

Während die landeseigenen Kultureinrichtungen 83% des gesamten Kulturbudgets bekommen, bleiben gerade etwa 13 Prozent für die allgemeinen Kunst- und Kulturförderungen übrig. In diesem Fördertopf befinden sich sowohl große Kulturtanker wie Styriarte, Musikverein, Diagonale oder La Strada als auch kleine Kulturvereine, die in diversen Kleinstädten und Dörfer steiermarkweit tätig sind. Ebenso ist die Verteilung zwischen Graz und der Steiermark dramatisch: 75% der Förderungen fließen nach Graz. Diese schiefe Lage im Fördersystem ist wie ein Abbild eines Kunst- und Kulturverständnisses aus dem 19. Jahrhundert. Kunst und Kultur haben sich historisch als eine Domäne der „Upper Class“ entwickelt, als Kulisse für Versammlungen der Elite. Auch heute bekommen genau solche Veranstaltungen und Produktionen einen Großteil der öffentlichen Gelder. Doch mit dem Aufkommen der Arbeiter:innenbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts, die eine „Kultur für alle“ gefordert hat, und dem Aufstieg der historischen Avantgarde, die Kunst in das Leben der Menschen bringen wollte, kam es hier zu einem Paradigmenwechsel. Die Entwicklung der Freien Szene nach dem 2. Weltkrieg hat diesen Trend in der Zivilgesellschaft tief verankert und bis zu einem gewissen Grad als Normalität etabliert. Wenn wir heute über die Verteilung der öffentlichen Gelder für Kunst und Kultur debattieren, sprechen wir über die Rolle von Kunst und Kultur in der Gesellschaft. Die Freie Szene hat neben dem kulturpolitischen auch einen sozialpolitischen und bildungspolitischen Wert für die Gesellschaft. Sie ermöglicht der Bevölkerung aktive Partizipation, sorgt für ein lebendiges Kulturgeschehen und befeuert demokratiepolitische Prozesse. Deshalb braucht sie eine stabile und nachhaltige Verankerung im Fördersystem, unabhängig von Befindlichkeiten aktueller Politik.

Die IG Kultur Steiermark ist Interessenvertretung von 178 autonomen Kulturinitiativen in der Steiermark sowie Anlaufstelle für steirische Kunst- und Kulturakteur:innen. Sie vertritt Kulturinitiativen, die selbstbestimmt und kontinuierlich im Bereich der zeitgenössischen Kulturvermittlung und -produktion tätig sind. Als kulturpolitische Interessenvertretung und Beratungsinstanz geht die IGK-Stmk. im Auftrag der Kulturinitiativen ihrer zentralen Aufgabe nach: der Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Bereich der Kulturarbeit.