"Kulturelle Teilhabe ist ein Recht, kein Privileg!"
Interview: Lidija Krienzer-Radojević, GF IG Kultur Stmk
Text: Sigrun Karre - 22.11.2024
Rubrik: Kulturland Steiermark
KUMA sprach mit Lidija Krienzer-Radojević, Geschäftsführerin der IG Kultur Steiermark und und Vorstandsmitglied der IG Kultur Österreich über nachhaltige Kulturarbeit, budgetäre Nöte und den Lehrgang für Kulturmanagement als weiteren Schritt zur Professionalisierung der freien Szene.
Bei unserem Gespräch vor zwei Jahren war noch Corona und die Teuerung ein großes Thema. Was sind die Themen, die die freie Szene aktuell am stärksten bewegen?
Einerseits beschäftigen uns nach wie vor alltagspolitische Themen, welche die strukturelle und ökonomische Lage der freien Szene innerhalb der regionalen Kulturlandschaft betreffen, andererseits setzen wir uns als Interessenvertretung mit inhaltlichen kulturpolitischen Themen, wie Diversität und die Thematik der Generationenübergabe im Kulturbereich auseinander, die gerade bei jungen Menschen auf großes Interesse stoßen. Die Kultur darf dahingehend nicht als eine bloße Bespaßung der Massen verstanden werden, sondern sie muss, wie zahlreiche Studien zeigen, als zentrales Element der Gesellschaft er- und anerkannt werden, welches Teilhabe ermöglicht und auf diese Weise Demokratie fördert. Daher ist es gerade in Zeiten der budgetären Knappheit wichtig, dass die Politik nicht nur die Rolle der Kultur innerhalb der Gesellschaft versteht, sondern auch Verantwortung für eine nachhaltige Kulturentwicklung übernimmt.
Nachhaltige Kulturarbeit in Richtung Diversität bzw. Fairness ist zunehmend etwas, das den gesamten Kulturbetrieb betrifft und mit dem Bedürfnis einhergeht, dass sich etwas bewegt. Dies wird sowohl von kleinen als auch von großen Kultureinrichtungen artikuliert, allerdings braucht es dafür mehr als nur den Willen einzelner Akteur:innen. Vielmehr braucht es entsprechende Ressourcen und Wissen. Hier versucht die IG Kultur ihre Mitglieder zu unterstützen, denn kulturelle Teilhabe ist ein Recht, kein Privileg!
Vor allem aber braucht Kulturarbeit entsprechende Rahmenbedingungen und eine faire Bezahlung, um sich weiter entwickeln zu können. 2024 wurde ein Bekenntnis zu Fair Pay von Land und Stadt erwirkt und die ersten Schritte in Richtung einer faire(ren) Bezahlung umgesetzt. Leider ist die Zukunft dieser Forderung vieler Kulturakteur:innen aus heutiger Sicht sehr ungewiss. Im Hinblick auf die bevorstehenden Landtagswahlen und gesellschaftspolitischen Herausforderungen, die vor uns stehen, sind wir davon überzeugt, dass diejenigen, die ein demokratisches Engagement in der Gesellschaft steigern möchten, in lokale Kulturangebote investieren müssen.
Wenn die Umfragen auch diesmal als Prognose funktionieren sollten, ist bei der Landtagswahl mit ähnlichen Ergebnissen wie bei der Nationalratswahl zu rechnen. Der Kulturbegriff der FPÖ meint all das nicht, was freie Kunst und Kultur sind. Wie unmittelbar ist denn die Gefahr für die Szene bzw. auch für euch als Interessenvertretung? Was für Szenarien sind da möglich?
Ich möchte nicht schwarzmalen. Die Nationalratswahlen sind vorüber, wir haben noch keine Regierung, die Verhandlungen laufen. Das Gleiche gilt für die Landtagswahlen. Auch hier steht uns eine neue Regierungsbildung, bevor und wie immer diese auch ausgeht, müssen wir uns dann mit der Situation auseinandersetzen. Wichtig ist bei diesen Verhandlungen, dass sich die Parteien ihrer Verantwortung hinsichtlich der gesellschaftspolitischen Lage und der damit in Zusammenhang stehenden brennenden Probleme bewusst sind. Bezüglich Kulturförderungen ist es vielleicht auch wichtig festzuhalten bzw. darauf hinzuweisen, dass es kein Recht auf Förderungen gibt. Der bzw. die jeweilige Ressortverantwortliche setzt die kulturpolitischen Ziele, denen die Verwaltung folgen muss. In dem Sinne gibt es also unter keiner Regierung so etwas wie Sicherheit.
Zurzeit gibt es noch einige Handlungsspielräume, aber die Gefahr, dass diese sich reduzieren, ist durchaus real. Ich gehe nicht davon aus, dass wir nach dem 24. November in einer Diktatur oder einer neuen Welt aufwachen werden. Es wird Verhandlungen geben und wer auch immer am Tisch sitzen wird, muss sich mit der Erstellung eines Budgetvoranschlags für das Jahr 2025 auseinandersetzen. Glauben wir düsteren Budgetprognosen, wird dies keine einfache Aufgabe sein und somit stellt sich die Frage zu Budgetkürzungen, die im ohnehin schon prekären Kulturbereich für uns inakzeptabel sind.
In Berlin gibt es aktuell Protest gegen deutliche Kürzungen des Kulturbudgets der konservativen Stadtregierung, insbesondere die Theater sind betroffen. Ist das eine europaweite Tendenz?
Ja. Die Problematik hat dabei weniger mit den Farben der Parteien zu tun als mit einem globalen Trend, der Rezession heißt. In der Stadt Graz liegt bereits eine Kürzung des Kulturbudgets aufgrund von Liquiditätsproblemen auf dem Tisch. Wir haben schon vor dem Sommer dagegen protestiert und auf die Folgewirkungen aufmerksam gemacht, und auch jetzt führen wir noch parteiübergreifende Gespräche mit den verantwortlichen Politiker:innen, um eine Lösung zu finden, die den Schaden im Kulturbereich minimiert. Dabei vertreten wir die Interessen der freien Szene, i.e. gemeinnütziger Kultureinrichtungen, die von den Kürzungen am meisten betroffen sein werden, zugleich aber für ein lebendiges und vielfältiges Kulturleben in der Stadt sorgen.
Eine 10%ige Kürzung in einem Bereich, der bereits seit Jahrzehnten prekär arbeitet, wird die gesamte Grazer Kulturlandschaft nachhaltig schwächen. Deshalb braucht es in dieser äußerst herausfordernden Situation ein solidarisches Handeln als Ökosystem Kultur, welches über spartenspezifische Anliegen, Eigeninteressen und Differenzen zwischen etablierten, großen Einrichtungen und prekären, kleinen Kulturinitiativen und Einzelpersonen hinweg gemeinsam agiert. Das muss sowohl der Politik als auch den Menschen, die im Kulturbereich arbeiten, bewusst werden.
Mit Schwarz-Blau, was als mögliche Farbkombination für die nächste Landesregierung gilt, hat die IG Kultur auf Stadtregierungsebene schon Erfahrung gemacht. Was waren Erkenntnisse aus der vierjährigen Nagl-Eustacchio-Periode?
Grundsätzlich hängt dabei immer viel von den jeweiligen Ressortverantwortlichen ab, von seinen bzw. ihren Anliegen betreffend den Kulturbereich und von seinem bzw. ihrem Verhandlungsgeschick. In der damaligen Regierungsperiode war der ÖVP-Stadtrat Günther Riegler bereits Kulturstadtrat und zugleich auch Finanzstadtrat. Auf diese Weise konnte er unter anderem das Kulturbudget jährlich inflationsanpassen, das Kulturjahr 2020 initiieren und dazu auch ein entsprechendes Budget zur Verfügung stellen. Ich erinnere mich, dass die FPÖ den mehrjährigen Fördervereinbarungen 2023-25 nicht zustimmen wollte, im Gemeinderat aber mit den Stimmen anderer Parteien dennoch eine Mehrheit geschafft wurde. Wir leben glücklicherweise (noch immer) in einer Demokratie.
Alles in allem ist es uns wichtig, den politischen Akteur:innen zu vermitteln, dass Kultur nicht nur als ein Posten im Kulturbudget gesehen werden darf bzw. auch, dass Kultur nicht isoliert betrachtet werden kann. Kultur ist eine Querschnittsmaterie, die viele gesellschaftliche Bereiche miteinander verbindet. Sie sorgt für Inklusion und Zusammenhalt, sie ist Ausdrucksform und Bildungselement, sie ist ein Mittel gegen Abwanderung und ein notwendiger Standortfaktor, sie wirkt demokratiestiftend und erzielt zugleich wirtschaftliche Effekte. Aus diesem Grund glauben wir, dass es ein breiteres und ressortübergreifendes Denken als auch Handeln braucht.
Eröffnung des Lehrgangs für Kulturmanagement der IG Kultur Steiermark in Graz, Credit: IG Kultur
Innerhalb der freien Kunst- und Kulturszene kommt es aktuell erstmals zu einer Reihe von Vereinsübergaben. Was sind dabei die Herausforderungen?
Der Generationenwechsel ist ein brennendes Thema, denn wir haben eine spezifische historische Situation. Die freie Szene ist in den letzten 30 Jahren gewachsen und vielfältig geworden. Viel Energie und Engagement einzelner Personen und Gruppen steckt im Aufbau der Szene, die wir heute kennen. Gerade auch vor diesem Hintergrund sind Übergaben in diesem Bereich nicht immer einfach, weil sie einerseits ein Loslassen und andererseits viele Ressourcen verlangen, die im freien Kulturbereich schlichtweg chronisch fehlen. Es braucht Ressourcen, um Nachfolger:innen zu finden, sie gut vorzubereiten und auszustatten. Da viele Initiativen sich das einfach nicht leisten können, haben wir in Kooperation mit den Zentren für Ausbildung-Management (zam Steiermark) und dem Institut für Kulturkonzepte ein Pilotprojekt initiiert, welches darauf abzielt, ein Ausbildungs- und Beschäftigungsformat im Kulturbereich zu realisieren, das durch finanzielle Unterstützung des Landes Steiermark (Soziales, Arbeit und Integration) sowie des AMS Steiermark ermöglicht wird.
Du sprichst den Lehrgang für Kulturmanagement an?
Genau. Nach zweijähriger Vorarbeit war im Oktober der Startschuss. Das Projekt dient dem Aufbau qualifizierten Personals in der steirischen freien Kunst- und Kulturszene und ist in dieser Form österreichweit einzigartig. 20 Personen wird im Rahmen des Projekts ermöglicht, an einem neunmonatigen Kulturmanagement-Lehrgang teilzunehmen. Die Idee ist es, durch eine maßgeschneiderte, duale Ausbildung dem Nachwuchs einen Professionalisierungsschritt im Kulturbereich zu ermöglichen und zugleich Kulturinitiativen zu helfen, die vor einem Generationenwechsel stehen bzw. qualifizierten Personals bedürfen.
Wir haben hier einen Schwerpunkt auf Frauen* gesetzt, um zur mehr Gendergerechtigkeit im Kulturbereich beizutragen. Wie der neue Gender-Report des BMKÖS zeigt, beteiligen sich Frauen zwar überproportional im Kulturbereich, dennoch ist auch hier zu beobachten, dass je höher das Einkommen, je besser abgesichert der Job, desto höher ist der Anteil an Männern.
Wir freuen uns sehr, dass alle verfügbaren 20 Plätze des Projekts belegt werden konnten und bei der Auswahl der Teilnehmerinnen auch die angestrebte Vielfalt erreicht wurde. So haben wir es geschafft, dass ein Drittel der teilnehmenden Kulturinitiativen in den steirischen Regionen angesiedelt ist. Ebenso wurde sowohl auf die Diversität der Teilnehmerinnen (z.B. in Hinblick auf Alter und Herkunft) als auch auf die Vielfalt der Kunst- und Kultursparten der Kulturinitiativen geachtet. Der Lehrgang ist so gestaltet, dass er auch eine Vielzahl an Vernetzungsmöglichkeiten bietet bzw. einen Fokus auf Synergien und das Teilen von Ressourcen legt. Wir glauben, dass wir mit diesem Projekt eine Win-Win-Situation sowohl für Einzelpersonen als auch für Kulturinitiativen geschafft haben.