"Ich wandere bis heute gerne durch die Szenen"
Interview: Jimi Lend, Theatermacher & mehr
Text: Sigrun Karre & Stefan Zavernik - 28.07.2022
Rubrik: Theater
Wolfgang Lampl alias Jimi Lend ist Schauspieler, Dichter, Kulturmacher und einiges mehr. KUMA sprach mit dem Regisseur des VoS-Stücks "Rad der Zeit" während der letzten Proben am elterlichen Bauernhof, kurz unterbrochen von einem vorbeifahrenden Traktor.
Die Vitamins of Society-Stücke sind immer Uraufführungen und werden professionell produziert. Wie kann man sich das vorstellen, ihr lebt während der Probenzeit über Wochen zusammen als „Kommune“?
Die reine Probezeit ist ca. ein Monat, heuer haben wir aber schon zuvor online mit der Arbeit im Team begonnen. Tatsächlich beginnt die Arbeit an der Produktion aber schon im Winter. Da entwickle ich mit Jonny (Johannes Schrettle) gemeinsam die Geschichte, die er dann als Drama zu Papier bringt. Der Text ist bis zu 80 Prozent bei Probenbeginn fertig, und dann gibt es immer noch Anpassungen, es kommen Lieder dazu usw. Dramaturgische Ideen werden auch wieder in Libretti eingeschrieben. Vieles ergibt sich noch vor Ort beim Proben, da kasernieren wir uns ein, leben alle an einem Ort, analysieren noch zu später Stunde. In dieser Zeit leben und essen und arbeiten wir miteinander unter einem Dach, nämlich am Bauernhof meiner Familie in St. Ulrich im Greith.
Ihr habt kein fixes Ensemble, aber könnt immer wieder auch bekanntere Schauspieler*innen der heimischen Filmszene gewinnen. Wie gelingt das? Castet ihr die Schauspieler*innen für jede Produktion?
Das gelingt dadurch, dass mein Bruder Harry Lampl selbst auch Filmschauspieler ist (Die Werkstürmer, Tatort, Klammer etc.), dadurch hat er viele Kontakte. Das Team entsteht über den Winter. Manchmal bekommen wir Anfragen von Künstler*innen, vieles ergibt sich eben einfach aus dem Bekanntenkreis. Mit den Gagen von Reichenau oder großen Filmproduktionen können wir natürlich nicht mithalten, weswegen es auch schon passiert ist, dass Leute kurzfristig abgesagt haben. Wenn wir die Leute schon kennen, wird die Rolle sozusagen „maßgeschneidert“, zum Teil kommen auch Externe später dazu. Heuer ist z.B. Sophia Laggner dabei, die manche noch aus Glawoggers „Nacktschnecken“ kennen, der Schauspieler und Kabarettist Marcel Mohab von u.a. „Waren einmal Revoluzzer“ war dabei. Die Leute schätzen natürlich auch das Klima, das freie Arbeiten am Land, wo man sich auf Augenhöhe begegnet und miteinander Sachen entwickelt, was in einem starren, hierarchischen Kulturbetrieb nicht stattfindet.
VoS-Ensemble 2022/Foto: René Böhmer/VoS 2022
Das bedeutet, du setzt als Regisseur ganz auf Teamwork?
Grundsätzlich ja. Ich glaube an den gemeinsamen Findungsprozess, es ist ein gemeinsames Erarbeiten der Rollen, Texte und Dynamiken in einem Stück und ich sehe meine Aufgabe darin, zu schauen, was aus den Spielerinnen und Spielern in diesem Prozess entsteht und dann eben auszuwählen, was gut passt etc. Ich glaube künstlerisch gesehen ist das Ergebnis auch besser, wenn eine Schauspielerin, ein Schauspieler selbst gestaltet und selbst auf Sachen draufkommt, als wenn man sie oder ihn in ein Korsett drängt.
Johannes Schrettle hat das Skript für das aktuelle Stück „Rad der Zeit“ geschrieben, ihr kennt euch bereits von eurem früheren Kollektiv, den „little drama boyz“. Ihr zwei seid sozusagen das Kernteam?
Hinzu kommt noch meine Familie am Land, wir proben ja am Hof meiner Familie, mein Bruder Harry Lampl ist wie gesagt auch Schauspieler und spielt meist eine große Rolle, meine Schwester macht die Kostüme, spielt aber auch eine kleine Rolle als Schauspielerin. Und die Band ist auch schon traditionell ein fixer Bestandteil. Roli Wesp ist Bandleader und Komponist, er schreibt jedes Jahr einen Original-Score, so rund 10 neue Lieder, teilweise mit Texten von Jonny Schrettle. Die Band als Teil der Inszenierung nennt sich jedes Jahr anders, heuer heißt sie – wie immer passend zum Stück - „Purple Thunder“.
Das Rad der Zeit: Sophie Lagggner und Harry Lampl/ Foto: René Böhmer/VoS 2022
Wie viel Publikum habt ihr im Schnitt pro Produktion?
Wir haben immer zumindest über 1.000 Zuseher*innen pro Saison. Heuer hoffe ich, dass wir 1.500 bis 2.000 Besucher*innen schaffen werden.
Du bist ein Tausendsassa als Regisseur, Dichter, Poetry Slammer etc. Das ist in Zeiten der allgemeinen Spezialisierung eher ungewöhnlich. Wie kam es dazu? Fliegen dir die Projekte zu?
Ich bin vielfältig interessiert und arbeite einfach gerne projektweise. Man kann sagen, das ist eine prekäre Lebenssituation, wenn man oft nicht weiß, was man in drei Monaten machen wird. Aber dadurch, dass ich so schon lange arbeite und lebe, habe ich diese Ängste nicht mehr. Ich habe zuerst sehr jung Schauspiel studiert in Graz, so ein früher Höhepunkt für mich war vor 20 Jahren, damals haben wir für die Grazer KUG das bis dato einzige Mal den ersten Preis deutschsprachiger Schauspielstudent*innen gewonnen. Ich bin dann nach Wien in die freie Szene gegangen, aber rein nur als Schauspieler zu arbeiten war für mich persönlich zu wenig gestalterisch. Insbesondere, weil man im herkömmlichen Betrieb immer den Produktionszwängen von anderen ausgeliefert ist. Ich war dann früh in der Wiener Slam-Szene dabei und hab anschließend den Poetry Slam auch nach Graz gebracht. Das hat sich so ergeben, ich wandere bis heute gerne durch die Szenen. Ich nenne meine Tätigkeit „Realisation“, denn ich bin nicht nur künstlerisch involviert, sondern vom Aufstellen von Förderungen und Sponsoren, über Pressearbeit bis zum Abrechnen für alles zuständig. Aber im Herbst z.B. bin ich wieder einmal „nur“ Schauspieler. Ich schätze die Abwechslung.
Was konkret sind deine nächsten Projekte?
Als Nächstes spiele ich den „Hödlmoser“ in der bis dato ersten Dramatisierung von Reinhard P. Grubers Roman durch Bernd Watzka von Drama Wien. Der Hödlmoser ist so der Typus des sensiblen Ursteirers, eines eloquenten Kraftlackels, eine Rolle, der ich mich sehr nahe fühle. Die Vorgeschichte, wie ich zu der Rolle kam, zeigt, dass man mit allem, was man macht, wieder was in Gang setzt. Ich habe vor Jahren „Drama-Slam“, einen Kurzdramen-Wettbewerb ins Leben gerufen, mit dem ich später auch in Brüssel, Sarajewo, St. Petersburg. Triest etc. unterwegs war. Das einfache Konzept: Schauspieler*innen lesen Stücke und das Publikum wählt basisdemokratisch den Text des Abends. Der Schauspieler Bernd Watzka hat bei einem solchen Abend teilgenommen und gewonnen und ist draufgekommen, dass er gut dramatisch schreiben kann. Mittlerweile produziert er selbst Stücke, eines davon ist eben der Hödlmoser, für den er mich nun wiederum engagiert hat. Wir werden mit der Produktion auf Tournee durch die Steiermark und Wien gehen. Danach spiele ich bis November ein paar Vorstellungen von Anatevka an der Oper Graz und dann freue ich mich schon, wenn ich etwas ausruhen kann.
Du bist einerseits international orientiert und vernetzt, andererseits machst du bewusst in der steirischen Provinz Theater. Du kommst ursprünglich selbst vom Land, eine Form von „Back to the Roots“ oder was reizt dich daran Kunst am Land zu machen?
Ich bin in Eibiswald geboren, aber in Graz aufgewachsen, habe allerdings jedes Wochenende und die Ferien in Eibiswald verbracht. Nach 10 Jahren in Wien habe ich befunden, dass es einfach angenehm ist, am Land zu arbeiten. Es ist sehr viel Platz, hier am Bauernhof meiner Familie in St. Ulrich im Greith habe ich ein tolles Lebensumfeld, Luft und Teiche und Seen und Berge und Früchte…
Sogenannte Universalkünstler, die verschiedene Ausdrucksformen suchen, haben oft dafür eine Art Grundthemenkreis, ist so meine subjektive Beobachtung. Wie ist das bei dir?
Bei mir ist der äußere gemeinsame Nenner meiner Aktivitäten, dass ich am liebsten Bühnen- und Live-Sachen mache. Thematisch nehme ich immer stark Bezug zum gegenwärtigen Zustand der Welt. Das geschieht nicht in einer aktivistischen Form, aber aktuelle Tagespolitik, globale Zusammenhänge, Krisen und offensichtliche Widersprüche, das alles interessiert mich auf jeden Fall und ist ein Antrieb in dem Ganzen.
Es heißt, in Österreich werden Künstler*innen oft mehr bedauert als wertgeschätzt und sofort danach gefragt, ob sie von der Kunst leben können. Wie oft ist dir diese Frage schon gestellt worden?
Sehr oft, vor allem in früheren Zeiten. Ich bin aber jetzt auch schon 20 Jahre in der freien Szene, mittlerweile höre ich das zunehmend weniger. Man hat jetzt in der Corona-Krise und der Ukraine-Kriegszeit gesehen, wie „sicher“ alles ist. Es kann von heute auf morgen auf einmal nichts mehr sein, oder die Kunst plötzlich nicht mehr so wichtig sein. Aber vor allem als freier Künstler lebt man damit.
Das bedeutet als Künstler*in ist man besser für die Krise gewappnet, weil man den Schwebezustand gewohnt ist?
Genau, man muss schauen, wie man über den Winter kommt. Sozusagen. Man ist das gewohnt und hat dadurch sicher eine gewisse Krisenexpertise, würde ich sagen.