Die Impro-Leitung des Theaters im Bahnhof im Gespräch

Interview: Jacob Banigan, TiB

Text: - 22.05.2024

Rubrik: Theater
Jacob Banigan

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Jacob Banigan, geboren in Edmonton, Kanada, leitet seit Jahren die Impro-Abteilung im Theater im Bahnhof und gilt auf dem Gebiet des Impro-Theaters als einer der besten seiner Zunft. Nachdem die traditionelle Impro-Show "Montag" vom Theater im Bahnhof im Orpheum Extra brummt und Jacobs Solo-Performance "Game of Death" im Theater im Bahnhof nahezu immer ausverkauft ist, traf ich mich mit ihm zu einem Gespräch, um etwas mehr über ihn und Impro-Theater zu erfahren.

Jacob, du hast im Theater im Bahnhof die Impro-Leitung: Was kann man darunter verstehen?

Wir haben im Theater im Bahnhof viele Impro-Shows, zum Beispiel die "Montag"-Shows, und irgendwer muss das organisieren. Wer wann dran ist - wir spielen in wechselnder Besetzung - wer der Musiker ist, müssen wir uns ausreden. Wir haben alle einen komplizierten Zeitplan, den müssen wir immer abgleichen und dann prüfen, wer wann wo ist. Auch gehört dazu die Entscheidung, ob wir die Show in die eine oder andere Richtung vorantreiben wollen, ob wir uns auf längere Geschichten oder ob wir uns mehr auf die Strukturen konzentrieren wollen. Aber die Art und Weise, wie wir zusammenspielen, funktioniert sehr gut. Und deswegen haben wir in den letzten paar Jahren nicht allzu viel verändert. Aber jede Woche denken wir darüber nach, wie wir in der Show vielleicht etwas anderes machen können. Manchmal bringe ich also etwas ein wie: "Es gibt eine Form, die wir ausprobieren können, zum Beispiel für eine längere Show." Und andere Dinge, die ich von Festivals oder beim Unterrichten einer Klasse mitbringe (Anm.: Jacob lehrt an der Grazer Kunstuniversität im Institut für Schauspiel Improvisation). Wenn ich etwas Neues gelernt habe, kann diese Technik in unsere Arbeit einbringen.

Wie begann deine Schauspiel-Karriere? Wollest du immer schon Impro-Theater spielen oder gab es da einen Umweg?

Zu Anfang wusste ich, dass ich irgendwie Schauspieler werden wollte. Und als ich Impro zum ersten Mal sah, dachte ich: "Oh, sie machen es einfach und haben Spaß und es ist gut." Und es ist immer neu. Nun ja, und danach kam alles andere.

Wie war deine Schauspielausbildung?

Ich habe einfach begonnen zu spielen. Ich hatte keine Ausbildung. Meine Schauspielschule war das "Rapid Fire Theatre" (Anm: Edmontons ältestes noch existierendes Impro Theater). Wir mussten lernen, einfach alles selbst zu machen und uns gegenseitig Dinge beizubringen. Wir haben einfach mit Impro experimentiert, und so haben wir gelernt. So einfach das ist. Und jetzt Schluss mit Schule.
Jacob Banigan

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Nachdem du in Kanada begonnen hast, wie bist du nach Österreich gekommen?

Ich habe die wunderbare Beatrix Brunschko vom Theater im Bahnhof auf dem Berliner Impro-Festival kennengelernt. Seitdem sind wir zusammen. Und das Theater im Bahnhof hat mich dann einfach adoptiert. So habe ich begonnen ab 2002 zeitweise nach Graz zu ziehen und bin nun seit 2004 endgültig hier.

Was ist für dich der Unterschied zwischen der Impro-Theater-Szene und der "normalen" Theater-Szene?

Grundsätzlich spielen wir alle mit den gleichen Voraussetzungen. Aber bei Impro ist jede Show anders und einmalig und das mag ich sehr. Wir machen unsere Shows auf unsere Art und das ist großartig. Manche Leute sehen es so, als wäre es die andere Seite des Zauns: "Sie sind anders" oder "Wir sind anders". Aber es ist nicht so unterschiedlich, sie möchten auch das Publikum unterhalten. Bei uns ist es immer ein Experiment, wohin wir gehen, deswegen schätze ich persönlich Impro-Theater mehr. Ich werde mir immer eine Impro-Show ansehen, bevor ich eine herkömmliche Theateraufführung besuche.

Es gibt ja auch eine spezielle Impro-Szene in Europa. Kannst du mir etwas darüber erzählen?

Grundsätzlich gibt es in jeder Stadt, auch in vielen in sehr kleinen Städten, eine Gruppe von Leuten, die improvisierte Shows machen. In den größeren Städten gibt es größere Gruppen mit mehr und erfolgreicheren Aufführungen. Und so gibt es ein Netzwerk von uns allen, die sich kennen und nach den gleichen Regeln spielen, oder nicht nach den gleichen Regeln, aber nach der gleichen Technik, wie man Theater macht. Es ist also ein wunderbares Netzwerk von Menschen, in dem wir uns jederzeit gegenseitig einladen können, um gemeinsam unser Ding durchzuziehen, auch in jeder beliebigen Sprache. Und wir laden uns auch gegenseitig ein, um zu unseren Festivals zu kommen oder unsere Schüler*innen zu unterrichten oder was auch immer.
Jacob Banigan

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Wenn du ein neues Impro-Konzept entwickelst, wie gehst du da vor?

Wenn wir versuchen, eine neue Struktur oder eine neue Form für die Show zu finden, müssen wir vorab ein paar Fragen klären: Wie groß ist die Show? Wie groß ist der Veranstaltungsort? Womit können wir in diesem Raum spielen? Was interessiert uns? Wie können wir die Mittel des Theaters nutzen und uns darauf konzentrieren, auf eine andere Art und Weise zu spielen? Spielen wir mit der Zeit? Werden wir mit Bildern spielen? Werden wir mit Musik spielen? Das sind alles Fragen, die die mögliche Struktur der Geschichte betreffen. Wir können verschiedenste dieser Dinge zum Spielen auswählen. Wir organisieren das Gerüst der Show und sehen, wie diese um dieses Gerüst herum wächst. Eigentlich ist es kein Gerüst, eher wie ein leeres Haus. Die Struktur ist da und man muss die Räume füllen. Es geht also darum, welche Art von Struktur wir bauen möchten. Geht es mehr um Geschichten? Geht es mehr um Charaktere?

Du spielst seit Jahren die erfolgreich Solo-Performance "Game of Death". Wie lange gibt es die schon?

Seit 2012. Es ist also das 12. Jahr. Das ist cool. Über die tatsächliche Anzahl der Shows habe ich den Überblick verloren, weil ich manchmal 10 Shows hintereinander in Edmonton oder anderswo spiele. Hier in Graz sind es auf jeden Fall derzeit sechs bis sieben Shows pro Saison.
Jacob Banigan

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Kannst du mir etwas mehr über das Konzept von "Game of Death" erzählen?

Das ist meine Solo-Improvisationsshow mit einem Musiker, in der ich Geschichten erfinde, von denen eine kurz und die andere lang ist. Und ich spiele alle Charaktere. Diese sind inspiriert von Menschen aus dem Publikum und meinen Gesprächen mit ihnen. Die Arbeit für mich beginnt also schon bevor die Geschichten beginnen. Es ist, als würde ich die Ideen des Publikums mit in den Raum einladen. All diese Vorschläge der Zuschauer kommen zusammen und werden Teil der Geschichte. Dann muss ich einfach von einer Idee zur nächsten übergehen, und zur nächsten und zur nächsten und sozusagen all diese Einflüsse in mich und in den Raum lassen. Zur Inspiration verwende ich Lenormandkarten (Anm: Wahrsagekarten von Marie Anne Lenormand (1772-1843)), um dem Publikum Bilder zu zeigen. Zunächst werden zwei gezogen, und ich sammle die Reaktionen auf diese Bilder. Was bedeuten sie für uns heute? Wie können wir sie auslegen, was empfinden wir dabei? Also zum Beispiel "Okay, es geht um ein Schiff oder es geht um einen Pfad oder es geht um ein Buch." Und die letzte Karte bleibt mir verborgen, nur das Publikum hat sie gesehen, und jemand wird ausgewählt, sie zu einer selbstgewählten Zeit umzudrehen, um der Geschichte eine Wendung zu geben, und das hoffentlich auf eine Weise, die ich nicht erwartet habe. Ich gebe alsdo etwas Kontrolle ab. Das Gleiche gilt für die Eieruhr des Todes: Jemand bekommt eine Eieruhr, der sie auf eine zufällige Zeit einstellt und wenn sie inmitten der Geschichte abgeht, muss ein Charakter sterben. Da kann ich mich dann überraschen lassen. Es ist schwer, sich selbst zu überraschen. Und ich muss es die ganze Zeit tun.
Jacob Banigan

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Impro-Shows des Theaters im Bahnhof:

"Montag" – immer 19:30 im Orpheum Extra - Ticketcenter quasi jeden Montag außer an sehr hohen Feiertagen und in der Sommerpause heuer das letzte Mal am 03.06. "Game Of Death" – immer 20:00 im Theater im Bahnhof - Tickets am 14.06. das letzte Mal in der heurigen Saison, neue Termine ab Oktober "Impro Show - Open Air in Leibnitz" - 20:00 in der Bauermarkthalle/Marenzikeller - Tickets am 20.06. Interview: Robert Goessl