'Goethe musste nicht gegen eine hehre Reihe von Klassikern antreten'
Interview: Edith Draxl, Drama Forum
Text: Lydia Bißmann - 20.06.2023
Rubrik: Theater
Edith Draxl steckt hinter dem DramatikerInnenfestival und dem Retzhofer Dramapreis. Das Festival widmet sich zeitgenössischer Dramatik. Mit KUMA hat sich Edith Draxl über die Vergangenheit, Ziele und nicht zuletzt die Zukunft des Festivals unterhalten.
Das DramatikerInnenfestival findet seit 2016 statt. Wie kam es zu dem Festival?
Iris Laufenberg vom Schauspielhaus und wir vom uniT DRAMA FORUM hatten beide das Interesse, Autorinnen und Autoren beim Schreiben fürs Theater und bei ihrer Schreibentwicklung zu unterstützen. Iris Laufenberg hat sehr auf zeitgenössische Dramatik gesetzt. Wir haben beide beim deutschen Literaturfonds um eine Förderung angesucht und die haben dann vorgeschlagen, dass wir uns doch zusammen tun sollen. Ich wollte immer ein Festival, aber ich war mir nicht sicher, ob wir es allein schaffen, ein entsprechendes Volumen auf die Beine zu stellen. Deswegen habe ich das gut gefunden. Und das Schauspielhaus auch. Ich glaube, wir haben uns da optimal ergänzt.
Der Retzhofer Dramapreis wurde als Retzhofer Literaturpreis vor 20 Jahren das erste Mal verliehen. Schriftsteller Ferdinand Schmalz, einer der meist gespielten zeitgenössischen Dramatiker im deutschsprachigen Raum, ist euer prominentester Preisträger. Auch er hat seinen Siegertext in einem vom Drama Forum mit Workshops begleiteten Prozess geschrieben. Für welche Autor*innen war das Festival noch ein Sprungbrett?
Das “Sprungbrett” ist für die Autor*innen der Retzhofer Dramapreis und der ist verbunden mit dem DramatikerInnenfestival. Es gibt eigentlich ganz viele Autor*innen, die entweder den Retzhofer Dramapreis gewonnen haben oder dafür nominiert waren. Der Retzhofer Dramapreis funktioniert so: Man reicht einen Textentwurf ein, dann werden zwölf Texte für Erwachsene und zwölf für Kinder und Jugendliche ausgesucht und anschließend ein Jahr in der Entwicklung begleitet. Dann werden diese Arbeiten anonym einer Jury vorgelegt. Die Gewinner*innen des Retzhofer Dramapreises sind mittlerweile eigentlich fast alle stark im Theaterbetrieb verankert. Die erste Siegerin 2003 war Gerhild Steinbruch, sie unterrichtet jetzt am Institut für Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst Wien und verfasst gerade einen Text für das Burgtheater. Ewald Palmetshofer ist stark mit dem Residenztheater in München verbunden und arbeitet dort als Dramaturg. Christian Winkler hat auch eine beachtliche Karriere hingelegt. Er arbeitet inzwischen als Theaterautor und Regisseur. Henriette Dushe macht momentan etwas weniger, weil sie einfach zwei kleine Kinder hat. Susanna Mewe ist nach dem Preis stärker in Richtung Prosa und Film gegangen. Ferdinand Schmalz, der Preisträger von 2013, wird in Graz als “local hero”eben mehr wahrgenommen, weil er hier geboren ist. Am Münchner Volkstheater gab es erst kürzlich wieder eine Premiere von Miroslava Svolikova. Sie hat Stücke mit ganz wichtigen Regisseur*innen gemacht, im letzten Jahr wurde sei im ganzen deutschen Sprachraum viel gespielt. Thomas Perle hatte dann auch Uraufführungen im Deutschen Theater und am Burgtheater. Das Stück “Adern” von Lisa Wenz am Akademietheater wurde sofort mit dem Nestroy Preis als das beste Stück des Jahres 2022 ausgezeichnet.
Was genau heißt begleitet?
Das heißt dreimal drei Tage Workshop plus eine Arbeitswoche mit Regie und Schauspiel, aber nicht in Richtung Präsentation, sondern einfach nur, um dem Text noch mal Feedback zu geben und ihn zu besprechen. Da geht es nicht um die Machbarkeit, sondern um den künstlerisch-kreativen Prozess. Kunst ist ja, dass ich originär etwas herstelle und nicht, dass ich das Hergestellte umsetze. Das machen die Autoren und Autorinnen. Diesen künstlerischen Prozess muss man einfach schützen. Wir wollen nicht, dass ein Stück sofort auf die Umsetzung hin überprüft wird.
Gibt es für zeitgenössische Theaterautor*innen ich sehr viel zu tun? Man kann ja nicht 100.000. Mal Faust aufführen, man muss doch etwas Neues bringen?
Schön wäre es. Im 18. Jahrhundert wäre es undenkbar gewesen, sowohl in der Musik als auch im Theater, irgendeinen alten “Hadern” aufzuführen. Da war der Anspruch ganz klar, dass immer neu produziert werden musste. Goethe musste nicht gegen eine hehre Reihe von Klassikern antreten. Das hat sehr viel bewirkt. Ich habe nie wirklich nachgeforscht, wann genau das gekippt ist. Für diese Klassiker Pflege gibt es eigentlich keinen ersichtlichen Grund. Ab einem gewissen Alter hat man dann die fünfte Variante von Shakespeares “Der Widerspenstigen Zähmung” gesehen und vermutlich waren vier davon zum Vergessen. Nicht zuletzt aus feministischer Sicht. Bei vielen Stücken stellt sich natürlich immer die Frage, wie sehr sich ein solcher Text neu lesen lässt. Ob dabei eine Narration entsteht, die wirklich etwas für heute erzählt. Da denke ich oft, das geht sich eigentlich nicht ganz aus. Die Behauptung, das erzählt mir so viel über mein Leben jetzt, ist oft eine sehr Abgehobene.
Der dramatische Text wird oft nicht als „echte“ Literatur, sondern vielmehr als „Sprachmaterial“ gesehen. Woran liegt das?
Da findet eine eigentümliche Nichtwahrnehmung statt. Ich habe Germanistik studiert, und da ist natürlich undenkbar, dass man sich nicht mit Faust, den Räubern oder Don Carlos beschäftigt. Theatertexte werden als Literatur wahrgenommen, wenn es sich um Werner Schwab oder Elfriede Jelinek handelt, aber sonst oft ohne jede Begründung nicht. Ich denke, dass diese seltsame Rezeption mit Status und Macht zu tun hat. Es ist schon klar, dass nicht jeder Theatertext Literatur ist, aber es würde dem Theater gut tun, wenn es wieder mehr Diskussion über die Texte gäbe. Es hat natürlich auch etwas mit einer journalistischen Gepflogenheit zu tun und dafür sind nicht die Journalisten, sondern die Zeitungen zur Verantwortung zu ziehen. Früher wäre es undenkbar gewesen, dass man als Journalist*in für eine Qualitätszeitung in eine Uraufführung geht, ohne den Text vorher zu lesen. Dieser Anspruch ist schon lange nicht mehr da, es wird vermutlich nicht mehr bezahlt. Man muss für sich auch neue Beschreibungskategorien und Denkmuster entwickeln, um neue Texte beschreiben zu können. Und das spart man sich anscheinend jetzt einfach.
Beim Dramatiker*innen Festival finden dieses Jahr auch Lesungen statt. Ist das der bewusste Versuch, dem Theatertext mehr Stellenwert insbesondere auch abseits der Bühne zu geben?
Wir haben auf Initiative von Ferdinand Schmalz die Reihe “Dramatisch Lesen” gemacht, wo professionell Lesende einen Text einer Autorin/ eines Autors gelesen und in sehr unterschiedlicher Form darüber geschrieben haben. Das ist jetzt auch nicht so wirklich literaturwissenschaftlich gedacht, aber die Idee dahinter ist es, einen Anstoß zu geben, damit diese Texte von der Literaturwissenschaft mehr wahrgenommen werden. Es gibt dort und da wieder zaghafte Ansätze und wir finden einfach, es ist an der Zeit, da mehr zu machen.
Vor welchen Herausforderungen stehen Theaterautor*innen heute?
Es gibt strukturelle und inhaltliche Herausforderungen. Es ist relativ neu, dass Autor*innen für Theater auf Bestellung Stücke schreiben. Problematisch finde ich, dass sie zu den wenigen Gruppen am Theater gehören, die abhängig von Besuchszahlen abgegolten werden. Sie bekommen einen Uraufführungsvorschlag und dann pro Vorstellung Tantiemen. Die Höhe hängt natürlich von der Größe des Theaters ab. Das ist schon absurd, da sonst alle einen Fixbezug bekommen.
Eine inhaltliche Herausforderung ist, wie man im Drama Strukturen entwickeln kann, die gesellschaftliche Prozesse abbilden. Die Struktur eines Dramas spiegelt oft viel stärker die Zeit als der Inhalt. Da sind dann plötzlich die Nichtadeligen als Helden aufgetaucht oder der Held ist ganz verschwunden und die Gesamtgruppe wurde wichtig. Da gibt es bei uns beim Festival die Veranstaltung Werkzeugkasten, bei der die Autor*innen untereinander über ihre Themen sprechen können.
Die freie Szene in Graz ist groß und gut aufgestellt – Wie wichtig sind Festivals für das freie Theater?
In der freien Szene besteht der Anspruch, möglichst wenig textbasiertes Theater zu machen. Das Theater im Bahnhof oder die Rabtaldirndln, um in Graz zu bleiben, machen Stücke, in die keine Autor*innen eingebunden sind. Insofern ist es schwierig, wie man da die Schnittstellen setzt, weil es dort um etwas anderes geht. Größere Überschneidungen gibt es mit der literarischen Szene. Wir machen heuer auch den Drama Slam im Heimatsaal mit Jimi Lend, das ist ein Format zwischen Vermittlungsarbeit und Talentscout. Aber wenn die freie Szene bei uns beim Festival mitmacht, ist das eine Gelegenheit, besser wahrgenommen zu werden, da Einzelveranstaltungen einfach weniger Aufmerksamkeit bekommen.
Was kam zum Motto “ins Offene” der heurigen Ausgabe? Was sind die Highlights?
Wir mussten das Thema im Herbst festlegen und es gab einen Vorschlag, der für mich nicht ging, weil wir ja nicht wissen konnten, wo wir im Sommer 2023 stehen werden, wenn man den Verlauf der Ereignisse ansieht. Dann ist mir die Zeile von Hölderlin “Komm ins Offene Freund" eingefallen. Ins Offene gehen, aufzubrechen aus Schwierigkeiten und nicht genau zu wissen, wohin es geht. Der Krieg in der Ukraine ist sehr nahe, wir wissen auch nicht, wie sich die Teuerung oder die Klimakrise entwickeln werden. Hölderlin ermutigt über dieses Lied, man soll in diesem finsteren Moment nicht stecken bleiben, sondern dorthin gehen, wo die Kraft und die Lebensfreude ist. Das braucht man, sonst schafft man es nicht. So ist das Thema entstanden.
Bei unserem Festival ist der Dramapreis immer ein ganz wesentlicher Punkt, da geht auch um den Aufbruch der Autor*innen in vielleicht einen neuen Lebensweg. Wir haben das Stück “Kids – eine dramatische Animation am Rande des Millenniums" auf dem Programm, das ist die Uraufführung eines Stücks von Katharina Jabs und Pedro Martins Beja, in dem es um Kinder von Gastarbeitern geht, deren Eltern sich eben auch ins Ungewisse aufgemacht haben. “Intimacy of Strangers” von Lisa Horvath ist eine Installation, die die Natur ins Zentrum stellt, damit sie nicht auf der Strecke bleibt. Da geht es auch um Aufbruch, das finde ich ganz spannend.
Offen ist irgendwie auch die Zukunft des Festivals, da die neue Intendantin vom Schauspielhaus die Kooperation nicht mehr wie bisher fortführen möchte. Welche Zukunftsszenarien kann es geben?
Wir kämpfen sehr darum, dass die Zusammenarbeit mit dem Schauspielhaus erhalten bleibt. Da geht es auch für uns ins Offene … Es ist nicht so, dass es in Österreich fünf derartige Festivals gibt, von denen man eines einfach streichen könnte. Wir sind schon sehr singulär auch damit, dass sich die Szenen hier treffen und miteinander austauschen können. Man müsste es eher unterstützen, damit es noch mehr Strahlkraft bekommt. Für die kurze Zeit, die es das DramatikerInnenfestival erst gibt, hat es sich bereits einen hervorragenden Ruf erarbeitet, und ich kann nur hoffen, dass wir gemeinsam eine Lösung finden werden.
Edith Draxl: Geboren 1957, lebt in Graz. Sie studierte Germanistik, Theologie sowie Psychologie, war AHS-Lehrerin und ist Expertin in der Aus- und Weiterbildung v.a. im Bereich Kinder- und Jugendtheater. Seit 2000 leitet sie den UniT und das u.a. dazugehörige DRAMAFORUM , das den Retzhofer Dramapreis an Jungdramatiker*innen vergibt und gemeinsam mit dem Schauspielhaus Graz das Internationale DramatikerInnenfestival Graz ausrichtet. (Quelle: Literaturhaus Graz)