Ein Wohn-Visionär zu Gast beim Designmonat Graz 2023
Interview: Daniel Fuhrhop, Wohnwende-Ökonom
Text: Sigrun Karre - 09.05.2023
Rubrik: Design
Der deutsche Wohnwende-Ökonom hat mit einer von acht „Revolutionsreden“ im öffentlichen Raum den Designmonat Graz 2023 eröffnet und tags darauf beim „The Revolution Symposium“ vorgetragen. Seine Vision: „Wenn wir es schaffen, unsere vorhandenen Bauten so viel besser zu nutzen, sodass wir nicht mehr neu bauen müssen, dann wäre das revolutionär.“ Daniel Fuhrhop im Gespräch mit KUMA über Menschen, Umdenkprozesse und die Verbindung von komplexer Theorie und einfacher Praxis.
„Verbietet das Bauen!“, ist ihr Slogan und Titel eines ihrer Bücher. Sie sind selbst studierter Betriebswirt; wenn diese Forderung umgesetzt würde, was würde das für die Bauwirtschaft bedeuten?
Schon jetzt ist es so, dass drei Viertel des Umsatzes der Bauwirtschaft im Bestand gemacht werden durch Umbauten. Das fällt nur neben den großen, schillernden Neubauten vielleicht nicht so auf. Wenn wir nun aus den 75 Prozent 100 Prozent machen, würden wir die bestehenden Ressourcen optimal nutzen. Dazu sind Teile der Bauwirtschaft, insbesondere das Handwerk gefragt, die sich damit beschäftigen sollten, wie man besser umbaut. Und ja, zugegebenermaßen gäbe es dann auch einen Wandel, weil wir mehr Ressourcen in soziale Bereiche stecken müssten, indem wir uns damit beschäftigen, wie die Menschen denn eigentlich wohnen und dort Veränderungen anstoßen. Dann würde Fläche besser genutzt und vieles, was neu gebaut wird, überflüssig werden.
Das Argument aufgrund von Zuzug und der daraus resultierenden Wohnungsknappheit würden die Mieten teuer und deswegen müsse gebaut werden, können Sie also widerlegen?
Der größte Anteil des Neubaus lässt sich nicht durch Bevölkerungszuzug erklären. Wir haben extrem viel mehr gebaut, als rechnerisch erforderlich wäre. Dementsprechend steigt Jahr für Jahr die Wohnfläche pro Person. Die Lösungen können nicht im Neubau liegen, denn sonst hätten wir die Probleme schon längst gelöst. Daher müssen wir schauen: Wo ist die Wohnfläche, die bisher nicht gut genutzt wird und wie können wir sie nutzbar machen?
Sie haben einen Architekturverlag gegründet und geführt – bei architektonischen Prestige-Projekten denkt man in der Regel an Neubauten. Gibt es in der Szene ein Umdenken?
Das Umdenken ist im vollen Gange. Bei der Architektur Biennale in Venedig gibt es seit vielen Jahren tolle Projekte mit spektakulären Umnutzungen. Weiteres Indiz: der Pritzker-Preis wurde vor zwei Jahren an Lacaton & Vassal für eine clevere Umnutzung eines bestehenden Gebäudes vergeben und in manchen Hochschulen ist das Umdenken auch schon angekommen. Natürlich gibt es noch immer in der Wirtschaft, Politik und Architekturszene Menschen, die vom Neubau nicht lassen wollen, aber die vielfältigen Krisen, die werden uns schon dazu bringen, dass wir das bald sowieso anders handhaben müssen.
Wie kam es zu Ihrem Wandel vom Architekturverleger zum Wohnwende-Ökonomen?
In den Jahren als Architekturverleger, in denen wir schicke und tolle Neubauten publiziert haben, wurden bei mir die Zweifel bei mir immer größer, ob jedes einzelne dieser neuen Gebäude wirklich so notwendig war. Meist waren es Museen oder andere Kulturbauten. Da wurden von EU und Bund geförderte Neubauten feierlich eröffnet, während unsaniert daneben der Altbau des Museums stand. Das hat dazu geführt, dass ich begonnen habe, mich mit dem Bauen an sich zu beschäftigen, Lösungen zu suchen. Dann habe ich begonnen, mich mehr auf den Bereich des Wohnens zu konzentrieren, weil es mir mehr am Herzen liegt, Lösungen für die Menschen zu finden - für die Jungen, die nicht viel Geld haben, aber auch für ältere Menschen, die alleine zu Hause leben.
In Sachen Flächenverbrauch und Bodenversiegelung ist Österreich Europameister, was macht z.B. Deutschland anders, nämlich besser?
Aus Deutschland kommend wundert es mich immer wieder, dass ausgerechnet wir als Vorbild für den Flächenverbrauch herhalten sollen. Denn auch die Flächenziele, die Deutschland sich einmal verordnet hat, werden recht unverbindlich behandelt, nicht eingehalten und weiter in die Zukunft verschoben. Von den Planungsabläufen dürfte es etwas besser sein, wie wir in Deutschland vorgehen. Wir haben eine Kontrollinstanz, die zwischen den Ländern und den Kommunen liegt und da gibt es Planungsbehörden, die die Bebauung regulieren.
Bleibt nicht der sogenannte „Bodenfraß“ für viele Bürger*innen ein eher abstraktes Problem, solange einem nicht gerade ein Hochhaus vor die Nase gebaut wird?
Den Flächenfraß nicht zu spüren ist, denke ich, eine typische Wahrnehmung aus dem Lebensumfeld Stadt heraus. Ich habe letzte Woche in Salzburg mit Leuten vom Land gesprochen. Für diese Menschen ist es sehr präsent, wie wertvolles Ackerland verschwindet und ein Acker nach dem anderen in Bauland umgewidmet wird. In der Stadt hat man ein wenig den Bezug zu diesem Flächenfraß verloren, weil man den Bezug zur Natur verloren hat. Was uns in der Stadt eher auffällt, ist, wenn die wenigen Freiflächen verschwinden. Diese wenigen Grünflächen sind angesichts zunehmender sommerlicher Hitzeperioden für die Stadt von großer Bedeutung. Verschwinden sie, wird es im Hochsommer in der Stadt noch deutlich ungemütlicher.
Politik agiert selten weit vorausschauend, Bebauung schafft aber langlebige Tatsachen mit weitreichenden Konsequenzen. Gehört Stadtplanung in die Hände eines unabhängigen Expert*innen-Gremiums?
Ich habe selbst in Oldenburg für das Bürgermeisteramt kandidiert. Von daher neige ich dazu, nicht dem Reflex zu folgen, die Schuld an der Politik zu suchen. In unseren Köpfen ist das althergebrachte Denken einfach noch sehr stark, dass, wenn man Wohnraum braucht, man einfach nur genug bauen müsse. Diese Umdenkprozesse dauern sehr lange und sie sind sehr folgenreich für die Bauwirtschaft etc. Expertenrat und Einbeziehen der Wissenschaft ist natürlich sinnvoll, aber nicht ausreichend. Man muss erstmal den Weg in die Praxis finden, sich überlegen, welches Modell wirklich funktioniert. Die Welt ist nun einmal kompliziert, beim Flächenfraß ist es genauso. Wir sollten lieber über Menschen, als über Beton sprechen. Wenn man sich von dieser Haltung leiten lässt, wird man zu den richtigen Lösungen kommen.
Das Grazer Baugeschehen ist im Städte-Vergleich besonders stark in der Hand von Investoren, Anlegern. Ohne dass Sie die konkreten Gegebenheiten kennen, wo kann man da ansetzen?
Wir schauen aus Deutschland in diesem Punkt immer sehr bewundernd nach Wien. Dort wurde ein großer Teil des Wohnungsbestandes und wird ein durchaus ordentlicher Anteil dessen, was neu entsteht, entweder von kommunalen Gesellschaften oder Wohnungsgenossenschaften gebaut und bleibt damit auch dauerhaft bezahlbar. Genau das ist ein Element, das ich für sehr wichtig halte. Denn den Neubau, der nur Anlageobjekt ist, in dem womöglich niemand wohnt, können wir uns sparen. Den brauchen wir nicht! Wenn überhaupt Neubau, dann günstig, bezahlbar und über kommunale Gesellschaften, Wohnungsgenossenschaften.
Wie sieht die ideale Stadt aus?
Die muss nicht mehr erfunden werden, sie ist bereits gebaut. Wir sollten aber anders mit diesen vorhandenen Flächen umgehen. Mein Vorschlag ist, dass wir älteren Menschen helfen, die alleine in zu groß gewordenen Wohnungen oder Häusern leben. „Homeshare“ ist die internationale Bezeichnung für eine der möglichen Lösungen, in Deutschland heißt es etwas unglücklich „Wohnen für Hilfe“: Dabei finden junge Menschen günstig eine Wohnmöglichkeit bei alten Menschen, und diese profitieren ebenso davon, weil die jüngeren ihnen Gesellschaft leisten und ein wenig in Haus und Garten helfen.
Damit das wirklich funktioniert, braucht man eine gute Vermittlungsstelle. In Graz machen das meines Wissens einige ehrenamtliche Personen, die vielleicht 10 junge Leute im Jahr vermitteln. Wenn ich aber zu den professionellen Vermittlungsorganisationen in Großbritannien, Frankreich oder Belgien schaue, dann müssten in Graz jedes Jahr ca. 100 junge Leute vermittelt werden und dann kommen wir langsam zu Zahlen, die auch für den Wohnungsmarkt interessant werden. Wenn sich Graz dem Thema Wohnen auf soziale Weise nähern möchte, sollte man auch solche Programme initiieren. Da gehört dann auch dazu, Umbaumaßnahmen finanziell zu fördern, Abtrennungen, ein zweites Bad o.ä. Das ist auf jeden Fall günstiger, als komplett neu zu bauen.
Gibt es auch Ideen für Immobilien, die leer stehen?
Natürlich muss es auch Ziel sein Leerstand wieder auf den Markt zu bekommen. Das kann man erreichen, indem man Anreize und Sicherheit für die Eigentümer*innen schafft, die oft aufgrund schlechter Erfahrung mit Mietnomaden gar nicht mehr vermieten. Bei Anlegern, wo gar nicht die Absicht einer Vermietung besteht, erreicht man mit ordentlichen Bußgeldern etwas. In München wurden so 450 Wohnungen im Jahr wieder in den Wohnungsmarkt zurückgeholt, die davor leer standen oder illegal als Ferienwohnung oder für Gewerbe genutzt wurden.
Über Stadtentwicklung wird viel gesprochen, aber ist das nicht letztlich auch zu „inselhaft“ gedacht? Muss man nicht noch größer denken und auch das Land, die Region mitentwickeln?
Diesem Gegensatz von Landregionen mit zu wenig Menschen und großen Problemen und Stadtregionen, die aufgrund sehr vieler Menschen große Probleme haben, kann man auf verschiedene Weisen entgegentreten;
z.B. mit besseren Verbindungen zwischen Stadt und Land. In Kopenhagen gibt es etwa von der Stadt aus 30, 40 Kilometer ins Umland, vier Meter breite asphaltierte und beleuchtete Radwege ohne Kreuzungen. Da habe ich mit dem E-Bike überhaupt kein Problem zu pendeln, das sollte es im Umkreis jeder Großstadt geben, natürlich auch bessere Zugverbindungen und vieles mehr.
Wir werden allerdings die Probleme, die wir jetzt mit schrumpfenden ländlichen Regionen haben, eines nicht allzu fernen Tages auch in den Städten finden, wo es derzeit noch an Wohnraum mangelt. Die Menschen der geburtenstarken Boomer-Jahrgänge der 1950er bis Mitte 1960er Jahre gehen jetzt in den Ruhestand und brauchen im Moment sehr viel Platz, weil sie am Gipfel ihres Wohlstandes angekommen sind und in einem ererbten Eigenheim leben. Aber, wenn wir gerade jetzt neu bauen, wird uns das in 15 bis 20 Jahren vor die Füße fallen. Denn dann bereinigt sich die Alterspyramide wieder und wir werden einen Zustand haben, den man in Japan jetzt schon anschaulich betrachten kann. Dann kommen nämlich extrem viele Eigenheime an den Markt und die Immobilienblase platzt.
Also ist Wohneigentum für unsere Generation keine ideale Altersvorsorge mehr. Stadt- oder weiter gefasst Lebensraumentwicklung ist hochkomplex. Inwiefern kann man überhaupt etwas gezielt entwickeln, wo ja alles mit allem zusammenhängt: Wohnen, Verkehr, Klima, Wirtschaft, Migration etc. Wer hat da den Überblick? Oder ergibt sich das große Ganze, wenn Expert*innen in jeweils ihrem Bereich ihre „Bausteine zusammenbauen“?
Ich habe mir in Salzburg einen interessanten Vortrag von Christian Berg angehört. Er ist Philosoph, Physiker, Theologe, war im Ingenieurswesen tätig und beschäftigt sich mit Nachhaltigkeit. Eine seiner Aussagen war sinngemäß: „Die Welt ist kompliziert und wir müssen auf einer sehr komplexen Ebene versuchen, zu verstehen, wie die verschiedenen Bedürfnisse und Möglichkeiten zusammenhängen, denn sonst kommen wir nicht zu einer analytisch besten Lösung. Das, was wir davon fürs Handeln im täglichen Leben ableiten, das muss hingegen ganz einfach sein.“ Ich sehe das ähnlich. Was den Menschen guttut, geht tendenziell in die richtige Richtung. So einfach kann es manchmal sein.
Daniel Fuhrhop, Wohnwendeökonom, schrieb seine Dissertation dazu, wie Eigentümer*innen ihren Wohnraum besser nutzen können. Er engagiert sich als Wirtschaftswissenschaftler bei den Scientists for Future. Fuhrhop schrieb die Streitschrift "Verbietet das Bauen!" und den Ratgeber "Einfach anders wohnen". Zuvor war er fünfzehn Jahre Unternehmer und leitete den Stadtwandel Verlag. 2021 kandidierte er als Oberbürgermeister von Oldenburg und erreichte in der Stichwahl 46 Prozent. Er lebt seit 2022 in Potsdam.