Denken mit dem Ohr
Interview: Autor Stefan Schmitzer
Text: Sigrun Karre - 29.04.2022
Rubrik: Literatur
Der Grazer Autor, Performer, Kritiker Stefan Schmitzer im Gespräch mit KUMA über sein Poesiealbum der Raumfahrt, den Stellenwert der zeitgenössischen Lyrik und den menschlichen Drang zur Kreativität.
Mit „liste der künstlichen objekte auf dem mond“ hast du zuletzt im Ritter Verlag ein Langgedicht über 90 Seiten veröffentlicht. Hast du einen Vorschlag wie man das Buch lesen soll?
Entweder als Referenzbüchlein, wenn man sich gerade interessiert für irgendeinen Satelliten, dass man auch eine poetische Stimme zu diesem Satelliten hat. Oder wenn man es chronologisch von vorne nach hinten liest, kann man es, denke ich, schon als eine Erzählung der „Space Race“ oder einer bestimmten Sorte menschlicher Sehnsucht lesen – mit vielen verschiedenen Schauplätzen. Das Subjekt des Gedichts ist halt kein Individuum, sondern der Mond oder die Menschheit. Als Poesiealbum der Raumfahrt, wie ich doch hoffe, funktioniert es auch.
Du bist ein „Kopfschreiber“, wie gering ist die Wahrscheinlichkeit, dass man von dir einmal ein ganz ironiebefreites Liebesgedicht zu lesen bekommt?
Ich habe ganz viele ironiebefreite Liebesgedichte geschrieben, ich glaub sogar in dem Buch … wart lass mich eines suchen. Luna 22, S. 79
subjekt der geschichte
betrunken
in badebekleidung
hält · sonnenhut fest
denn der sonnenwind
sonnenwind
subjekt der geschichte
fragt
wie viele der meteoriten
luna 22?
im sonnenwind
sonnenwind
textsubjekt
nüchtern
· kleidet als sonde luna 22
das heißt · motoröl eingerieben
funkelt metallisch im sonnenwind
sonnenwind
…
usw.
Das hätte ich jetzt nicht als Liebesgedicht gelesen. Hat man als Lyriker manchmal das Gefühl, einen Roman schreiben zu müssen (was du ja bereits getan hast), um wirklich in der Literatur-Szene wahrgenommen zu werden?
Nein, das Gefühl habe ich nicht. Das Gefühl, das ich habe, ist, dass ich große Bewunderung für Leute hab, die einen Roman schreiben können. Also ich habe auch Romane geschrieben, ich meine Leute, die einen richtig guten Roman schreiben können. Ich beherrsche die Prosa nicht mit der Sicherheit, mit der ich sie beherrschen möchte. Ich würde, wenn ich es könnte, wahrscheinlich Fantasy-Romane schreiben oder Drehbücher. Das, was ich tatsächlich gut kann, ist „denken mit dem Ohr“ sozusagen, die Zusammenschau von Klang und Bedeutung. Ich verstehe das, was ich mache nicht hauptsächlich als Literatur, die still gelesen werden will, sondern als das Verfassen von Partituren, die vorgetragen werden. Ich arbeite derzeit zwar auch wieder an Prosa-Texten, ich kehre aber auch immer wieder zum Gedicht zurück.
Wieso ist Lyrik heute für viele Menschen so schwer zugänglich, obwohl sie ja eigentlich unmittelbar wirkt, wie Musik oder auch Malerei?
Ganz viel von dem, was die Literatur heute leisten kann, ist technologisch gewissermaßen überholt. Also: Du hast eine ähnliche Situation wie die Malerei im 19. Jahrhundert, die durch die beginnende Porträtfotografie in die Krise kam. Solche Texte wie meinen hier, oder auch die Tendenz im deutschen Sprachraum in den frühen 2010er Jahren zur „Anthropozän“-Lyrik – diese Arten zu schreiben funktionieren, weil man dem Leser nicht mehr alles an Information bereitstellen muss. Jeder hat ein Handy, mit dem er einen Begriff googeln kann. Vor diesem Horizont, denke ich, dass sich Lyrik als geschriebene Sprache im engeren Sinn von den erweiterten Bereichen von „Lyrics“, wie z. B. im Hip-Hop, im Folk Song, im „Werbeblabla“ scharf getrennt hat. Das macht es uns, verständlicherweise, schwerer: Die meisten der Bedürfnisse, die die Lyrik befriedigt, befriedigt eben auch der bessere Pop-Song; und der hat den Vorteil, dass er mit Gitarre daherkommt und dass dann ein fescher Sänger auf der Bühne steht. Diese Entwicklung bedeutet auf der anderen Seite aber auch eine große Chance …
In den letzten Jahren sind aber auffallend viele große Literaturpreise an LyrikerInnen verliehen worden, etwa der Nobelpreis an Luise Glück oder der Georg-Büchner-Preis an Elke Erb, Jan Wagner. Was denkst du: Ist das Ausdruck des Versuchs, die fehlende Aufmerksamkeit für Lyrik auszugleichen, oder könnte das tatsächlich ein Indiz dafür sein, dass die Lyrik wieder an Stellenwert gewinnt?
Ich habe das mit großer Genugtuung verfolgt. Ich glaube, das sagt etwas darüber, dass der Literaturbetrieb wieder dabei ist, sich auf seine eigenen Stärken zu besinnen und zu schauen, welche literarischen Formen etwas leisten können, was außerhalb der Literatur nicht stattfindet. Wo es auch um Fragen geht wie „Was kann man wie sagen“. Und das merkt man bei solchen Preisverleihungen. Vor einigen Jahren gab es ein Lyriktreffen in Frankfurt, wo wirklich alle eingeladen waren, die im deutschsprachigen Raum dichten, diese Form der kompletten Vernetzung hat es früher meines Wissens nicht gegeben. Was Amanda Gorman gemacht hat – dass sie sich selbstbewusst bei einem politischen Großereignis hingestellt hat und das Ereignis mit einem Gedicht schmückt – hat auch z. B. bewirkt, dass der Deutsche Bundestag darüber nachdenkt, eine „Parlamentspoetin“ anzustellen. Das ist natürlich zweischneidig … Auch die Debatte um das „Avenidas“-Gedicht von Eugen Gomringer hat gezeigt, dass nun plötzlich Lyrikerinnen und Lyriker wieder eine – wenn auch noch nicht ganz geklärte – Rolle im politischen Diskurs zu spielen hätten. Meiner Meinung nach ist Amanda Gormans Gedicht, als Gedicht gelesen, eher langweilig, aber: Der Umstand, dass sich jemand zu einem solchen Anlass so hinstellt, sagt vielleicht nicht unbedingt etwas Positives über die Lyrik, aber es sagt etwas Positives über den gesellschaftlichen Zusammenhang, in dem das stattfindet. Die spannende Frage ist jetzt: „Wie reagieren wir darauf?“
Graz wird immer mal wieder als heimliche Literaturhauptstadt gehandelt, gibt es etwas an diesem Ort, das einem als SchriftstellerIn besonders entgegenkommt?
Gemessen an der Größe der Stadt bietet Graz schon recht viel. Wir haben in Graz z. B. tatsächlich die höchste Dichte von Literaturzeitschriften im deutschsprachigen Raum, gemessen an der Anzahl der Einwohner, und ich würde vermuten, dass es in Graz ein gewisses Bewusstsein gibt für Literatur bzw. für die Bedürfnisse der Autorinnen und Autoren. Verlage wie Droschl, Leykam und Ritter spielen da natürlich auch eine wichtige Rolle.
Was brauchst du, um schreiben zu können?
Eine gewisse Routine, einen Sessel im Kaffeehaus oder bei mir zu Hause.
Stefan Schmitzer/Ritter Verlag
Was überwiegt für dich beim Schreiben, Lust oder Qual?
Wenn ich mich verzettle, dann ist es wirklich eine Qual, aber die Lust überwiegt bei Weitem.
Schreibst du Lyrik mit der Hand?
Gerade Lyrik schreibe ich nicht mit der Hand, sondern am Bildschirm, weil er die praktische Eigenschaft hat, dass man Blöcke hin- und herschieben kann. Aber ich schreib mit der Hand, wenn ich Blockaden lösen muss, das sind aber eher Erzähltexte.
Das bedeutet, du lässt Gedichte relativ lange ausreifen?
Das ist tatsächlich so. Dadurch dass ich eine Empfindung wirklich empfinde und die aufschreibe, ist ja die Arbeit nicht vollbracht, sondern damit fängt sie erst an. Der nächste Schritt ist dann, zu revidieren und zu schauen, was erzählt das eigentlich über mich. Das sind mindestens 3, 4 Durchgänge.
Gibt oder gab es Vorbilder?
Wenn Vorbilder im Sinne von „Wie wünsche ich mir, rezipiert zu werden“ gemeint ist, wäre mein Wunsch, eine Literatur zu produzieren und zu fördern, die nicht nur zwischen Buchdeckeln, sondern mündlich lebt, wie die Beat--Literatur in den späten 1950er/60er Jahren in den USA funktioniert hat.
Man sagt, die Kunst, das Geschriebene entsteht aus dem Inneren heraus. Kannst du beschreiben, was dieses Innere ist?
Ich würde nicht so weit gehen wie Beuys zu sagen „Jeder Mensch ist ein Künstler“, aber ich habe die Vermutung, dass diesen inneren Drang, kreativ zu sein, die meisten Menschen besitzen. Ich bin eben in der privilegierten Lage, dem nachgehen zu können und dafür Zeit und Muße zu haben, und ich schätze das nie gering. Aber letztlich hat wohl jeder in sich den Drang angelegt, die Welt aus dem Inneren heraus zum Ausdruck zu bringen – im Sinne von: „Ich bin hier, bist du auch hier?"